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»Sieh nicht hin!« flüsterte Sturm Alhana zu und drückte sie eng an sich. Tränen liefen über sein Gesicht. Der Drache flog weiter, und plötzlich war es still, unerträglich still. Nichts bewegte sich.

»Laß uns weitergehen, solange wir noch können«, sagte Sturm mit bebender Stimme. Die beiden stolperten engumschlungen aus dem Tor; ihre Sinne betäubt, konnten sie sich nur noch instinktiv fortbewegen. Schließlich waren sie von neuem gezwungen, Schutz in einem Toreingang zu suchen, da ihnen vom Gestank verkohlten Fleisches und vom Rauch übel und schwindelig war. Einen Moment lang konnten sie sich nur aneinander festhalten, dankbar für den kurzen Aufschub und vom Wissen verfolgt, daß sie in einigen Sekunden auf die Todesstraßen zurückkehren mußten.

Alhana lehnte ihren Kopf an Sturms Brust. Die uralte Rüstung fühlte sich kühl und beruhigend an, und darunter konnte sie sein Herz schlagen hören, schnell, beständig und tröstend.

Die Arme, die sie hielten, waren stark. Seine Hand streichelte ihr schwarzes Haar.

Alhana, keusche Tochter eines strengen und rigiden Volkes, wußte seit langer Zeit, wen sie wann und wo heiraten würde. Es war ein Elfenlord, und sie hatten sich in gegenseitigem Einvernehmen in all den Jahren nie berührt, seitdem diese Verbindung geplant war. Er war bei den anderen geblieben, während Alhana zurückgekehrt war, um ihren Vater zu suchen. Sie war in diese Welt der Menschen gestolpert und von dem Schock völlig benommen. Sie verabscheute sie und war gleichzeitig fasziniert von ihnen. Sie waren so mächtig, ihre Gefühle so roh und ungezähmt. Und gerade als Alhana dachte, sie würde diese Menschen für immer hassen und verachten, mußte das hier passieren.

Alhana sah in Sturms betrübtes Gesicht, sah Stolz, Würde, Strenge, den Wunsch nach Vollkommenheit – einer unerreichbaren Vollkommenheit. Das Mädchen fühlte sich zu diesem Mann hingezogen – zu diesem Menschen. Sich seiner Stärke hingebend, von seiner Anwesenheit beruhigt, empfand sie eine süße, verzehrende Wärme, und plötzlich erkannte sie, daß dieses Feuer für sie eine größere Gefahr bedeutete als die Feuer von tausend und abertausend Drachen.

»Wir gehen besser«, flüsterte Sturm leise, aber zu seiner Verwunderung stieß Alhana ihn von sich.

»Wir trennen uns hier«, sagte sie, ihre Stimme war kalt wie der Nachtwind. »Ich muß zu meiner Herberge zurück. Vielen Dank für deine Begleitung.«

»Was?« fragte Sturm. »Du willst allein gehen? Das ist Wahnsinn.« Er ergriff ihren Arm. »Ich kann nicht zulassen...« Das war, wie ihm klarwurde, ein Fehler, denn sie versteifte sich.

Sie bewegte sich nicht, sondern starrte ihn einfach gebieterisch an, bis er sie freigab.

»Ich habe meine Freunde hier«, sagte sie, »so wie du. Deine Loyalität gilt ihnen. Meine Loyalität gilt den meinen. Unsere Wege trennen sich hier.« Ihr versagte die Stimme, als sie den tiefen Schmerz in Sturms Gesicht sah. Einen Moment lang konnte Alhana es kaum ertragen, und sie fragte sich, ob sie die Kraft haben würde, weiterzumachen. Dann dachte sie an ihr Volk, das auf sie angewiesen war, und faßte sich wieder. »Ich danke Euch für Eure Freundlichkeit und Eure Hilfe, Ritter, aber ich muß jetzt gehen, solange es noch ruhig ist.«

Sturm starrte sie an, verletzt und verwirrt. Dann verhärtete sich sein Gesicht. »Es war mir eine Ehre, Euch zu Diensten gewesen zu sein, Lady Alhana. Aber Ihr seid immer noch in Gefahr. Erlaubt mir, Euch zu Eurer Herberge zu bringen, dann werde ich Euch nicht länger belästigen.«

»Das ist unmöglich«, antwortete Alhana. »Meine Herberge ist nicht weit entfernt, und meine Freunde warten auf mich. Wir kennen einen Weg aus der Stadt. Vergebt mir, daß ich Euch nicht mitnehme, aber ich kann Menschen nicht vertrauen.«

Sturms braune Augen blitzten auf. Alhana, die neben ihm stand, spürte, wie sein Körper erzitterte. Noch einmal verlor sie fast ihre Entschlossenheit.

