Früher war er nur in Fantasy-Romanen auf Elfen, Gnome und ähnliche Fabelwesen gestoßen. Und das nur ganz selten, wenn er gerade absolut keine andere Lektüre zur Hand hatte. Und nun lag er selbst im Bett eines Hotels, dessen Wächter ein waschechter Elf war! Hm, wenn Elfenmänner schon so aussahen, wie mussten dann erst die Elfenfrauen aussehen? Elfenfrauen, Elfchen, Elfinnen, Elfessen ... wirklich
Er erhob sich auf die Ellbogen. Tel schlief friedlich, leise wie ein Mäuschen, das im Schlaf gelegentlich schnaufte. Viktor legte sich wieder auf den Rücken. Unwillkürlich musste er an die Räuber denken ... und jenen Unglückseligen, der um sein Leben gefleht hatte ... Was hatte er da gesagt? »Ich bin dein Sklave, Herrscher ...«?
Herrscher.
Nichts dagegen einzuwenden, das klang gut. Jeder Mensch dachte doch insgeheim: Ja, ich werde nicht geschätzt, nicht verstanden, ich bin in Wirklichkeit mehr wert, bin viel besser als die anderen und kann mich nur wegen aller möglichen Intrigen nicht richtig entfalten, aber eines Tages werde ich es euch schon zeigen ... Kein Wunder, dass Schmeichelei eine der stärksten menschlichen Waffen war.
Viktor bemerkte es nicht, als der Schlaf kam. Sein Bewusstsein blieb klar, seine Gedanken präzise und scharf umrissen. Er war der Ansicht, dass er einfach nur so für sich nachdachte ... und deshalb wunderte er sich ein wenig, als er sich selbst plötzlich an einem unbekannten Ufer stehen sah. Der Sand war vollkommen, unerträglich schneeweiß. Das war noch nicht so außergewöhnlich, obgleich man ein solches Weiß auf der Erde - genauer gesagt auf der Anderen Seite - wohl kaum finden würde, wahrscheinlich nicht einmal in der Arktis.
Ja, der Sand war weiß und das Wasser - im Gegensatz dazu - schwarzblau. Wie Erdöl. Viktor wollte sich schon die Augen reiben, doch dann begriff er, dass es dumm war, sich zu wundern. Hier musste das wohl so sein. Träume
Die Berge reichten bis ganz ans Ufer heran. Keine normalen Berge, wie man sie kennt, sondern eine lange Reihe gleichmäßiger, komplexer geometrischer Gebilde. Jede Erhebung erinnerte aus irgendeinem Grund an einen gigantischen Baum - mit einem glänzenden, halbdurchsichtigen Stamm von einem Kilometer Höhe und mit geradezu ideal gleichmäßigen Kanten, außerdem war jeder Berg in drei Teile unterteilt, von denen der jeweils mittlere Abschnitt als Grundlage für ein neues, kleineres Dreieck diente, und so immer weiter, bis ins Unendliche ...
Zum Meer hin waren diese seltsamen Gebilde glatt abgeschnitten - wie Sockel.
Zwischen diesen Gebilden, von denen man nicht wusste, ob es nun Bauten oder natürliche Formationen waren, erstreckten sich lange Zungen mit gewöhnlichem grünem Gras, das hochgewachsen und scharf war wie Riedgras.
Weiter hinten sah man Wald. Allerdings war er violett und stellenweise einfach dunkelblau, als würde in dieser Welt das Gesetz der Photosynthese nicht gelten.
Und über dem äußersten Rand des Waldes bemerkte Viktor Rauch aufsteigen.
Er ging in diese Richtung - was hätte er sonst tun sollen.
Die ganze Zeit horchte er in sich hinein. Ein merkwürdiger Traum war das. Sehr prägnant und realistisch. Sogar das violette Laub und die schwarzen Wellen wirkten stimmig. Na gut, stimmig also, aber das war noch nichts Besonderes ... in Träumen erschien einem doch immer alles richtig. Aber warum empfand er die Umgebung dann als so fremd?
Das passte nicht. Wenigstens im Traum wollte er sich entspannen!
Er tat einen Schritt, einen weiteren ... und plötzlich begriff er, dass es ihm hier gefiel. Sein Körper war erfüllt von einer rauschhaften Leichtigkeit, als atmete er reinen Sauerstoff. Das Ganze wies die Symptome einer tiefen Narkose auf, aber Viktor befand sich jetzt doch nicht im Tiefschlaf!
Mit Mühe unterdrückte er den Wunsch, einfach loszulaufen.
