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Das Wasser flaute mit einem Mal ab, als ob ein gewaltiger Schutzschirm über dem Weg geöffnet worden wäre. Unten war Torn stehen geblieben, schwankend streckte er die Hände über dem Kopf aus, versuchte, dem aufgerissenen Himmel Einhalt zu gebieten. Tel blieb für einen Moment lang stehen und sah zum Magier hinüber, dann rannte sie weiter. Zum Schloss über der Welt, zum schwarzen Stein der Mauern, zu den geöffneten Toren ...

Schick deine Frau nicht in den Kampf, Drache ...

Viktor rannte auf die Regenbogenbrücke. Die Zierschrift des Lichts unter den Füßen, die Minuten zuvor noch fest wie eine Erdscholle gewirkt hatte, brach nun auf und wand sich, ganz wie eine Erdscholle in Aufruhr. Leuchtender Nebelstaub erhob sich unter ihm und durchbohrte mit farbigen Funken die Luft. Jetzt waren sie gleich weit entfernt vom Schloss - Tel auf dem Pfad, der nach oben führte; Viktor auf dem sich zum Schloss hin senkenden Brückenabschnitt.

»Bleib stehen«, schrie Viktor. »Stehen bleiben!«

Sie hörte ihn nicht. Oder sie glaubte ihm nicht mehr ...

Viktor glitt aus. Die Brücke löste sich auf. Die Bögen aus Licht drehten sich zusammen, wanden sich unter ihm. Die bebende Erde tief unter ihm fasste nach ihm, lockte, wartete.

Er stürzte. Er schritt durch einen Regenbogenbrei, der ihm bis zur Brust reichte. Unter den Füßen spürte er keinen Widerstand mehr. Der dunkelrote Komet am Himmel brüllte auf, öffnete seinen Schlund ...

Ein Schlag. Ein Stoß in den Rücken. Der gespannte Flügel des Windes erfasste ihn, schleuderte ihn vorwärts, durch die sich auflösende Brücke, über die Bodenlosigkeit hinweg. Hinter ihm fiel Ritor zu Boden, krallte sich mit gekrümmten

Viktor kam unmittelbar vor Tels Füßen auf. Der Schlag hatte ihm die Luft genommen, der Schmerz bohrte sich in seinen Körper. Aber auch Tel hatte nicht damit gerechnet, stolperte über ihn und schlitterte über die Steine. Viktor bekam ihre Hand zu fassen, riss sie zurück und schrie.

»Nein!«

»Lass los! Ich muss ...«

»Nein! Letzte aus dem Geheimen Clan, ich verbiete es dir!«

Das Mädchen keuchte und riss sich von ihm los. Viktor blickte ihr in die Augen und formte mit den Lippen die Worte: »Dies ist meine Welt, Tel.«

Blut ergoss sich über den Himmel. Blitze schlugen am Ufer ein. Der Wind heulte und schickte eine Tornadogeißel über die Dracheninsel.

»Erneuerung ...«, flüsterte der Regen. »Wiedergeburt ...«, stimmte der Wind ein. »Neu, neu, neu ...«, schrien die Blitze.

»Ich entscheide«, sagte Viktor und ließ Tels kraftlose Hand los. Dann wandte er sich zu den Toren des Schlosses über der Welt.

Der Hüter stand auf der Schwelle.

In Viktors Träumen hatte er anders ausgesehen. Ganz anders, nicht wie ein zerbrechlicher Jüngling mit vom Wind

»Gib mir meine Kraft«, sagte er und trat einen Schritt auf das Schloss über der Welt zu.

»Hast du das Recht?«, fragte der Hüter mit der Stimme eines plötzlich wieder jungen Fresssacks.

»Ja!«

»Versuch es! Beweise es!«

»Ich habe das Recht.«

Viktor spürte, wie sich eine dichte Wand vor ihm aufbaute, einförmig, unsichtbar, wartend. Arme Wand ...

»Ich habe das Recht - in mir fließt das Blut der Herrscher ...«

Ein Schritt ...

»Ich habe das Recht, in mir fließt das Blut des Drachentöters ...«

Ein Schritt ...

»Ich habe das Recht, der Geheime Clan, der Hüter der Urgründe, hat mich gerufen ...«

Ein Schritt ...

»Ich habe das Recht, ich habe geglaubt und bin gekommen ...«

Ein Schritt ...

»Ich habe das Recht, die Wächter der Grenze ließen ihr Leben für mich ...«

Ein Schritt ...

»Ich habe das Recht, ich habe die Kraft der Elemente angenommen ...«

Ein Schritt ...

»Ich habe das Recht, ich habe den Weg der Angeborenen abgelehnt ...«

Zum Hüter und ihm die Hand reichen.

»Ich habe das Recht, bei mir sind meine Feinde und meine Freunde, bei mir ist meine Liebe und mein Hass. Dies ist meine Welt.«

Er berührte den schwarzen Stein der Mauern.

»Wirst du alles nehmen?« Der Fresssack schüttelte den Kopf. »Leben und Tod? Verehrung und Verachtung? Wirst du dich verantworten?«

»Ja.«

»Du entscheidest, wozu die Ängste und die Träume der Anderen Seite werden? Wozu sie sich bei den Angeborenen verwandeln? Wie sie zur Mittelwelt hinübergelangen?«

»Ja. Gib mir meine Kraft zurück, Hüter!«

Der Himmel explodierte in weißen Strahlen. Die Blitze flochten ein flammendes Netz, um die Welt zu umfassen. Die Insel erzitterte und erhob sich aus dem kochenden Wasser.

Der Erschaffene Drache, der am Himmel segelte, brüllte auf. Die stählernen Flügel durchtrennten die Luft, ein Feuerschlund öffnete sich und stieß einen Strom Napalm aus. Die blitzenden Krallen streckten sich aus und zielten auf den Rivalen.

Viktor richtete sich auf. Mit seinem ganzen gepanzerten Körper.

Gepanzert von der peitschenscharfen Schwanzspitze bis zu den Flügelenden.

Der Herrscher der Mittelwelt erhob sich über die Dracheninsel.

Unten auf dem Weg saß Torn mit verächtlich verzerrter Miene im Regen und fing kalte Tropfen mit den Lippen auf.

Loj Iwer saß ebenfalls da, nackt, verführerisch und lebendig, und hielt den Kopf des Luftmagiers auf den Knien,

An den Toren zum Schloss über der Welt schüttelte ein weißes Einhorn seine goldene Mähne.

Und die adlerköpfigen Schiffe der Angeborenen, die sich hinter der Wand von Wirbelstürmen hervorstahlen, erstarrten, als hoch über ihnen der Drachenherrscher dem Erschaffenen Drachen begegnete.

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel

HЕ ВРКМЯ ДЛЯ ДРАКОНОВ bei AST, Moskau.

Verlagsgruppe Random House

Das für dieses Buch verwendete

FSC-zertifizierte Papier Munken Premium Cream liefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden

Copyright © 1999 by Sergej W. Lukianenko & Nick Perumov

Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Redaktion: Ralf Oliver Dürr

Herstellung: Helga Schörnig

eISBN : 978-3-641-04004-8

www.heyne-magische-bestseller.de

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