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Er hatte zu wenig Informationen, musste Ritor sich wütend eingestehen. Wahrscheinlich hatte Loj Recht, es war unklug, die Dienste der Katzen zu verachten. Sie waren schlau und heimtückisch und immer auf ihren Vorteil bedacht, aber was sie auskundschafteten, musste man jedenfalls nicht mehr überprüfen.

Der Spitzzahn der Vier Winde oder einfach der Spitzzahn, wie ihn ausnahmslos alle Bewohner der Mittelwelt nannten, erhob sich hoch über dem grünen Steilufer des Blauen Flusses. Kurz bevor dieser Fluss ins Meer mündete, durchschnitt er die Felswände und beschrieb einen weiten Bogen um die steil aufragende steinerne Klippe. Hier trafen Bergwälder und Meeresdünen zusammen, hier befand sich die südliche Grenze der Clans, hier begann das Heiße Meer. Nach Norden hin erstreckten sich Berge, hinter denen die Besitzungen der anderen Clans lagen und Feros, die Hauptstadt vom Clan der Erde. Warme Steppen wechselten sich mit Wäldern ab, das Auge erblickte umgepflügte Äcker, Städtchen, Dörfer, große Gutshöfe und vereinzelte Gehöfte. Und noch weiter, hinter der Steppe, hinter den Ziwascher Sümpfen, viele Hundert Meilen entfernt lag ein Land, wo Menschen, Gnome und Elfen wohnten sowie all jene, die aufzuzählen zu viel Platz einnehmen würde. Auch dort gab es Städte - Lehensbesitzungen der Clans, Schlösser von Vasallenfürsten. Dort verlief die Route der Gnome. Und noch weiter nördlich, hinter dem Gürtel der Grauen Grenze, lag unbewohntes, unbekanntes Land, leer und unwirtlich. Keiner der Clans wollte dort leben, alle hatten sie die warmen, lieblichen Küstenregionen gewählt, die stark an die verlorene Heimat erinnerten. Der ferne Norden blieb unbesiedelt,

Der Clan der Luft hatte sich nicht zufällig neben diesem Steilfelsen niedergelassen. Der Spitzzahn war das Zentrum stürmischer und ununterbrochener Magie des Äthers, hier stießen die Winde zusammen, die über der endlosen, flachen Ebene des Meeres an Fahrt gewonnen hatten, hier trafen sie auf andere Winde, die an den Gipfeln der Berge Kraft gesammelt hatten; der hoch aufragende Fels schien sie anzuziehen, hier gaben sie ihre Kraft preis, hier konnte man sogar zum Flug aufsteigen, wenn die Zauberkraft des durchsichtigen Elements am schwächsten war.

Hier hatte Taniel das Fliegen gelernt ...

Ritor spürte, wie sich sein Herz schmerzlich zusammenzog, und verbot sich augenblicklich, an den Jungen zu denken. Taniel würde nicht zurückkommen. Ritor konnte ihn nur noch rächen. Und obgleich der Magier mehr als einmal über den dummen Aberglauben gelacht hatte, der besagte, dass eine ungerächte Seele keine Ruhe finden kann - jetzt begriff er mit einem Mal, dass auch er daran glaubte. Oder wollte er daran glauben, um seine Absichten zu rechtfertigen ...?

Der Blaue Fluss diente als natürliche Grenze. Ritors Stammesbrüder hatten sich am äußersten Rand des Waldes niedergelassen,

Die Häuser drückten sich eng an den Fuß des Felsens. Ritors Vorgänger hatte erreicht, dass ihre Siedlung von einer steinernen Mauer eingefasst wurde, während die meisten Befestigungsanlagen in der Mittelwelt aus Holz waren. Einst, noch vor dem großen Krieg, der neben vielem anderen auch Bbchtschi vernichtet hatte, jener Burg also, in der Ritor das Treffen mit dem Clan des Feuers vereinbart hatte, einst wurde Baumaterial aus dem Steinbruch am linken Ufer des Blauen Flusses nach Westen und nach Norden geschafft, um dort gewaltige Festungen zu errichten. Dann begriff man, dass Frieden sehr viel besser war als Festungen, und als es immer mühseliger wurde, die schon ausgeräumten Steinbrüche weiter auszubeuten, gab man sie schließlich auf. Aber es hatten sich dort noch genügend Steine für die Mauern und Türme des Clans der Luft gefunden.

