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»Nein ...«, bekannte der Mann unerwartet und rieb sich nervös die Hände an seiner Lederhose ab. »Euer Gnaden ...«

»Ich bin nicht Euer Gnaden!«

»Herrin, der Teufel hat es verwechselt ... ich bringe es wieder in Ordnung ...«

»Wie willst du das in Ordnung bringen? Willst du die Klinge endgültig ruinieren? Hast du dein Gedächtnis versoffen, dass du einen Elfenschliff mit einem schrägen Pendelschliff verwechselst? Ach, soll dich doch die Dampflok überfahren!«

Viktor erschauderte. Und in diesem Augenblick, wie um Radas Worte zu bekräftigen, erklang ein langgezogenes, durchdringendes Pfeifen.

Wie gelähmt hob Viktor den Blick und sah in der Ferne, hinter dem Zaun, der den kleinen Garten begrenzte, hinter

»O Gott ...«, stöhnte Viktor; und da ihm jeder Glaube fehlte, legte er in diesen Ausruf seinen ganzen Vorrat an Verwunderung für diesen Tag.

Ein Zug jagte die Gleise entlang. Vorneweg eine gewaltige, wundersam unsinnige Dampflok mit einem riesenhaften Kessel aus poliertem Kupfer, in dem sich die aufgehende Sonne spiegelte; aus den vier Schornsteinen hinter dem Kessel stiegen schwarze Rauchwolken; auf die Lok folgten drei offene Plattformwagen, auf denen Hügel von Kohle aufgehäuft waren, sowie fünf oder sechs lange, hölzerne Waggons, jeder in einer anderen Farbe angestrichen.

Der Zug gab noch ein weiteres gellendes Pfeifen von sich, dann verlangsamte er allmählich seine Fahrt. Der Rauch, der den Schornsteinen entwich, wurde währenddessen immer dichter.

»Die Route ...«, sagte Viktor. »Die Route? Tel!«

Er drehte sich um, aber Tel war natürlich auch jetzt nicht im Zimmer.

»Guten Morgen«, rief ihm Rada von unten zu.

Viktor beugte sich bis zur Taille aus dem Fenster. »Guten Morgen! Rada, was ist das?«

Der Mann neben ihr zog das missratene Schwert aus der Erde und sah mit niedergeschlagenem Blick auf die Schneide.

»Was?«

»Nun ...« Er zögerte. »Der Zug ...«

»Der Zug. Ist ein Zug.« Rada lachte. »Kommen Sie runter, ich habe Ihnen doch einen Sprudelnden Tag versprochen.«

»Danke.«

Viktor hielt es für angebracht, sich aus dem Fenster zurückzuziehen, ehe die junge Frau ihn endgültig für einen Idioten hielt. Oder war es schon zu spät?

»Nein, Tel, jetzt reicht’s«, brummte er, während er sich anzog. Er ging ins Bad, das sehr anständig aussah, mit einem ... hm ... normalen Waschbecken und einer Badewanne. Es gab sogar fließend heißes Wasser, das allerdings etwas rostig aus der Leitung kam, aber das kannte er auch von zu Hause. Von der Welt auf der Anderen Seite.

Entschlossen ging Viktor zur Tür. Sie hatte ihren Spaß gehabt - es reichte. Gut, er glaubte an alles, er nahm alles als gegeben hin, er würde sich nicht aufregen. Aber jetzt war es an der Zeit, von hier wegzukommen. Dieser Ort hier war ruhig und friedlich, das Mädchen würde nicht verloren gehen ... ha, so eine wie sie würde nirgendwo verlorengehen. Weder nachts auf Moskaus Straßen noch hinter der Grauen Grenze.

Er schloss die Tür und lief die Treppe hinunter. Der rothaarige junge Mann saß nicht an dem Tisch, wohl aber der Elf.

»Mein Teuerster, könnten Sie mir wohl sagen, wohin meine junge Weggefährtin gegangen ist?« Viktor konnte sich den unerträglich falschen, pseudomittelalterlichen Ton einfach nicht verkneifen. »Oder wäre es Ihnen vielleicht sogar möglich, sie zu holen?«

Der Elf maß ihn mit seinen honiggelben Augen und antwortete melodisch: »Selbstverständlich nicht ... mein Teuerster.«

»Und warum nicht?«

»Kommen Sie zu mir.«

Ohne den Blick von dem Bogen auf dem Tisch abzuwenden, ging Viktor auf den Wächter zu. Und erstarrte, während ihm die Röte ins Gesicht stieg.

Der Elf, der vor ihm am Tisch saß, hatte keine Füße. Seine Hose aus grüner Seide endete knapp unter den Knien.

