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Flint unterdrückte eine Bemerkung und schwieg.

Der Wachtmeister drängte seine Gefangenen in die Halle der Gerechtigkeit. Erst als sie sich in dem häßlichen Ziegelsteingebäude in Sicherheit befanden, bemerkte er das Fehlen eines Gefangenen.

»Sollen wir ihn suchen?« fragte eine Wache.

Der Wachtmeister dachte einen Moment lang nach, dann schüttelte er wütend den Kopf. »Verschwende nicht deine Zeit«, antwortete er säuerlich. »Weißt du, wie es ist, zu versuchen, einen Kender zu finden, der nicht gefunden werden will? Nein, laßt ihn ruhig. Wir haben immer noch die wichtigsten. Sie sollen hier warten, während ich den Rat informiere.«

Der Wachtmeister trat durch eine schlichte Holztür und ließ die Gefährten und ihre Wachen in einem dunklen stinkenden Hur zurück. Die Wachen wischten Kürbisschalen von ihren Uniformen und säuberten sich gegenseitig von den Abfällen.

Gilthanas tupfte das Blut in seinem Gesicht ab. Sturm versuchte, seinen Umhang, so gut es ging, zu säubern.

Der Wachtmeister kam zurück und rief sie hinein.

»Bringt sie her!«

Als die Wachen ihre Gefangenen vorwärtsschoben, konnte Tanis näher an Sturm kommen. »Wer hat hier das Kommando?« flüsterte er.

»Wenn wir Glück haben, dann hat der Lord immer noch die Kontrolle über die Stadt«, erwiderte der Ritter leise. »Die tarsianischen Lords standen immer in dem Ruf, großmütig und ehrenhaft zu sein.« Er zuckte die Schultern. »Und davon abgesehen, welche Anklage wollen sie gegen uns erheben? Wir haben nichts getan. Schlimmstenfalls wird uns eine bewaffnete Eskorte aus der Stadt führen.«

Tanis schüttelte zweifelnd den Kopf, als er den Gerichtssaal betrat. Seine Augen brauchten einige Zeit, um sich an die Trübheit des schäbigen Saales zu gewöhnen, in dem es noch schlimmer stank als im Flur. Zwei der tarsianischen Ratsmitglieder hielten mit Gewürznelken gespickte Orangen an ihre Nasen.

Die sechs Ratsmitglieder saßen auf einer Bank, jeweils drei links und rechts von ihrem Lord, dessen hoher Lehnstuhl sich in der Mitte erhob. Der Lord blickte auf, als sie eintraten. Seine Augenbrauen hoben sich leicht bei Sturms Anblick, und es schien Tanis, daß sein Gesicht weicher wurde. Der Lord nickte dem Ritter sogar in einer Geste höflichen Grußes zu. Tanis' Hoffnungen wuchsen. Die Gefährten traten zur Bank vor. Es gab keine Stühle. Bittsteller wie Gefangene mußten vor dem Rat stehend ihren Fall darlegen.

»Was liegt gegen diese Männer vor?« fragte der Lord.

Der Wachtmeister warf den Gefährten einen haßerfüllten Blick zu.

»Anstiftung zum Aufruhr, mein Herr«, antwortete er.

»Aufruhr!« explodierte Flint. »Mit diesem Aufruhr hatten wir nichts zu tun! Es war dieser hohlköpfige...«

Eine Gestalt in weiten Roben trat aus dem Schatten, um dem Lord etwas zuzuflüstern. Keiner der Gefährten hatte sie beim Eintreten bemerkt.

Flint hustete, fiel in Schweigen und warf Tanis einen bedeutungsvollen grimmigen Blick zu. Der Zwerg schüttelte den Kopf, seine Schultern sackten zusammen. Tanis seufzte müde. Gilthanas wischte mit einer zitternden Hand das Blut aus seinem Elfengesicht, das vor Haß blaß war. Nur Sturm stand nach außen hin ruhig und unbeweglich da, als er in das verzerrte, halb menschliche, halb reptilische Gesicht eines Drakoniers sah.

Die im Wirtshaus zurückgebliebenen Gefährten saßen noch fast eine Stunde in Elistans Zimmer, nachdem die anderen von den Wachen weggebracht worden waren. Caramon stand mit gezogenem Schwert an der Tür. Flußwind hielt am Fenster Wache. Aus der Ferne konnten sie den Lärm des wütenden Mobs hören und sahen sich mit angespannten Gesichtern an. Dann verblaßte der Lärm. Niemand störte sie. Das Wirtshaus war tödlich ruhig.

Der Morgen verlief ohne weitere Zwischenfälle. Die blasse kalte Sonne kletterte am Himmel hoch und tat wenig, um den Wintertag zu wärmen. Caramon steckte sein Schwert in die Scheide und gähnte. Tika schob einen Stuhl hinüber, um neben ihm zu sitzen. Flußwind ging zu Goldmond, die leise mit Elistan Pläne für die Flüchtlinge besprach.

