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»Und wer bezahlt ihr Bier?«, fragte Rada. Allerdings erst, als die Familie sich bereits entfernt hatte, denn offensichtlich hatte sie das Gespräch nicht unterbrechen wollen.

»Ich.« Schweigend holte Viktor ein Goldstück aus dem Säckchen. »Rada, wer sind sie?«

»Was für eine Frage! Das wirst du ja wohl besser wissen, Doktor!«

»Bitte glaub mir, Rada, ich habe keine Ahnung.«

»Also wirklich ... das kann ich kaum glauben.« Das Mädchen musterte ihn jetzt mit sehr viel mehr Interesse als zuvor. »Ich weiß auch nicht viel. Entlang der Grauen Grenze gibt es Höfe, jeder besteht aus jeweils zwei, drei Häusern. Es heißt, die Leute dort seien die Nachkommen von Soldaten aus jener Armee vor langer Zeit, deren Tote hinter der Grenze einfach keinen Frieden finden. Es gibt menschliche Gehöfte und solche für Elfen und Gnome. Die Leute dort pflegen mit niemandem Umgang außer mit ihresgleichen. Ganz selten kommen sie in die Dörfer. Es gibt Gerüchte ...«, Rada schwieg einen Augenblick und sah Viktor prüfend an, »dass diese Höfler auf den Wegen um die Grenze herum manchmal Reisende überfallen und ausplündern. Sie haben ihre eigenen Sitten, ihren eigenen Glauben und ihre eigenen Gesetze. Sie nennen sich die Wächter der Grenze. Ein seltsames Volk.«

»Und?«

»Was und? Mehr weiß ich auch nicht.«

»Gibt es hier einen Hinterausgang?«

»Aus dem Restaurant? Willst du Reißaus nehmen?«

»Ja.«

Rada schüttelte den Kopf. »Es gibt einen Ausgang. Aber das wird dir nichts nützen. Hast du ihre Augen nicht gesehen?« Viktor nickte widerwillig. »Das sind Fanatiker. Also,

»Gib mir auch ein Bier, Rada«, bat Viktor mit einem Seufzer.

Mit dem Pokal in der einen Hand und dem Schwert in der anderen trat Viktor in die Halle hinaus. Der Grenzer und seine Söhne standen nah beieinander an der Tür und strafften sich bei seinem Anblick, wie es neue Rekruten vor einem strengen Sergeanten ... oder besser noch ... einem geliebten Bataillonskommandeur tun.

Der Elf blickte ihn nachdenklich und fremdartig an.

»Dersi ...«, Viktor verlor den Faden, weil er nicht wusste, wie er das Gespräch anfangen sollte. »Dein Kollege ... der Rothaarige ... Wo kann ich ihn finden?«

»Er kommt bald.« Der Elf griff sich ein Blatt Salat von dem Teller und schob es sich in den Mund. Seine Bewegungen waren geziert wie die eines Adeligen auf dem Ball der Königin oder wie eines Rassepferdes, das ein Stück Zucker von einer Handfläche nahm. »Ich vermute, der Rote ist im Begriff, seiner Neigung für das weibliche Geschlecht nachzugehen. Aber wo er genau ist ...«

»Ich habe nicht viel Zeit, Dersi. Ich muss den Donnerpfeil erwischen.«

Der Elf schüttelte den Kopf. »Dann werden Sie ihn wohl kaum antreffen.«

Pech auf der ganzen Linie ... Mit einem Nicken legte Viktor den Schlüssel auf den Tisch. »Schade. Na dann, ich reise ab.«

»Alles Gute«, sagte der Elf gleichgültig.

Noch einmal versuchte Viktor den Wall seiner Fremdartigkeit zu durchbrechen und fragte: »Dersi, ich habe ... eine persönliche Frage ... dieser Bogen ...« Der Elf warf einen schnellen Blick auf seine Waffe. »Er ist sehr schmal. Der wird doch kaum eine gute Waffe abgeben ...«

»Die Pfeile sind vergiftet«, antwortete der Elf gelassen. »Wir hatten schon immer hervorragende Gifte. Solche gegen die Vögel, andere gegen Tiere und wieder andere gegen Menschen.«

Viktor musste husten, dann drehte er sich um und verließ das Hotel.

So hatten sich die Elfen also ihren Ruf als herausragende Schützen erworben!

Hinter ihm her kamen trappelnd der Grenzer und seine Söhne. Viktor blieb stehen und wandte sich um. Ihre Mienen erhellten sich vor seinen Augen und nahmen einen diensteifrigen und gehorsamen Ausdruck an.

»Ihr seid selbst schuld, ihr habt uns überfallen ...«, begann Viktor.