»Es wäre sehr beschwerlich für mich, Ihre junge Weggefährtin zu holen«, fuhr der Elf fort. »Sie hat das Hotel vor zwanzig Minuten verlassen.«

»Verzeihen Sie ...«, flüsterte Viktor.

»Bevor sie wegging, hat sie den Schlüssel abgegeben«, erklärte der Elf, ohne auf die Entschuldigung einzugehen. »Sie sagte, sie wolle mit dem Morgenzug abreisen. Ich nehme an, dass es mir um nichts in der Welt gelingen würde, sie noch zu erreichen.«

Die Stille wurde durch ein zweifaches Pfeifen durchbrochen. Der Elf runzelte die Stirn, als wäre ihm das Geräusch, selbst durch die Mauern gedämpft, unaussprechlich zuwider. »Und nun, so vermute ich, würden auch Sie das Mädchen nicht einholen können.«

Es vergingen einige Sekunden, ehe Viktor begriff, was passiert war.

»Tel ist mit dem Zug abgereist?«

»Wenn Ihre Weggefährtin Tel heißt, ja. Natürlich könnte sie es sich auch anders überlegt haben.« Der Elf stützte sein Kinn auf seine schmalen Finger. »Aber ich hatte den Eindruck, dass ihren Worten stets Taten folgen.«

Viktor ging wie betäubt zur Tür.

»An Ihrer Stelle würde ich frühstücken«, rief ihm der Elf hinterher. »Ich würde mich mit einem Krug Ale zehn Minuten in Ruhe hinsetzen. Und erst dann würde ich zur Tat schreiten. Übrigens, für den Fall, dass Sie meinem Rat folgen, könnten Sie Rada bitten, mir ebenfalls ein Frühstück zu bringen?«

»Ich ... werde es ihr ... sagen.« Viktor blickte dem Elf ins Gesicht. Sein Ausdruck war nicht verächtlich und auch nicht spöttisch, nur fremd. »Wie heißen Sie? Dersi?«

»Für die Menschen ... ja.«

»Dersi, ich hatte gestern Nacht den Eindruck, dass Ihr Kollege das Mädchen erkannt hat ...«

»Fragen Sie ihn selbst.«

»Hat er seine Vermutungen nicht mit Ihnen geteilt?«, fragte Viktor vorsichtig.

Das Gesicht des Elfen veränderte sich eine Spur, und Viktor begriff, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

»Fragen Sie ihn selbst. Der Rote kommt zum Mittagessen. Ich will mich nicht in die Angelegenheiten der Menschen einmischen.«

»Danke.« Viktor gab es auf. »Ich werde Ihrem Rat folgen.«

6

Im Tageslicht büßte das Restaurant einiges an Intimität ein, dafür wurden neue Einzelheiten des Interieurs sichtbar. Alte Schwerter und Speere waren an den Wänden zwischen den Fenstern befestigt. Einige durchlöcherte Waffenschilde hingen unter der Decke. Allerdings waren nun auch die Rußflecken auf den Kerzenleuchtern zu erkennen ebenso wie die Abdrücke auf der Zwischenwand zwischen Tür und Bar - als hätte jemand sich lange die Zeit damit vertrieben, die Beine gegen die Wand baumeln zu lassen.

Es waren keine neuen Gäste hinzugekommen. Der untersetzte Mann, der am Vorabend mit dem Kopf auf dem Tresen geschlafen hatte, saß an einem Tischchen in der Ecke und verzehrte geräuschvoll sein Frühstück. Rada hockte an der Tür und besah sich noch immer das missratene Schwert.

»Ist es wirklich ruiniert?«, fragte Viktor und setzte sich neben sie. »Dieser Dersi bittet darum, ihm das Frühstück zu bringen.«

Rada atmete tief durch, erhob sich und machte sich etwa eine Minute hinter dem Tresen zu schaffen. Viktor wartete und berührte mit der Fingerspitze vorsichtig die glänzende

Übrigens, wie rasierte man sich hier eigentlich? Rasierzeug hatte er nicht dabei. Womöglich gab es hier Elektrorasierer? Viktor kicherte dümmlich und zog seine Hand vom Schwert.

Rada kam zurück mit zwei Pokalen, die mit einem öligen schwarzen Gebräu angefüllt waren. Das Getränk schäumte und sprudelte.

»Hier ist ein Sprudelnder Tag«, sagte das Mädchen.

Viktor blicke das Gefäß misstrauisch an und hob es unter die Nase. Die Flüssigkeit roch frisch. Fast wie Ozon.

»Rada, kann man das auch wirklich trinken?«

Das Mädchen nippte schweigend an ihrem Pokal.

Viktor seufzte und nahm einen Schluck.