Die Siedlung war ziemlich groß, eigentlich schon fast eine kleine Stadt zwischen den Bergen und dem Meer. Sauber und voller Grün, denn es gab ausreichend Wasser. Die kleineren einstöckigen Häuser, die hinter Baumkronen verborgen lagen, wurden zum Hauptplatz hin von zwei- und dreistöckigen Gebäuden aus Stein abgelöst. Auf

Vor langer, langer Zeit hatte es einen fanatisch gläubigen Franziskanermönch hierher verschlagen, in seiner Heimat wäre er fast verbrannt worden, aber hier erwies er sich als mächtiger Magier. Aus dieser Zeit stammte die Kirche der Heiligen Gottesmutter Unbekannter Länder, die von eben jenem Franziskaner eigenhändig ausgemalt worden war. Er hatte dieser Aufgabe sein ganzes Leben gewidmet. Und der Clan der Luft wusste Hingabe zu schätzen. Der Mönch fand sogar Nachfolger; die Tradition war bis zum heutigen Tag lebendig geblieben, auch wenn natürlich keiner wirklich daran glaubte. Aber der kleine Tempel, wie das Kirchlein liebevoll genannt wurde, blieb stehen.

Jenseits der Mauern lagen Felder, Bewässerungskanäle, große Farmen und Einzelgehöfte, manche davon eine ganze Tagesreise vom steinernen Rondell der Stadt entfernt. Und noch dahinter - die letzte Station der Eisernen Route, die die Gnome erbaut hatten, als klar wurde, wer der Herr der Mittelwelt war.

Der See lag bald hinter ihnen. Das Gelände schien anzusteigen, der Wald wurde dichter. Sie mussten sich fortwährend durch Windbruch und Dickicht durchschlagen.

Wie man es auch drehte und wendete, in der Nähe von Moskau gab es keine solchen Wälder. Aber er hatte schon aufgehört, sich zu wundern.

»Jetzt kommt der Krumme Hügel, und direkt dahinter der Weiße Hügel«, sagte Tel mit der Stimme einer strengen Lehrerin. »Die müssen wir hinter uns bringen, danach steigen wir in die Windbruchschlucht ab. Sie liegt am nächsten

Viktor fragte nicht nach, warum sie bis Sonnenuntergang dort sein mussten. Er wusste, was getan werden musste - warum, war nicht wichtig.

»Bist du wirklich warm geworden?«, erkundigte Tel sich, während sie den Krummen Hügel hinaufstiegen. In Viktors Augen war dieser Hügel kein bisschen krummer als der Weiße, ebenso wie jener nicht heller war als der Krumme. Aber Namen haben ihre eigenen Grillen. »Wenn du krank wirst ... Wir dürfen keine Zeit verlieren.«

»Unsinn. Ich werde nicht krank. Als Kind hab ich auch mal so was erlebt, ich war genauso von Kopf bis Fuß durchnässt, und meine Großmutter zwang mich, in den See zu springen.«

Tel gab nur ein nachdenkliches »Hhm« zur Antwort.

»Und das Wasser war noch kälter.« Das Reden half ihm, die Kälte und das ekelhafte Schmatzen des Wassers in den Schuhen zu vergessen.

»Wir haben uns dann aufgewärmt ... auch an so einem Feuer wie deinem. Auf dem Nachhauseweg haben wir uns verirrt. Um ins Dorf zurückzukommen, mussten wir durch eine steile Schlucht - wir hatten keine Kraft mehr, sie zu umgehen. Großmutter ist irgendwie runter- und auf der anderen Seite wieder hochgeklettert, mir befahl sie zu springen. Ich bin gesprungen, und sie hat mich aufgefangen, aber ich hatte schreckliche Angst.«

»Eine ganz schön abenteuerlustige Großmutter«, sagte Tel. Ihm war nicht klar, ob sie das wohlwollend oder ironisch meinte.

»Du bist ihr irgendwie ähnlich«, sagte Viktor zu seiner eigenen Überraschung. »In fünfzig Jahren ...«

»Danke«, schnaubte Tel.

Sie gingen einige Minuten lang schweigend. Aber Viktor forschte in seinem Gedächtnis mit wachsender Neugier nach den Einzelheiten jenes, wie es schien, längst vergessenen Erlebnisses. Hatte er sich am Feuer verbrannt? Nein, er wusste es nicht mehr. Aber es kam ihm so vor. Natürlich gab es das Gesetz des sich wiederholenden Zufalls. Aber doch nicht in dieser Form!

»Tel, wir müssen doch nicht von diesen Felsen runterspringen?« Viktor bemühte sich, die Frage scherzhaft klingen zu lassen.

»Nichts und niemand können dich dazu zwingen, irgendetwas zu tun«, sagte sie.

»Was tue ich dann hier?«, erkundigte sich Viktor düster.

»Das, was du selbst willst.«

»Ich will etwas essen«, sagte er ehrlich. »Selbst die Reste vom Rührei würde ich aufessen. Mit Schale.«

»Viktor, ich würde auch gern was essen.«

Plötzlich schämte er sich. Schließlich war er ein gesunder, kräftiger Mann. Neben ihm ging ein minderjähriges Mädchen, und er jammerte noch ...