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»Sollen wir das etwa einnehmen?« fragte sie.

»Auf diese Weise werden wir der Drakonier-Folter entgehen.«

»Woher weißt du das?«

»Vertraue mir«, antwortete der Magier mit einem leichten Lächeln.

Laurana sah ihn an und zitterte. Geistesabwesend wischte sie ihre blutbefleckten Finger an ihrer Lederrüstung ab. Das Blut ging nicht weg, aber sie bemerkte es nicht. Ein Pfeil schwirrte an ihr vorbei. Sie zuckte nicht einmal zusammen, sie starrte ihn nur benommen an.

Caramon stolperte aus dem Rauch des brennenden Schankraumes. Ein Pfeil hatte ihn an der Schulter getroffen; sein rotes Blut bildete einen merkwürdigen Kontrast zum grünen Blut seiner Feinde.

»Sie brechen durch die Vordertür«, sagte er schweratmend.

»Flußwind hat uns hierhergeschickt.«

»Horch!« warnte Raistlin. »Das ist nicht die einzige Stelle, wo sie durchbrechen!« An der Tür, die von der Küche zum hinteren Ausgang führte, hörte man ein splitterndes Geräusch.

Caramon und Laurana wirbelten kampfbereit herum, gerade als die Tür einstürzte. Eine große dunkle Gestalt trat ein.

»Tanis!« schrie Laurana. Sie steckte ihr Schwert weg und rannte auf ihn zu.

»Laurana!« keuchte er. Er fing sie in seinen Armen auf und hielt sie eng an sich gedrückt, schluchzte fast vor Erleichterung. Dann schlang Caramon seine riesigen Arme um beide.

»Wie geht es allen hier?« fragte Tanis, als er wieder sprechen konnte.

»So weit, so gut«, sagte Caramon, als er hinter Tanis spähte.

Sein Gesicht fiel ein, als er sah, daß der Halb-Elf allein war.

»Wo sind...«

»Sturm ist verloren«, sagte Tanis müde. »Flint und Tolpan sind auf der anderen Straßenseite, der Kender ist von einem Balken begraben. Gilthanas ist ungefähr zwei Blöcke weiter. Er ist verletzt«, sagte Tanis zu Laurana, »nicht schlimm, aber er konnte nicht mehr weiterlaufen.«

»Willkommen, Tanis«, flüsterte Raistlin hustend. »Du bist rechtzeitig gekommen, um mit uns zu sterben.«

Tanis sah auf den Becher, erblickte den schwarzen Beutel daneben, dann starrte er Raistlin in plötzlichem Entsetzen an.

»Nein«, sagte er entschlossen. »Wir werden nicht sterben. Zumindest nicht wie...« Er brach abrupt ab. »Holt alle her.«

Caramon schleppte sich weg und schrie aus vollem Halse.

Flußwind kam aus der Schankstube gerannt, von wo aus er mit den Pfeilen der Feinde zurückgeschossen hatte, weil er selbst keine mehr hatte. Die anderen folgten ihm, Tanis hoffnungsvoll anlächelnd.

Ihr Glaube an ihn machte den Halb-Elf wütend. Irgendwann, dachte er, werde ich sie alle enttäuschen. Vielleicht habe ich das bereits. Er schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Hört zu!« schrie er. »Wir können versuchen, durch den Hinterausgang zu entkommen! Das Wirtshaus wird nur von einer kleinen Streitmacht belagert. Der Hauptteil der Armee ist noch nicht in der Stadt.«

»Jemand ist hinter uns her«, murmelte Raistlin.

Tanis nickte. »So sieht es aus. Uns bleibt nicht viel Zeit. Wenn wir es zu den Hügeln schaffen...«

Er verstummte plötzlich und hob den Kopf. Alle verstummten, lauschten, erkannten den schrillen Schrei, das Geräusch riesiger, lederner Flügel, das rasch näher kam.

»In Deckung!« schrie Flußwind. Aber es war zu spät.

Ein schreiendes Winseln ertönte, und dann folgte ein Knall.

Das Wirtshaus – drei Etagen, aus Stein und Holz gebaut – bebte, als würde es aus Sand und Stöcken bestehen. Die Luft explodierte in Staub und Schutt. Flammen schossen hoch. Über sich konnten sie das Splittern und Krachen von Holz hören. Fasziniert und gelähmt sahen die Gefährten zu – gelähmt vom Anblick der riesigen Deckenbalken, die unter dem Gewicht des einstürzenden Daches erbebten.

»Raus hier!« schrie Tanis. »Der ganze Platz ist...«

Der Balken direkt über dem Halb-Elf ächzte laut auf, dann splitterte und krachte er. Er packte Laurana um die Taille und schleuderte sie weg, so weit er konnte, und sah Elistan, der am Eingang des Wirtshauses stand, sie in seinen Armen auffangen.

