Das Mädchen nickte zustimmend. »Gleich wird man Euch alles bringen ...«
Eine Sekunde später war sie hinter der Tür verschwunden, und Tel blickte Viktor traurig seufzend an. »Er war ein toller Typ ...«
»Wer? Konam?«
»Ja. Ein großartiger Kämpfer. Ein Abenteurer. Im Übrigen ... davon gibt es ja viele. Aber im Alter kaufte er sich dieses nette kleine Restaurant hier und nannte es Konams Königreich. Damit wurde er in der ganzen Mittelwelt bekannt.«
»Interessante Karriere.«
»Ruhm erwirbt man sich nicht zwangsläufig mit dem Schwert ...« Wieder seufzte Tel und fügte hinzu: »An seine Tochter kann ich mich fast nicht mehr erinnern.«
»Warst du schon öfter hier?«
»Ja, aber das ist lange her.«
»Dieser junge Mann da draußen, ich glaube, er hat dich erkannt.«
Tel zuckte mit den Schultern. »Kann sein. Soll er doch.«
Konams Tochter kam zurück. Schweigend holte sie unterm Tresen zwei hohe Pokale hervor, goss zunächst eine rote Flüssigkeit aus einem Glaskrug hinein und füllte die Gläser dann mit drei verschiedenfarbigen Inhalten aus drei weiteren Flaschen auf. Sie hantierte schnell und geschickt, so dass sich die Flüssigkeiten nicht miteinander vermischten, sondern ein Cocktail mit vier Schichten entstand.
»Trinkt das als Erstes«, empfahl sie.
Viktor setzte sich auf einen Barhocker, und Tel ließ sich neben ihm nieder. Sie nahm ihren Cocktail, hielt ihn vor eine Kerze und schaute ihn kritisch an.
Die vier Schichten fingen an sich zu bewegen, durchdrangen sich langsam gegenseitig. Viktor begriff zu seiner Verwunderung, dass sich auf ihrem Getränk jetzt die sieben Streifen abzeichneten, die das gesamte Farbspektrum ausmachten.
»Sie wissen, wie man einen Regenbogentraum mixt!«, rief Tel begeistert. »Das ist ja wunderbar!«
Das Lob schmeichelte dem Mädchen offenbar.
»Ich heiße Rada.«
»Rada, ich habe gehört, dass Konam geschworen hat, keinem je das Rezept zu verraten.«
»Papa hat es auch niemandem verraten. Nicht mal mir. Ich habe es selbst ausgetüftelt.«
Viktor nahm einen vorsichtigen Schluck. Das Getränk war eindeutig alkoholisch, aber es schmeckte ganz und gar ungewöhnlich. Er fühlte sich buchstäblich nach dem ersten Schluck gestärkt, gleichzeitig begann sein Körper sich zu entspannen.
»Nein wirklich, es gibt nichts Besseres für einen müden Reisenden zu später Stunde als ein Glas Regenbogenträume!«, sagte Tel. »Ach ... warum hat Konam erst so spät seine Berufung entdeckt? Was er sich für wunderbare Getränke ausgedacht hat!«
Viktor befürchtete schon, dass die Worte Rada kränken würden, aber das Mädchen nickte zustimmend. »Ja. Und ich werde mich im Gegensatz zu ihm nicht erst jahrelang mit Schwachsinn beschäftigen. Kommt morgen früh hier vorbei, ich bereite Euch einen Sprudelnden Tag auf Kosten des Hauses. Das ist mein eigenes Rezept. Sogar Herr Andrzej wusste es zu schätzen.«
»Der Magier der Erde?«, wollte Tel wissen.
»Ja, das Oberhaupt des Clans. Er hat hier auf dem Weg in die Schneesteppen haltgemacht. Ein schwächlicher Mann mit Glatze ...« Rada begann zu flüstern: »Dem Aussehen nach völlig gewöhnlich. Da macht jeder beliebige Jäger oder Zimmermann mehr her. Wo die Seele nicht überall einzieht ... Aber getrunken hat er - das glaubt Ihr nicht.«
Entweder waren ihr die nächtlichen Gäste plötzlich sympathisch geworden, oder die junge Frau hatte beschlossen, dass das Geschäft vorgeht, jedenfalls war ihre anfängliche Kälte verschwunden.
»Gleich kommt Euer Essen«, teilte sie ihnen mit. »Jeweils ein Scheibchen gedünsteten Fisches, dazu Gemüse, außerdem Saft und Weinbergschneckenpastete. Das wird genau das richtige Abendessen für Euch sein. Glaubt mir. Bleibt Ihr länger?«
»Nein«, sagte Tel mit Bedauern in der Stimme. »Morgen müssen wir weiter.«
»Vielleicht könnt Ihr wenigstens bis zum Mittagessen bleiben. Suppe auf Elfenart, Rebhuhn im Teig und dazu Liköre vom Clan der Bären. Ihr werdet es nicht bereuen.« Sie lächelte Viktor an und verschwand wieder hinter der Tür.