Das breitblättrige Riedgras zog sich das ganze Ufer entlang. Zwischen den Pflanzen war kein Weg zu erkennen. Nachdem er sich versichert hatte, dass die scharfen Halme nicht durch die Jeans stachen, wählte Viktor zufrieden den direkten Weg mitten hindurch.
Wenig später erkannte er, dass der Rauch sich über dem breiten, flachen Dach eines großen, einstöckigen Gebäudes erhob. Der gedrungene Bau bestand aus rosafarbenen Steinplatten, die bereits von fettem Ruß verdorben waren. Aus dem breiten gemauerten Kamin, der ebenfalls niedrig und gedrungen war (Warum nur? Das war doch schlecht für die Statik ...), stieg der Rauch auf. Rauch, wie er sein sollte, dicht, schwarz und in dicken Wolken. Um das Haus herum stank es betäubend nach etwas widerwärtig Säuerlichem - als ob innen eine ganze Batterie von Bottichen stünde, bis
Der ätzende Geruch drang ihm in die Nasenlöcher, Viktor musste husten ... besser gesagt, sein Gedächtnis forderte ihn auf zu husten. Er selbst atmete nur kraftvoll aus, um diese Widerwärtigkeit aus seinen Lungen zu drücken, die nichts mit gewöhnlichen Säuren gemein hatte.
Es war Gift, wie ihm plötzlich klarwurde. Gift, dazu noch durchdrungen von Magie. Aber ihm konnte das Gebräu aus irgendeinem Grund keinen Schaden zufügen.
Es gab keine Türen am Haus. Nur einen breiten, dunklen Eingang, durch den man in der Dämmerung matt und gleichmäßig etwas flackern sah.
»Hallo, ist da wer?«, fragte Viktor gedämpft.
Das Feuer in der Tiefe des Hauses flackerte erschrocken auf und erlosch. Im gleichen Moment erklang ein zorniges Gebrüll, eine lange wutentbrannte Tirade, deren Aussage sich im Wesentlichen auf »Wer wagt es?« beschränkte, die jedoch sehr bild- und wortreich vorgetragen wurde und mit zahlreichen Verfluchungen der Verwandtschaft des Beschimpften bis ins zwölfte Glied versehen war.
Aus dem Dunkeln schoss ein sehr kleiner, äußerst dicker Mann mit breiten Schultern, rotem Haarschopf, einem gewaltigen Bauch und hängenden buschigen Augenbrauen. Die Nase des Hausherrn zierten zahlreiche dunkelrote und bläuliche Äderchen. Der giftige Geruch nach Säure wurde augenblicklich von einem schmerzlich vertrauten Geruch abgelöst, der ihn wieder an jenen Sanitärtechniker seiner Wohnungsinstandhaltungsgesellschaft erinnerte.
»Wer bist du denn?«, schnauzte ihn der Knirps an. Sein Leinenhemd und die Hose waren voller Flecken und Brandstellen. Seine Hände steckten in dünnen chirurgischen Latexhandschuhen,
»Schweig«, brach es plötzlich aus Viktor heraus. »Wie kannst du es wagen, mich auf der Schwelle stehen zu lassen.«
Der Dicke begann mit einem Mal, heftig zu schwitzen. Er trat einen Schritt zurück, wandte den Blick jedoch nicht ab.
»Ach je, ein bedeutender Gast beehrt mich«, murmelte er zwischen den Zähnen, während er die Handschuhe von den Händen zog. »Bedeutend und selten ... nun ja, wie dem auch sei, komm herein! Wenn du schon mal da bist, werd ich dich nicht fortjagen. Der Geruch hier wird dir freilich kaum gefallen ... nun nimm es mir nicht übel, schließlich habe ich dich nicht gerufen.«
Falls der Dicke sich fürchtete, so wusste er seine Angst jedenfalls zu verbergen. Und sicherlich war er nicht so dumm, sich zu prügeln. Zwar hatte er Viktor hereingebeten, aber so, wie er dastand, blockierte er fast den ganzen breiten Durchgang.
»Schlecht empfängst du deine Gäste«, sagte Viktor und wunderte sich selbst über seine Unverschämtheit.
Das ist doch alles ein Traum ... nur ein Traum.
»So gut ich es eben vermag«, antwortete der Knirps. Als er die Handschuhe endlich abgezogen hatte, schleuderte er sie treffsicher in ein Fass - etwas zischte widerwärtig, und aus dem Fass stieg Dampf auf. »Wie sagt man bei euch noch? Wir sind nicht aufs Gymnasium gegangen ...«