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»Sehr gut, Vogelpfeife, und wie lange brauchst du, um dir auszurechnen, daß einer von...«, begann Tolpan in einem Ton, von dem Tanis wußte, daß er Ärger bedeutete. Er trat dem Kender auf den Fuß, und Tolpan hielt sich mit einem vorwurfsvollen Blick zurück.

Glücklicherweise schien der Wachtmeister nichts gehört zu haben. Er blickte zu Sturm. »Und du kommst freiwillig mit uns?«

»Ja«, antwortete Sturm. »Du hast mein Ehrenwort.« Und der Ritter fügte hinzu: »Gleichgültig, wie du über die Ritter denkst, du weißt, daß meine Ehre mein Leben ist.«

Die Augen des Wachtmeisters wanderten zu der dunklen Treppe. »Nun gut«, sagte er schließlich. »Zwei Wachen bleiben hier an der Treppe stehen. Die anderen bewachen die übrigen Ausgänge. Überprüft jeden, der ein- und ausgeht. Ihr habt alle die Beschreibungen der Fremden?«

Die Wachen nickten und tauschten unbehagliche Blicke. Die zwei, die für die Bewachung der Treppe auserkoren waren, schauten verängstigt drein und hielten sich so weit wie möglich von ihr entfernt. Tanis lächelte grimmig.

Die fünf Gefährten – der Kender grinste aufgeregt – folgten dem Wachtmeister aus dem Gebäude. Als sie durch die Straße gingen, bemerkte Tanis eine Bewegung am oberen Fenster. Er sah hoch und gewahrte Laurana, ihr Gesicht vor Furcht verzogen. Sie hob ihre Hand, und er sah ihre Lippen die Worte »Es tut mir leid« in der Elfensprache formen. Ihm fielen Raistlins Worte ein, und ihn überlief es eiskalt. Sein Herz schmerzte.

Der Gedanke, daß er sie vielleicht nie wiedersehen würde, ließ die Welt plötzlich trübe und leer und einsam erscheinen. Er spürte auf einmal, was Laurana ihm in den letzten dunklen Monaten bedeutet hatte, selbst als keine Hoffnung bestanden hatte, das Land vor den bösartigen Armeen der Drachenfürsten zu retten. Ihr unerschütterlicher Glaube, ihr Mut, ihre nie versiegende, nie sterbende Hoffnung! Ganz anders als Kitiara!

Ein Wachmann stieß Tanis in den Rücken. »Gesicht nach vorn! Hör auf, deinen Kumpanen Zeichen zu geben!« knurrte er. Die Gedanken des Halb-Elfs wandten sich wieder Kitiara zu. Nein, diese Kriegerin könnte niemals so selbstlos handeln.

Sie könnte niemals Menschen helfen, so wie es Laurana getan hatte. Kit würde ungeduldig und wütend werden und sie im Stich lassen, egal ob sie überleben oder sterben würden. Sie verabscheute Leute, die schwächer waren als sie.

Tanis dachte an Kitiara, und er dachte an Laurana, und er bemerkte mit Erstaunen, daß der altbekannte schmerzhafte Schauder sein Herz nicht mehr erbeben ließ, wenn er an Kitiara dachte. Nein, jetzt war es Laurana – das dumme kleine Mädchen, das noch vor einigen Monaten ein verwöhntes, verzogenes Kind gewesen war -, die sein Blut in Wallung brachte. Und jetzt war es vielleicht zu spät.

Als sie das Ende der Straße erreichten, blickte er sich schnell um, hoffte, ihr ein Zeichen geben zu können. Sie soll wissen, daß ich verstehe, wissen, daß ich ein Narr war, wissen, daß ich...

Aber der Vorhang war gefallen.

5

Der Aufruhr. Tolpan verschwindet. Alhana Sternenwind

»Elender Ritter...«

Ein Stein traf Sturm an der Schulter. Der Ritter fuhr zusammen, obwohl der Stein durch die Rüstung nur wenig Schmerz verursacht haben konnte. Tanis, der sein blasses Gesicht und seinen zitternden Schnurrbart sah, wußte, daß der Schmerz tiefer ging, als eine Waffe erzeugen konnte.

Die Menschenmassen wurden dichter, als die Gefährten durch die Straße geführt wurden. Sturm ging mit Würde und stolz erhobenem Kopf und ignorierte den Spott und Hohn. Obwohl ihre Wachen die Menge zuweilen zurückschoben, taten sie es nur halbherzig, und die Zuschauer wußten es. Noch mehr Steine wurden geworfen, als wären andere Gegenstände weniger amüsant. Bald hatten alle Gefährten Wunden, bluteten und waren mit Abfall und Schmutz bedeckt.