Nur Laurana blieb am Fenster stehen, obwohl es nichts zu sehen gab. Die Wachen hatten es offenbar leid, die Straße auf und ab zu marschieren, und hatten sich in die Türeingänge gekauert und versuchten, sich zu wärmen. Hinter sich konnte sie Tika und Caramon leise lachen hören. Laurana warf ihnen einen schnellen Blick zu. Caramon beschrieb ihr eine Schlacht.

Tika hörte aufmerksam zu, ihre Augen strahlten vor Bewunderung.

Das junge Mädchen hatte bei ihrer Reise auf der Suche nach dem Streitkolben von Kharas viel Kampfpraxis gehabt, und obwohl sie mit einem Schwert nicht perfekt umgehen konnte, so hatte sie das Zuschlagen mit dem Schild zu einer Kunst entwickelt. Das Sonnenlicht fiel auf ihr Kettenhemd und ihr rotes Haar. Caramons Gesicht war angeregt und entspannt, als er mit der jungen Frau sprach. Sie berührten sich nicht – nicht unter den auf sie gerichteten goldenen Augen von Caramons Zwillingsbruder.

Laurana seufzte und drehte sich um. Sie fühlte sich sehr einsam, und wenn sie an Raistlins Worte dachte, sehr verängstigt.

Sie hörte ein anderes Seufzen, aber es war kein Seufzen des Bedauerns. Nein, es war ein Seufzen der Verärgerung. Sie wandte sich um und sah auf Raistlin. Der Magier hatte sein Zauberbuch geschlossen, in dem er zu lesen versucht hatte, und sich näher ans Fenster gesetzt, um etwas mehr Tageslicht zu erhalten. Er mußte jeden Tag in seinem Zauberbuch lernen. Es ist der Fluch jedes Magiers, immer wieder seine Zaubersprüche auswendig zu lernen, denn die Worte der Magie flackerten und starben wie die Funken eines Feuers. Jeder Zauber unterhöhlt die Kraft des Magiers, läßt ihn körperlich schwächer werden, bis er schließlich so erschöpft ist, daß er keine Magie mehr ohne Erholungspausen anwenden kann.

Raistlins Stärke und seine Macht waren seit dem Treffen der Freunde in Solace gewachsen. Er hatte mehrere neue Zauber gemeistert, die Fizban, der in Pax Tharkas verstorbene senile Magier, ihm beigebracht hatte. So wie seine Macht wuchs, so wuchsen auch die bösen Ahnungen seiner Gefährten. Niemand hatte einen offensichtlichen Grund, ihm zu mißtrauen, in der Tat hatte seine Magie ihnen schon mehrere Male das Leben gerettet. Aber um ihn war etwas Beunruhigendes – geheimnisvoll, schweigsam, zurückhaltend und verschlossen wie eine Auster.

Er strich geistesabwesend über den nachtblauen Einband des seltsamen Zauberbuches aus Xak Tsaroth und starrte auf die Straße. Seine goldenen Augen mit den dunklen Stundenglaspupillen glitzerten kalt.

Obwohl Laurana nicht gern mit dem Magier sprach, mußte sie es wissen! Was hatte er gemeint – ein langes Wiedersehen?

»Was siehst du, wenn du so wie jetzt in die Ferne blickst?« fragte sie leise. Sie setzte sich zu ihm, spürte, wie eine plötzliche Schwäche von Angst sie überfiel.

»Was ich sehe?« wiederholte er. In seiner Stimme lagen großer Schmerz und tiefe Traurigkeit, nicht die Verbitterung, die sie von ihm gewohnt war. »Ich sehe die Zeit, wie sie auf alle Dinge einwirkt. Menschliches Fleisch verfällt und stirbt vor meinen Augen. Blumen blühen, nur um zu verwelken. Bäume lassen grüne Blätter fallen, niemals erhalten sie sie zurück. Aus meiner Sicht ist es immer Winter, immer Nacht.«

»Und – das hat man dir in den Türmen der Erzzauberer angetan?« fragte Laurana bestürzt. »Warum? Zu welchem Zweck?«

Raistlin lächelte sein seltenes, verzerrtes Lächeln. »Um mich an meine Sterblichkeit zu erinnern. Um mich Mitgefühl zu lehren.« Seine Stimme wurde leiser. »In meiner Jugend war ich stolz und hochmütig. Der Jüngste, der sich der Prüfung unterziehen sollte, ich wollte es ihnen allen zeigen!« Seine zerbrechliche Faust ballte sich zusammen. »O ja, ich habe es ihnen gezeigt. Sie zerstörten meinen Körper und verzehrten meinen Geist, bis ich schließlich in der Lage war...« Er hielt abrupt inne, seine Augen wanderten zu Caramon.

»Wozu?« fragte Laurana atemlos.

»Nichts!« flüsterte Raistlin und senkte seine Augen. »Mir ist verboten worden, darüber zu reden.«

Laurana sah seine Hände zittern. Seine Stirn war schweißnaß.