Ein Krachen ließ das Gebäude erzittern. Sie konnten von den Straßen das Geschrei und das Zischen der Flammen hören.
»Wir müssen von diesem Stockwerk verschwinden, zurück nach unten«, sagte Flußwind. »Caramon, hole das Schwert des Ritters und die anderen Waffen. Wenn Tanis und die anderen...«, er hielt inne. Er wollte »noch leben« sagen, aber sah dann Lauranas Gesicht. »Wenn Tanis und die anderen entkommen sind, werden sie zurückkommen. Wir warten auf sie.«
»Hervorragende Entscheidung!« zischte der Magier beißend.
»Besonders, da wir sowieso nirgendwohin gehen können!«
Flußwind ignorierte ihn. »Elistan, nimm die anderen mit nach unten. Caramon und Raistlin, bleibt einen Moment hier mit mir. Ich glaube, das beste wird es sein, wenn wir uns hier im Wirtshaus verschanzen. Die Straßen bringen den Tod.«
»Wie lange, glaubst du, können wir das durchhalten?« fragte Caramon.
Flußwind schüttelte den Kopf. »Einige Stunden vielleicht«, gab er kurz zurück.
Die Brüder sahen sich an, beide dachten an die entstellten Leichen, die sie im Dorf Que-Shu gesehen hatten, und an die Zerstörung von Solace.
»Wir werden das nicht überleben«, flüsterte Raistlin.
Flußwind holte tief Atem. »Wir werden ausharren, solange wir können«, sagte er mit leicht bebender Stimme, »aber wenn wir wissen, daß wir nicht mehr können...« Er hielt inne, unfähig weiterzusprechen, mit der Hand am Dolch, dachte er daran, was er dann tun würde.
»Dafür besteht keine Notwendigkeit«, sagte Raistlin sanft.
»Ich habe Kräuter. Ein wenig davon in einem Glas Wein. Sehr schnell, schmerzlos.«
»Bist du sicher?« fragte Flußwind.
»Vertraue mir«, erwiderte Raistlin. »Ich bin in dieser Kunst erfahren. In der Kunst der Kräuterkunde«, fügte er gewandt hinzu, als er den Barbar zittern sah.
»Wenn ich überlebe«, sagte Flußwind leise, »werde ich ihr... ihnen... das Getränk geben. Wenn nicht...«
»Du kannst mir vertrauen«, wiederholte der Magier.
»Was ist mit Laurana?« fragte Caramon. »Du kennst die Elfen. Sie wird nicht...«
»Überlaß mir das«, wiederholte Raistlin sanft.
Der Barbar starrte den Magier an, das Entsetzen kroch in ihm hoch. Raistlin stand kühl vor ihm, die Arme in den Ärmeln seiner Robe verborgen, seine Kapuze tief über den Kopf gezogen.
Flußwind sah auf seinen Dolch und zog die Alternative in Betracht. Nein, er würde es nicht tun können. Nicht auf diese Weise.
»Nun gut«, sagte er schwer schluckend. Er hielt inne, sich davor fürchtend, nach unten gehen und den anderen ins Gesicht sehen zu müssen. Aber der Lärm des Todes in der Straße wurde immer lauter. Flußwind drehte sich abrupt um und ließ die Brüder stehen.
»Ich werde kämpfend sterben«, sagte Caramon zu Raistlin und versuchte dabei, ganz natürlich zu sprechen. Aber nach den ersten Worten brach die Stimme des Kriegers. »Versprich mir, Raist, du nimmst dieses Zeug, wenn ich... nicht mehr da bin...«
»Dazu besteht keine Notwendigkeit«, sagte Raistlin unbeeindruckt. »Ich habe nicht die Kraft, eine Schlacht dieser Größenordnung durchzustehen. Ich werde in meiner Magie sterben.«
Tanis und Gilthanas kämpften sich durch die in Panik geratene Menge, der stärkere Halb-Elf hielt den Elf fest. Immer wieder mußten sie vor den angreifenden Drachen Schutz suchen.
Gilthanas verstauchte sich das Knie, fiel in einen Türeingang und mußte sich nun hinkend an Tanis' Schulter lehnen.
Der Halb-Elf stieß ein Dankgebet aus, als er das Wirtshaus zum Roten Drachen sah, ein Gebet, das sich in einen Fluch verwandelte, als er die schwarzen Reptiliengestalten sich um den Eingang drängen sah. Er zog Gilthanas, der erschöpft blindlings vorwärtsstolperte, in einen zurückgesetzten Türeingang. »Gilthanas! Das Wirtshaus! Es wird angegriffen!«
Gilthanas starrte ihn verständnislos mit glasigen Augen an.
Dann schien er zu begreifen, was vorging, seufzte und schüttelte den Kopf. »Laurana«, keuchte er und schob sich nach vorn, versuchte, aus dem Türeingang zu taumeln. »Wir müssen zu ihnen.« Er brach in Tanis' Armen zusammen.