»Ich weiß, wo Ihr seid«, sagte sie und schluckte. »Das Wirtshaus zum Roten Drachen. Vielleicht... wenn ich meine Freunde finde... können wir Euch Hilfe anbieten...«

»Macht Euch darüber keine Gedanken.« Sturms Stimme war jetzt genauso kalt wie die ihre. »Und dankt mir nicht. Ich habe nur das getan, was meine Ehre verlangt. Lebt wohl«, sagte er und schritt davon.

Dann fiel ihm etwas ein, und er kehrte um. Er zog die funkelnde Diamantnadel aus seinem Gürtel und legte sie in Alhanas Hand. »Hier«, sagte er. Als er in ihre Augen sah, sah er plötzlich den Schmerz, den sie zu verbergen suchte. Seine Stimme wurde weicher, obwohl er nichts verstand. »Es ehrt mich, daß Ihr mir diesen Edelstein anvertraut habt«, sagte er sanft, »auch wenn es nur für wenige Augenblicke war.«

Die Elfe starrte einen Augenblick den Juwel an, dann begann sie zu zittern. Ihre Augen trafen Sturms Augen, und er sah in ihnen keine Verachtung, wie er erwartet hatte, sondern Mitgefühl. Wieder einmal wunderte sie sich über die Menschen. Alhana neigte ihren Kopf, unfähig, seinen Blick zu ertragen, ergriff seine Hände, legte den Juwel hinein und schloß seine Finger um ihn.

»Behalte ihn«, sagte sie leise. »Wenn du ihn betrachtest, denke an Alhana Sternenwind und wisse, daß auch sie irgendwo an dich denkt.«

Plötzlich flossen Tränen aus Sturms Augen. Er neigte seinen Kopf, unfähig zu sprechen. Dann küßte er den Edelstein und verstaute ihn vorsichtig in seinem Gürtel. Er streckte seine Hände aus, aber Alhana zog sich in den Toreingang zurück, ihr blasses Gesicht abgewandt.

»Bitte geh«, sagte sie. Sturm stand einen Moment unentschlossen da, aber er durfte ihre Bitte nicht abschlagen, das gebot ihm sein Kodex. Der Ritter drehte sich um und war im nächsten Moment im Grauen der Straße verschwunden.

Alhana hatte ihm einen Moment lang nachgesehen, dann legte sich eine verhärtende Schale schützend um sie. »Vergib mir, Sturm«, flüsterte sie. Dann hielt sie inne. »Nein, vergib mir nicht«, sagte sie barsch. »Danke mir.«

Sie schloß ihre Augen, imaginierte ein bestimmtes Bild und sandte eine Nachricht zu den Außenbezirken der Stadt, wo ihre Freunde auf sie warteten, um sie von dieser Welt der Menschen fortzuholen. Als sie ihre telepathische Antwort erhielt, seufzte Alhana auf und begann eifrig den raucherfüllten Himmel abzusuchen.

»Aha«, sagte Raistlin ruhig, als die ersten Hörner durch die Stille des Nachmittags schallten. »Ich habe es euch gesagt.«

Flußwind warf dem Magier einen ärgerlichen Blick zu, während er überlegte, was zu tun sei. Es war eine einfache Sache, die Gruppe vor den Stadtwachen zu beschützen, aber eine ganz andere, sie vor den Drakonierarmeen und Drachen zu bewahren! Flußwinds dunkle Augen schweiften über die Gruppe. Tika hatte sich erhoben, die Hand am Schwert. Das junge Mädchen war mutig und stark, aber nicht waffengeübt. Der Barbar konnte immer noch die Narben an ihren Händen sehen, wo sie sich selbst geschnitten hatte.

»Was ist das?« fragte Elistan mit verdutztem Blick.

»Der Drachenfürst greift die Stadt an«, antwortete Flußwind barsch und versuchte weiter nachzudenken.

Er hörte ein Rasseln. Caramon war aufgestanden, der Krieger wirkte ruhig und gelassen. Das war erleichternd. Obwohl Flußwind Raistlin verabscheute, mußte er zugeben, daß der Magier und sein Kriegerbruder Eisen und Magie wirkungsvoll zu verbinden verstanden. Auch Laurana wirkte beherrscht und entschlossen, aber sie war eine Elfe. Flußwind hatte nie gelernt, Elfen richtig zu vertrauen.

»Verschwindet aus der Stadt, falls wir nicht zurückkehren«, hatte Tanis ihm gesagt. Aber Tanis hatte das jetzt nicht vorausgesehen! Sie würden aus der Stadt gehen, nur um in den Ebenen auf die Armeen des Drachenfürsten zu stoßen. Nun war Flußwind auch klar, wer sie die ganze Zeit über auf ihrer Reise zu diesem, dem Untergang geweihten Ort beobachtet hatte. Er fluchte in seiner Sprache. Doch dann, als die ersten Drachen über der Stadt kreisten, fühlte er Goldmonds Arm. Er sah sie an, sie lächelte – es war das Lächeln der Tochter des Stammeshäuptlings -, und er sah den Glauben in ihren Augen. Den Glauben an die Götter, und den Glauben an ihn. Ihm wurde leichter ums Herz, seine Angst war verschwunden.