Als der Balken über Tanis mit einem zitternden Krachen herunterstürzte, hörte er den Magier seltsame Worte kreischen.

Dann fiel er, fiel in die Schwärze – und es schien, als ob die Welt auf ihn fallen würde.

Sturm bog um die Ecke und sah das Wirtshaus zum Roten Drachen in einer Flammenwolke zusammenstürzen, während sich ein Drache über sie in den Himmel schwang. Das Herz des Ritters pochte wild vor Trauer und Furcht.

Er versteckte sich in einem Hauseingang, als einige Drakonier vorbeigingen – sie lachten und sprachen in ihrer kalten gutturalen Sprache. Offenbar nahmen sie an, ihre Aufgabe sei erledigt, und suchten nun neue Unterhaltung. Drei andere jedoch, in blaue, nicht in rote Uniformen gekleidet, schienen über die Zerstörung des Wirtshauses sehr aufgeregt zu sein und schüttelten die Fäuste gegen den roten Drachen.

Sturm fühlte, wie eine verzweifelte Schwäche sich seiner bemächtigte. Er sackte gegen die Tür, beobachtete die Drakonier und fragte sich, was er tun sollte. Waren die Freunde noch im Wirtshaus? Vielleicht waren sie entkommen. Dann setzte sein Herz einen Augenblick aus. Er sah etwas Weißes aufblitzen.

»Elistan!« schrie er. Sturm sah, wie der Kleriker aus dem Schutt heraustrat, jemanden hinter sich herzerrend. Drakonier rannten mit gezogenen Schwertern auf den Kleriker zu. Sturm ließ den Schlachtruf der solamnischen Ritter erschallen und verließ den Türeingang. Die Drakonier wirbelten irritiert herum.

Sturm nahm verschwommen wahr, daß eine andere Gestalt neben ihm rannte. Er blickte sich um, sah einen Metallhelm und hörte den Zwerg brüllen. Dann vernahm er aus einer Toreinfahrt magische Worte.

Gilthanas, unfähig, sich ohne Hilfe aufrechtzuhalten, war hervorgekrochen, und auf die Drakonier zeigend sprach er seinen Zauberspruch. Flammende Pfeile schossen aus seinen Händen. Eine der Kreaturen brach zusammen und griff sich an seine brennende Brust. Flint sprang auf einen anderen Drakonier zu und schlug mit einem Stein auf seinen Kopf ein, während Sturm mit einem Faustschlag den dritten kampfunfähig machte.

Sturm fing Elistan in seinen Armen auf, als dieser nach vorn stolperte. Der Kleriker trug eine Frau.

»Laurana!« schrie Gilthanas.

Vom Rauch benommen hob das Elfenmädchen ihre glasigen Augen. »Gilthanas?« murmelte sie. Dann erblickte sie den Ritter.

»Sturm«, stellte sie verwirrt fest, dann deutete sie vage nach hinten. »Dein Schwert ist dort drüben. Ich habe es gesehen...«

Und wirklich erkannte Sturm etwas Silbernes, das halb verborgen im Schutt lag. Sein Schwert, und daneben lag Tanis' Schwert, die Elfenklinge von Kith-Kanan. Nachdem er die Steine beiseite geschoben hatte, hob Sturm andächtig die beiden Schwerter hoch, die wie Artefakte in einem abscheulichen, riesigen Hügelgrab gelegen hatten. Der Ritter horchte auf Bewegung, Rufe, Schreie. Aber um sie war nur entsetzliche Stille.

»Wir müssen hier weg«, sagte er langsam, ohne sich zu bewegen. Er sah Elistan an, der auf die Ruine starrte, das Gesicht leichenblaß. »Die anderen?«

»Sie waren alle im Haus«, antwortete Elistan mit zitternder Stimme. »Und der Halb-Elf...«

»Tanis?«

»Ja. Er war durch die Hintertür gekommen, kurz bevor der Drache das Wirtshaus zerstörte. Sie waren alle zusammen. Ich stand im Eingang. Tanis sah den Balken brechen. Er warf Laurana nach draußen, ich konnte sie auffangen, als die Decke auf sie niederstürzte. Es besteht keine Möglichkeit, daß sie...«

»Das glaube ich nicht!« sagte Flint heftig und sprang in den Schutt. Sturm packte ihn und zog ihn zurück.

»Wo ist Tolpan?« fragte der Ritter den Zwerg.

Das Gesicht des Zwerges wurde vor Trauer und Sorge grau.

»Steckt unter einem Balken«, sagte er. Er riß wild an seinen Haaren, dabei fiel ihm der Helm herunter. »Ich muß zu ihm zurück. Aber ich kann sie hier nicht lassen... Caramon...« Der Zwerg begann zu weinen, Tränen strömten in seinen Bart.