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Der Magier starrte wieder in den Wald. »Hältst du das für möglich?« fragte er.

»Ja«, antwortete Tanis, »aus dem wenigen, was Alhana mir erzählt hat, sprach während der Prüfungen im Turm der Erzmagier von Istar eine Kugel der Drachen zu Lorac, sie bat ihn, sie aus einer drohenden Katastrophe zu retten.«

»Und er gehorchte?« fragte Raistlin, seine Stimme war so weich wie das murmelnde Wasser des uralten Flusses.

»Ja. Er brachte die Kugel nach Silvanesti.«

»Das ist also die Kugel der Drachen von Istar«, flüsterte Raistlin. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, dann seufzte er, es war ein sehnsüchtiges Seufzen. »Ich weiß nichts über die Kugeln der Drachen«, bemerkte er kühl, »außer dem, was ich euch bereits gesagt habe. Aber ich weiß, Halb-Elf, daß keiner von uns heil aus Silvanesti herauskommen wird, falls wir überhaupt herauskommen.«

»Wie meinst du das? Welche Gefahren liegen vor uns?«

»Was bedeutet es schon, welche Gefahr ich sehe?« fragte Raistlin. »Wir müssen Silvanesti betreten. Das weißt du genausogut wie ich. Oder willst du die Chance ungenutzt lassen, eine Kugel der Drachen zu finden?«

»Aber wenn du Gefahren siehst, dann sag es uns! Wir könnten zumindest vorbereitet...«, begann Tanis wütend.

»Dann bereite dich vor«, flüsterte Raistlin sanft, und er drehte sich um und ging langsam am sandigen Ufer seinem Bruder hinterher.

Die Gefährten überquerten den Fluß gerade als die letzten Sonnenstrahlen zwischen den Espenblättern auf dem gegenüberliegenden Ufer flackerten. Und dann wurde der legendäre Wald von Silvanesti allmählich in Dunkelheit eingetaucht.

Die Überfahrt verlief langsam. Die Fähre – ein kunstvoll geschnitztes Boot mit flachem Boden, das mit beiden Ufern durch ein ausgeklügeltes System von Seilen und Rollen verbunden war – schien auf den ersten Blick in gutem Zustand zu sein.

Aber kaum waren sie eingestiegen, entdeckten sie, daß die Seile am Vermodern waren. Das Boot begann vor ihren Augen zusammenzufallen. Auch der Fluß schien sich zu verändern. Rotbraunes Wasser sickerte durch den Rumpf, das schwach nach Blut roch.

Sie waren gerade am anderen Ufer aus dem Boot gestiegen und hatten ihr Gepäck ausgeladen, als die zerfransten Seile rissen und nachgaben. Der Fluß riß das Boot im Nu fort. Im gleichen Moment verschwand das Zwielicht, und die Nacht verschluckte sie. Obwohl der Himmel klar war und von keiner Wolke getrübt, waren keine Sterne sichtbar. Weder der rote noch der silberne Mond ging auf. Das einzige Licht kam vom Fluß, der in einer verdorbenen Brillanz wie ein Ghul zu strahlen schien.

»Raistlin, dein Stab«, sagte Tanis. Seine Stimme echote überlaut durch den stummen Wald. Selbst Caramon zuckte zusammen.

»Shirak«, befahl Raistlin, und die Kristallkugel leuchtete auf.

Aber es war ein kaltes, blasses Licht. Es schien nur die seltsamen Stundenglasaugen des Magiers zu beleuchten.

»Wir müssen in den Wald«, sagte Raistlin mit bebender Stimme. Er wandte sich um und stolperte auf die dunkle Wildnis zu.

Niemand sprach oder bewegte sich. Sie standen vor Angst gelähmt am Ufer. Es bestand kein Grund dazu, es war unlogisch, und das war noch beängstigender. Die Furcht kroch an ihnen hoch. Sie floß durch ihre Glieder, überschwemmte ihre Herzen und fraß sich in die Gehirne.

Furcht wovor? Es gab hier nichts, nichts! Nichts, keinen Grund, sich zu fürchten, dennoch waren alle durch dieses Nichts mehr verängstigt als je zuvor in ihrem Leben.

»Raistlin hat recht. Wir... müssen... in den Wald – Schutz suchen...« Tanis hatte Mühe, zu sprechen, seine Zähne klapperten. »F...Folgen wir Raistlin.«

Zitternd taumelte er vorwärts, wußte nicht, ob ihm überhaupt jemand folgte. Hinter sich hörte er Tika wimmern, und Goldmond versuchte zu beten. Er hörte Caramon nach seinem Bruder rufen, und Flußwind schrie voller Entsetzen, aber es war egal. Er mußte laufen, von hier wegkommen! Sein einziger Führer war das Licht von Raistlins Stab.

Verzweifelt stolperte er hinter dem Magier in den Wald. Aber als Tanis die Bäume erreichte, verließen ihn seine Kräfte. Er war zu verängstigt, um weiterzugehen. Zitternd sank er auf die Knie, dann fiel er nach vorn, seine Hände klammerten sich in den Boden.