»Das bestimmt nicht«, stimmte Tel zu und trank ihren Cocktail aus. »Ach ja ... du wolltest morgen nach Hause zurückkehren. Und wann? Gleich morgens oder nach dem Mittagessen?«
Viktor wusste nicht, was er antworten sollte.
Heimat. Ritor, hier wurdest du geboren, und hier wuchst du auf. Hier lerntest du. Von hier bist du zu deinem Feldzug aufgebrochen, der für alle Eingeweihten so schicksalhaft wurde; und hierher bist du zurückgekehrt ... ohne auch nur
Natürlich bemerkten sie ihn schon von weitem. Und er versuchte auch nicht, ungesehen zu bleiben. Seine züngelnde Aura der Kraft war für die Magier seines Clans schon aus vielen Meilen Entfernung zu erkennen. Und als er seine Flügel schloss und sich neben dem Vordach der Magierschule, die gleichzeitig seine Wohnstatt war, niederließ, hatte sich rundherum bereits eine Menschenmenge versammelt. Alle schwiegen. Sie wussten, dass sich ein Unglück ereignet hatte.
Ritors Augen suchten in der Menge nach Taniels Mutter. Er senkte den Kopf, unfähig, ihren Blick voll schmerzlichen Vorwurfs zu ertragen. Er hatte nichts auszurichten vermocht, hatte den Jungen nicht behütet, nicht verteidigt, und jetzt waren alle Worte sinnlos.
Dennoch und trotz alledem begann Ritor zu sprechen. Er durfte vor seinen Leuten keine Geheimnisse haben. Das Wasser verstand sich auf die Kunst der Lüge - wie übrigens auch die Luft -, aber was er ungesagt ließe, würde der Feind verdrehen und eilig herumerzählen.
Kurz, aber ohne etwas zu verschweigen, berichtete Ritor von dem Kampf mit Torn und dessen Leuten in der Burgruine, über den Verrat, die Ermordung der Abordnung vom Feuerclan und darüber, wie man ihn - alle Gebräuche missachtend - auf Loj Iwers Ball hatte umbringen wollen.
»Nun, Brüder, was sollen wir jetzt tun? Schweigen, ausharren, uns ergeben?« Mit dieser Frage schloss er seine Erzählung.
Die Menge, die ihm in Grabesstille gelauscht hatte, brach innerhalb eines Wimpernschlags in kreischendes Geheul
»Krieg«, erklang über dem Platz der lautlose Ruf der Häuser. »Krieg und Tod ihnen allen«, wiederholten die Felsen. »Feuer und Tod über sie«, rauschten die Wälder.
Nur der kluge, träge Fluss schwieg dieses Mal.
Und das Meer sagte niemals etwas.
Endlich legte sich der stürmische Aufruhr, und Ritor hob die Hand.
»Wie es das Gesetz verlangt, werden wir noch heute im Rat des Clans über alles sprechen. Ich werde nachdenken. Und auch ihr werdet nachdenken. Morgen bei Tagesanbruch werden wir unsere Entscheidungen vergleichen.«
Zweifellos werden sie den Krieg wählen, ging es Ritor durch den Kopf. Allzu gut wissen sie über meine Feindschaft mit Torn Bescheid. Die Clans selbst sind schon lange nicht mehr aneinandergeraten ... aber ein Anschlag ist ein Anschlag, und eine Feindschaft mit dem Anführer kommt einer Feindschaft mit allen gleich. Der Clan wird sich erheben. Und das bedeutet, dass der Krieg unvermeidlich ist. Wir bauen den Angeborenen selbst noch die Brücke ...
Und auch jetzt konnte Ritor nicht einmal daran denken, die Wahrheit vor seinen Brüdern zu verbergen. Vielleicht wenn der erste Zorn verraucht war, würde er die Seinen zurückhalten können.
Denn sie durften ihre Kräfte nicht in einem sinnlosen Zwist mit dem mächtigen Clan des Wassers vergeuden (die
Und es durfte jetzt auch keine Rolle spielen, dass der Drachentöter selbst wahrscheinlich keine Schuld trug. Es war eine einfache Rechnung: ein Leben für Tausende.
Gab es noch eine andere Entscheidung? Damit keiner sterben musste? Ach, leider waren sie nicht in der Ethikstunde.
Er hatte das Gefühl, er würde niemals einschlafen. Wenn man so müde ist, scheint der Organismus sich zum eigenen Schaden zu weigern einzuschlafen. Ja, versuch es, plag dich, damit du weißt, wie man den eigenen Körper verhöhnt. Viktor begriff sehr wohl, dass es hauptsächlich am außergewöhnlich hohen Adrenalin- und Endorphinspiegel im Blut lag, an der erhöhten Stromspannung der Ionenkanäle und einem übermäßigen Transport von Synapsenbläschen - aber er begriff es nur mit dem Verstand. Die andere Hälfte seines Bewusstseins beharrte aus irgendeinem Grund darauf, dass es das Schicksal war, das ihn warnen wollte: Schlaf nicht heute Nacht, schlaf nicht, schlaf nicht, schlaf ni-icht!