Nun flackerte Angst in den Augen des Grenzers auf. »Herrscher!«

»Halt! Ich zürne dir nicht. Ich habe dich laufen lassen ...«

»Ja, Herrscher ...«

»Aber du bist mir zu nichts verpflichtet. Verstehst du? Lebe weiter. Hör auf mit dem Plündern und such dir eine anständige Arbeit ...« Er war selbst erstaunt über diese hochtrabende Phrase. Wer war er, der Papst? »Ich brauche deine Dienste nicht!«

Der Räuber schwieg dumpf vor sich hin. Viktor drehte sich um und ging die menschenleere Straße hinunter, hinter sich vernahm er Schritte.

»Wieso hängt ihr euch an mich?« Viktor gestikulierte mit der Hand, ohne daran zu denken, dass er ein Schwert umfasst hielt. Der Grenzer zwinkerte. Er wollte offensichtlich nicht sterben, aber er war bereit, einen Schlag zu empfangen.

Viktor spuckte aufs Pflaster und schritt weiter die Straße entlang, dabei versuchte er nicht länger auf seine schweigende Eskorte zu achten. Er würde sie schon irgendwann abschütteln. Sie würden doch nicht von hier wegwollen. Wenn er erst im Zug saß ... sie würden doch ihre angestammte Heimat nicht verlassen, sich nicht Hals über Kopf ins Unbekannte stürzen!

Ein paarmal begegnete er Leuten auf seinem Weg; sie sahen ganz und gar nicht auffällig aus, und Viktor schenkten sie keine Beachtung. Aber ihre Kleidung war irgendwie anders - nicht unbedingt, was die Stoffart oder die Machart anging. Aber Viktor hatte den Eindruck, als gäbe es keine Standardfarben und -schnitte. Als ob jeder selbst seine Kleider bei einem ordentlichen Schneider in Auftrag gäbe ...

Vielleicht gab es hier ja tatsächlich keine Maschinenproduktion. Aber warum? Es gab eine Eisenbahn, das bedeutete doch, dass es mindestens Dampfmaschinen geben musste. Was wiederum ausreichend wäre, um eine Art Textilindustrie zu schaffen ...

Als er sich bei dieser Art unternehmerischer Neugier ertappte, musste Viktor lachen. Na klar. Ein Yankee am Hofe König Arturs! Er war schließlich nicht der Erste, den es von der Anderen Seite hierher verschlagen hatte. Wenn es hier trotz der grundsätzlichen Gegebenheiten keine Textilindustrie gab, dann hatte das vermutlich ernste Gründe. Es wäre dumm, deswegen in die Fänge der örtlichen Inquisition zu geraten oder womöglich der Zunft der Hosenschneider

Und zum ersten Mal erfasste ihn der Hauch des ABEN-TEUERS.

Mit großen Buchstaben geschrieben.

Gestern war er noch wandelndes Frachtgut gewesen, ein Schlappschwanz auf zwei Beinen, der sich mühsam hinter Tel herschleppte, aber heute hatte sich etwas geändert. Vielleicht lag es an dem seltsamen Traum oder an Radas erfrischendem Getränk oder an dem überflüssigen, aber doch angenehmen Begleitschutz hinter ihm, jedenfalls fühlte sich Viktor wie ein Forscher, wie ein begeisterter Museumsbesucher.

Schließlich war er satt, gesund, mit Kleidern und Schuhen versehen. In seinen Taschen trug er ein anständiges Sümmchen Geld bei sich sowie kostbare Steine, die offensichtlich noch mehr wert waren. Vor ihm lag eine merkwürdige, idyllische Welt, wo es Errungenschaften der Zivilisation gab, jedoch nur die guten, und ein Meer unbekannter Dinge und Wesen. Elfen, Gnome und Untote, die man hinter die Graue Grenze abgeschoben hatte. Was es hier wohl noch alles zu erkunden gab?

Hehe! Er war zu allem bereit!

Die Straße war zu Ende und mündete in einen kleinen Bahnhofsvorplatz. In diesem Dorf führten wahrscheinlich alle Wege zum Bahnhof, so wie es in allen kleinen Dörfern in allen Welten üblich ist. In der Mitte des Platzes stand ein Brunnenbecken, ausgetrocknet und voller Abfall, aber trotz alledem nett anzusehen: Zweige, Laub und Bündel getrockneten Grases quollen heraus. Der Brunnen wirkte eher wie der Tempel eines Waldgeistes denn wie ein improvisierter

Mit eifriger Neugier strich Viktor die Stände entlang und betrachtete die Waren. Das Fehlen von Schokoriegeln, Einwegwindeln und weiblichen Hygieneartikeln war Balsam für seine Seele.