»Raistlin!« Seine Kehle wurde von einem scharfen Aufschrei zerrissen.

Aber der Magier konnte nicht helfen. Tanis konnte nur noch sehen, wie das Licht von Raistlins Stab langsam auf den Boden sank, losgelassen von der mageren, fast leblosen Hand des jungen Magiers.

Die Bäume. Die wunderschönen Bäume von Silvanesti. Über Jahrhunderte geformte und geschnittene Bäume, bis es Wälder des Wunders und der Verzauberung waren. Überall um Tanis waren Bäume. Aber diese Bäume hatten sich von ihren Meistern abgewandt und sich in lebende Wälder des Entsetzens verwandelt. Ein grünes Licht des Verderbens filterte durch die bebenden Blätter.

Tanis blickte sich entsetzt um. In seinem Leben hatte er schon viel Seltsames und Schreckliches gesehen, aber das war nichts gewesen im Vergleich zu dem hier. Das hier, dachte er, könnte mich in den Wahnsinn treiben. Er wandte sich panisch in die eine und die andere Richtung und stellte fest, daß es kein Entkommen gab. Überall waren Bäume – die Bäume von Silvanesti. Auf grauenhafte Weise verändert.

Die Seele jedes Baumes schien im eigenen Stamm gefangen und entstellt. Die verbogenen Zweige waren die Glieder seines Geistes, im Todeskampf verrenkt. Die Wurzeln griffen in den Boden im hoffnungslosen Versuch zu fliehen. Der Saft der Bäume floß in Strömen. Das Rascheln der Blätter waren Aufschreie des Schmerzes und des Entsetzens. Die Bäume von Silvanesti weinten Blut. vanesti weinten Blut.

Tanis hatte keine Vorstellung, wo er war, oder wie lange er schon da war. Er erinnerte sich, zum Sternenturm gelaufen zu sein, den er hoch über den Zweigen der Espen erkennen konnte.

Er war gelaufen und gelaufen, und nichts hatte ihn aufgehalten.

Dann hörte er den Kender vor Entsetzen aufkreischen, ein Schrei wie der eines kleinen Tieres, das gefoltert wird. Als er sich umdrehte, sah er Tolpan auf die Bäume zeigen. Tanis starrte verängstigt auf die Bäume, nur um schließlich zu begreifen, daß Tolpan nicht hiersein konnte. Und da war Sturm, aschgrau vor Angst, und Laurana, vor Verzweiflung weinend, und Flint mit aufgerissenen, starren Augen.

Tanis umarmte Laurana, und seine Arme schlossen sich um Fleisch und Blut, aber trotzdem wußte er, daß sie nicht da war -und dieses Wissen war grauenerregend.

Der Wald war wie ein Gefängnis der Verdammnis. Tanis' Entsetzen nahm zu. Tierwesen lösten sich von den entstellten Bäumen und stürzten auf die Gefährten.

Tanis zog sein Schwert, um sich zu verteidigen, aber die Waffe zitterte in seiner Hand, und er war gezwungen, seine Augen abzuwenden, denn die lebenden Tiere waren auf gräßliche Weise entstellt, sie waren Untote.

Unter den grauenvollen Wesen befanden sich Legionen von Elfenkriegern, ihre Schädelfratzen waren schrecklich anzusehen. In ihren Augenhöhlen funkelten keine Augen, kein Fleisch bedeckte die zierlichen Knochen ihrer Hände. Sie kamen mit hell brennenden Schwertern, an denen Blut hing, auf die Gefährten zu. Aber wenn sie mit einer Waffe berührt wurden, lösten sie sich in Nichts auf.

Jedoch die Wunden, die sie zufügten, waren echt. Caramon, der gegen einen Wolf, aus dessen Körper Schlangen wuchsen, kämpfte, sah auf, als einer der Elfenkrieger mit einem glänzenden Speer in seiner fleischlosen Hand auf ihn losstürmte. Er schrie nach seinem Bruder um Hilfe.

Raistlin sprach: »Ast kiranann kair Soth-aran/Suh kali Jalaran.« Eine Flammenkugel blitzte aus den Händen des Magiers und flog direkt auf den Elfen zu – ohne Wirkung. Er schleuderte seinen Speer mit solch unglaublicher Kraft, daß er Caramons Rüstung durchschlug, durch seinen Körper trat und ihn an einen Baum nagelte.

Der Elfenkrieger riß seine Waffe wieder aus der Schulter des Mannes. Caramon fiel zu Boden, sein Blut vermischte sich mit dem Blut des Baumes. Raistlin mit einer Wut, die ihn selbst überraschte, zog seinen silbernen Dolch aus dem Lederriemen, den er verborgen an seinem Arm trug, und schleuderte ihn auf den Elfen. Die Klinge fuhr in seinen untoten Geist, und der Elfenkrieger löste sich auf. Caramon jedoch lag auf dem Boden, ein Arm hing nur noch an einer dünnen Muskelfaser am Körper.