»Bleib hier«, sagte der Halb-Elf und half ihm beim Hinsetzen. »Du kannst dich nicht bewegen. Ich werde versuchen, durch eine Hintertür reinzukommen.«
Tanis rannte los, schoß in Türeingänge und wieder heraus, verbarg sich in Ruinen. Er war ungefähr einen Block von dem Wirtshaus entfernt, als er einen heiseren Schrei hörte. Er wandte sich um und sah Flint wild gestikulieren. Tanis stürzte über die Straße.
»Was ist los?« fragte er.. »Warum bist du nicht mit den anderen...« Der Halb-Elf hielt inne. »O nein«, flüsterte er.
Der Zwerg, dessen Gesicht von Asche verschmiert war, in der sich die Spuren von Tränen in langen Streifen abzeichneten, kniete neben Tolpan. Der Kender lag unter einem Balken begraben, der auf die Straße gefallen war. Tolpans Gesicht, ein Gesicht wie das eines reifen Kindes, war aschgrau, seine Haut völlig verschmiert.
»Verdammter hohlköpfiger Kender«, jammerte Flint. »Mußte rumlaufen und ein Haus auf sich fallen lassen.« Die Hände des Zwerges waren aufgerissen und blutig vom Versuch, einen Balken hochzuwuchten, wozu man drei Männer oder einen Caramon benötigt hätte. Tanis legte seine Hand an Tolpans Hals.
Der Puls war sehr schwach.
»Bleib bei ihm!« sagte Tanis unnötigerweise. »Ich gehe zum Wirtshaus und hole Caramon!«
Flint sah erbittert zu ihm hoch, dann blickte er kurz zum Wirtshaus. Beide konnten die Schreie der Drakonier hören, ihre Waffen im Feuerschein aufblitzen sehen. Gelegentlich flackerte ein unnatürliches Licht aus dem Wirtshaus – Raistlins Magie.
Der Zwerg schüttelte den Kopf. Er wußte, Tanis wäre genauso in der Lage, mit Caramon zurückzukehren, wie er fliegen konnte.
Aber Flint brachte ein Lächeln zustande. »Sicher, mein Junge, ich bleibe bei ihm. Leb wohl, Tanis.«
Tanis schluckte, wollte etwas antworten, gab es dann auf und rannte über die Straße.
Raistlin, der so sehr husten mußte, daß er kaum noch stehen konnte, wischte Blut von seinen Lippen und zog einen kleinen schwarzen Lederbeutel aus seinem Gewand. Er hatte noch einen Zauber übrig, aber kaum genügend Energie, um ihn zu werfen. Seine Hände zitterten vor Erschöpfung, als er versuchte, den Inhalt des Beutels in ein Glas Wein zu streuen, den Caramon ihm vor Beginn der Schlacht hatte bringen müssen.
Dann fühlte er eine Hand seine eigene ergreifen. Er sah auf, es war Laurana. Sie nahm den Beutel aus seinen zerbrechlichen Fingern. Ihre Hand war mit dunkelgrünem Drakonierblut befleckt.
»Was ist das?« fragte sie.
»Zutaten für einen Zauber.« Der Magier würgte. »Schütte es in den Wein.«
Laurana gehorchte. Die Mischung löste sich sofort auf.
»Trink es nicht«, warnte der Magier sie, als sein Hustenanfall vorüberging.
Laurana sah ihn an. »Was ist es denn?«
»Ein Schlafmittel«, flüsterte Raistlin, seine Augen glitzerten.
Laurana lächelte sarkastisch. »Du glaubst doch nicht, daß wir heute abend schlafen können?«
»Nicht dieser Art«, antwortete Raistlin und starrte sie intensiv an. »Dieses Mittel täuscht den Tod vor. Der Herzschlag verlangsamt sich stark, die Atmung erlischt fast, die Haut wird kalt und blaß, die Glieder versteifen sich.«
Laurana riß die Augen auf. »Warum...«, begann sie.
»Als letzten Ausweg. Der Feind denkt, du bist tot, läßt dich auf dem Schlachtfeld zurück – wenn du Glück hast. Wenn nicht...«
»Wenn nicht?« half sie nach, ihr Gesicht war leichenblaß.
»Nun, von einigen weiß man, daß sie bei ihrer Beerdigung wach geworden sind«, erwiderte Raistlin kühl. »Aber ich glaube nicht, daß uns das passieren wird.«
Das Atmen fiel ihm nun leichter, er setzte sich hin, duckte sich dabei, weil ein Pfeil über seinen Kopf sauste und neben ihm zu Boden fiel. Dann bemerkte er Lauranas zitternde Hand, und ihm wurde klar, daß sie keineswegs so ruhig war, wie sie immer vorgab.