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An ihre Ausdrucksweise hatten sich alle im Clan längst gewöhnt. Im Laufe einiger Hundert Jahre hatten die Leute aufgehört, sich jedes Mal beleidigt zu fühlen. Ritor fragte sich gelegentlich, ob Sandras üppige Meeresrhetorik und die komplizierten Schimpfwörter nicht nur eine Art Maske darstellten, die Maske einer erschrockenen Frau, die sich plötzlich in einer fremden Welt wiedergefunden hatte. Bestätigt fühlte er sich in diesem Verdacht durch die Tatsache, dass die Meereswölfin Sandra nie auch nur den geringsten Wunsch äußerte, an Bord zu gehen. Womit sie vollkommen Recht hatte, denn auf Schiffen waren Frauen normalerweise nicht willkommen - höchstens ... in einer einzigen Rolle.

Aber sie war eine gute Magierin. Für eine Frau geradezu herausragend.

»Sandra! Gib doch bitte dein Enterkommando auf und dreh für einen Augenblick bei, ja?«, erklang die Stimme des vierten Magiers. Er war dunkelhäutig, hatte eine Hakennase und hörte auf den merkwürdigen Namen Boletus Eduljus. Auch er war - genau wie Sandra - von der Anderen Seite gekommen. »Wir haben Ritors Argumenten zugestimmt, als er vorschlug, vorerst keinen Krieg gegen Torn zu führen. Aber diesmal können wir ihm unmöglich zustimmen. Diese Beschwörung würde zu viel Energie erfordern. Ganz abgesehen davon, dass wir nicht mit der einen Stunde unserer größten Kraft auskommen würden, müssten wir fast alle unserer Schutzwälle und Beobachtungsformeln aufgeben und würden selbst für längere Zeit ausfallen. Ich habe keine Angst um mich, aber denk doch mal an Roj und Gaj. Die Kräfte des Clans sind nicht unbegrenzt, Ritor. Zum großen Wind! Das weißt du doch genauso gut wie ich. Der Clan würde praktisch ohne jeden Schutz zurückbleiben. Es wäre ein Kinderspiel für Torn, uns zu vernichten ...«

»Na, das sicher nicht!«, bellte Sandra und zog unter ihrem breiten, bunten Gürtel einen mächtigen Enterhaken hervor. Von dieser Waffe trennte sie sich angeblich nicht einmal im Bett, wo sie - Gerüchten zufolge - ein unbändiges Temperament auszeichnete. Obwohl sie schon ein achtbares Alter erreicht hatte, sah Sandra nicht älter als fünfunddreißig aus. »Ehe diese Ausgeburt eines Abortmatrosen und einer syphilitischen Meerjungfrau auch nur ...«

»Sandra, Werteste«, sagte Ritor geduldig. »Bitte lass den verehrten Eduljus erst zum Ende kommen ...«

»Der kommt doch nur in der Horizontalen zum Ende«, bellte die Zauberin. »Ich weiß schon, was er sagen wird! Er

Die ehrwürdigen Magier wurden unruhig, einer kicherte.

»Bravo, bravo, Sandra!« Boletus war überhaupt nicht beleidigt und klatschte beifällig in die Hände. »Es gefällt mir, wie du deine Ansichten auf den Punkt bringst. Und im Großen und Ganzen hast du Recht. Genau das wollte ich sagen. Ganz sicher wird Torn die Gelegenheit ergreifen, uns zu überfallen. Ich nehme an, er lässt uns schon jetzt nicht aus den Augen. Sobald wir uns öffnen, wird er uns attackieren. Und zwar unverzüglich. Für ihn ist es gerade jetzt wichtig, dass wir den Drachentöter nicht erreichen, solange dieser noch schwach ist. Ihr mögt mich für einen Feigling halten, aber dieser Plan unseres verehrten Ritor kommt einem Selbstmord gleich. Da ist es schon besser, wir entsenden die Aufklärer. Ja, das wird länger dauern, und ja, ihre Nachrichten sind nicht immer zuverlässig. Aber dafür ist es für den Clan weniger gefährlich.«

Ritor wollte die Hand erheben, aber der hakennasige Zauberer dachte noch nicht daran, zu verstummen.