Tanis wußte, daß Sturm sich niemals zur Rache hinreißen lassen würde, nicht bei diesem Pöbel, aber der Halb-Elf mußte Flint festhalten. Selbst dann befürchtete er ständig, daß der wütende Zwerg an den Wachen vorbeistürmen und sich auf die Menge stürzen würde. Aber durch seine Sorge um Flint hatte Tanis Tolpan ganz vergessen.

Außer einer gewissen Großzügigkeit in bezug auf das Eigentum anderer hatte Kender noch eine weitere unbeliebte Eigenschaft, das sogenannte »Spotten«. Alle Kender verfügten mehr oder weniger über dieses Talent. Auch damit hatte es zu tun, wie ihre winzige Rasse es geschafft hatte, in einer Welt der Ritter und Krieger, Trolle und Hobgoblins zu bestehen und zu überleben. Das »Spotten« ist die Fähigkeit, einen Feind zu beleidigen und ihn mit Worten in solch eine Raserei zu bringen, daß er durchdreht und anfängt, wild und ziellos zu kämpfen.

Tolpan war ein Meister im »Spotten«, obwohl er selten eine Gelegenheit fand, sein Talent anzuwenden, wenn er mit seinen Kriegerfreunden unterwegs war. Doch der Kender hatte nun entschieden, sein Talent voll auszuschöpfen.

Er begann also, Beleidigungen zurückzuschreien.

Zu spät bemerkte Tanis, was geschah. Vergeblich versuchte er, ihn zum Schweigen zu bringen. Tolpan befand sich vorn in der Reihe, der Halb-Elf hinten, und es gab keine Möglichkeit, den Kender zur Ruhe zu veranlassen.

Tolpan war der Meinung, daß Beleidigungen wie »elender Ritter« und »Elfenabschaum« jeglicher Phantasie entbehrten. Er entschloß sich, diesen Leuten genau zu zeigen, welche Variationen in der Umgangssprache da zur Verfügung standen.

Tolpans Beleidigungen waren Meisterwerke der Kreativität und Erfindungsgabe. Unglücklicherweise neigten sie auch dazu, äußerst persönlich zu sein und gelegentlich ziemlich ungehobelt, vorgetragen mit einem Hauch bezaubernder Unschuld.

»Ist das deine Nase oder eine Krankheit? Können diese Fliegen, die da auf deinem Körper krabbeln, auch Dienste leisten? War deine Mutter ein Gossenzwerg?« war nur der Anfang. Die Wachen begannen, die wütende Menge beunruhigt zu beäugen, während der Wachtmeister den Befehl gab, schneller zu gehen. Das, was er anfangs für eine siegreiche Prozession hielt, bei der Trophäen zur Schau gestellt werden, schien sich zu einem großangelegten Aufruhr zu entfalten.

»Bringt den Kender zum Schweigen!« schrie er zornig.

Tanis versuchte verzweifelt, Tolpan zu erreichen, aber die sich durchkämpfenden Wachen und die drängende Menschenmenge machten es unmöglich. Gilthanas wurde zu Boden geschlagen. Sturm beugte sich über den Elfen, um ihn zu schützen. Flint trat und schlug wild um sich in einem Anfall rasender Wut. Tanis hatte Tolpan fast erreicht, als er von einer Tomate getroffen wurde und einen Moment lang nichts sehen konnte.

»He, Wachtmeister, weißt du, was du mit deiner Pfeife machen könntest? Du könntest...«

Tolpan bekam nie die Gelegenheit, dem Wachtmeister zu erzählen, was er mit der Pfeife tun könnte, denn in diesem Moment zog ihn eine riesige Hand aus dem Tumult, eine andere legte sich über seinen Mund, während weitere Hände die wild um sich tretenden Füße des Kenders packten. Ein Sack wurde über seinen Kopf gestülpt, und von diesem Augenblick an sah und roch Tolpan nur noch Sackleinwand und merkte, daß er weggetragen wurde.

Tanis, der sich die Tomate aus den Augen gewischt hatte, hörte Stiefeltritte und noch mehr Schreie und Gekreische. Als der Halb-Elf endlich wieder sehen konnte, blickte er sich schnell um, um sicherzugehen, daß alle in Ordnung waren.

Sturm half Gilthanas beim Aufstehen und wischte ihm Blut von einer Schnittwunde an der Stirn weg. Flint, der nur noch fluchte, zupfte Abfall aus seinem Bart.

»Wo ist der verfluchte Kender!« brüllte der Zwerg. »Ich werde...« Er hielt inne, und drehte sich nach allen Seiten um. »Wo ist dieser verfluchte Kender? Tolpan? So hilf mir...«

»Pssst!« befahl Tanis, dem klarwurde, daß Tolpan es geschafft hatte, zu entkommen.

Flint lief rot an. »Warum dieser kleine Bastard!« fluchte er.

»Er war es schließlich, der uns in diese Sache hineingerissen hat, und jetzt verschwindet er...«

»Pssst!« wiederholte Tanis und sah den Zwerg wütend an.