»Ich bin nicht taub, Ritor, ich habe sehr wohl gehört, was du gesagt hast. Ich weiß, wir könnten zu spät kommen. Das ist wahr. Aber auch der Drachentöter ist nicht sofort zur Stelle, wenn der Drache, wenn der Herrscher die Mittelwelt erreicht. Auch der Drachentöter braucht Zeit, und das nicht zu knapp.«

»Zum Teufel noch mal, dann kannst du dich ja um ihn kümmern, Boletus«, schnaubte Sandra. »Der macht mit links

Eduljus lächelte verschlagen. »Auf den ersten Blick, meine Unvergleichliche, aber nur auf den ersten Blick. Der Drachentöter ist genauso verwundbar durch Schwerter, Pfeile und Kugeln wie jedes andere sterbliche Wesen auch. Ein ordentlicher Hinterhalt ... Ritor! Warum schweigst du? Weißt du etwa nicht mehr, wie es zu deiner Zeit war?«

Boletus hatte Recht. Dennoch ...

»Um dem Drachentöter eine solche Falle zu stellen, müssen wir erst wissen, wo er sich befindet«, antwortete Ritor mit unbewegter Stimme. »Er wird alles tun, um uns von seiner Spur abzubringen. Ich hege keinen Zweifel daran, dass Torn sich jetzt ebenso seine Gedanken macht wie wir. Daher wird es fast unmöglich sein, dem Drachentöter eine Falle zu stellen. Höchstens auf der Dracheninsel, aber dann können wir uns ebenso gut gleich selbst ertränken ...«

»Wir könnten auch den Drachen beschützen, wenn er kommt«, wandte Solli ein.

Ritor lachte bitter.

»Das wird uns wenig nützen, mein Freund. Der Drachentöter spürt den Drachen besser als eine Maus den Käse. Er wird den Herrscher vor uns aufspüren, ganz gleich, wie sehr wir uns bemühen. Nein, es gibt einfach keinen anderen Ausweg. Ich bin sehr beunruhigt, und ich habe mir angewöhnt, meiner Unruhe zu vertrauen. Was eure Sorge um unseren Schutzwall angeht ... nun, die kann ich gut verstehen, aber uns wird ein sehr cleverer Junge zur Seite stehen.«

»Asmund«, lachte Sandra plötzlich.

»Woher weißt du das?« Ritor runzelte die Stirn.

Die Zauberin verschränkte die Arme über ihrem üppigen Busen und senkte aus irgendeinem Grund den Blick. Dann hustete sie verlegen.

»Es gab da so einen Vorfall ... zu überprüfen«, erklärte sie vage. »Ach, das ist ein geschicktes Teufelchen!«

Die anderen begannen alle gleichzeitig zu reden. »Ein neuer Magier?« ... »Ist er stark?« ... »In welchem Stil arbeitet er?«

Nur Boletus’ Gesicht verdüsterte sich, und das war verständlich. Asmund gehörte zu seinen Schülern, und das bedeutete, dass ihm ein für den Clan bedeutsames Talent durch die Lappen gegangen war.

»Über Asmund reden wir später«, sagte Ritor entschieden. »Lasst uns jetzt abstimmen.«

»Ich bin dagegen«, sagte Roj eigensinnig.

»Ich auch.« Gaj unterstützte seinen Bruder.

»Ich bin dafür!«, bellte Sandra. »Ihr stinkenden Stinktiere, dass euch alle die Impotenz trifft!«

»Das hat sie schon«, sagte Roj ruhig. »Lass uns nicht darüber reden, Sandra.«

»Entschuldige.« Die Zauberin drehte sich düster zur Seite. »Aber ich bin trotzdem dafür.«

»Ich ebenfalls«, sagte Solli unvermittelt. »Du hast mich überzeugt, Ritor.«

»Also zwei dafür und zwei dagegen«, stellte der Zauberer fest. »Und du, Boletus?«

»Ich enthalte mich«, antwortete dieser nicht ohne Häme. »Ich kann nicht sagen, dass mich dein letztes Argument völlig umgestimmt hat ... andererseits lässt es mich auch nicht ganz ungerührt.«

»Drei dafür, zwei dagegen, eine Enthaltung. Die Entscheidung ist gefallen. Roj und Gaj, werdet ihr uns helfen?«

Die beiden unzufriedenen Alten waren schon fast an der Tür, jetzt blieben sie stehen. Gaj sah Ritor mit unverhohlenem Zweifel an.

»Wir schaffen es nicht ohne euch«, sagte das Oberhaupt des Clans eindringlich. »Wer könnte besser die Kräfte verteilen als du, Roj? Und wer könnte sich besser strecken als du, Gaj?«

»Nun ja«, brummte Roj. Es war zu sehen, dass er geschmeichelt war. Selten genug gab der mächtige Ritor zu, dass er etwas nicht allein vermochte. »Hast du also endlich begriffen, dass auch alte Besen kehren ...«