»Friede sei mit dir«, flüsterte Goldmond und strich Alhana das dunkle Haar aus dem Gesicht. Dann ging die Barbarin.
»Was wirst du nach der Beerdigung deines Vaters machen?« fragte Tanis, als er und Alhana allein auf den Stufen des Turms standen.
»Ich werde zu meinem Volk zurückkehren«, erwiderte Alhana ernst. »Die Greife werden jetzt zu mir kommen, da das Böse aus diesem Land verschwunden ist, und sie werden mich nach Ergod bringen. Wir werden tun, was in unserer Macht steht, um das Böse zu besiegen und dann nach Hause zurückkehren.«
Tanis blickte sich um. Silvanesti war schon tagsüber entsetzlich, aber die Schrecken in der Nacht waren noch grauenvoller.
»Ich weiß«, antwortete Alhana auf seine unausgesprochenen Gedanken. »Das wird unsere Strafe sein.«
Tanis hob skeptisch die Augenbrauen, ihm war bewußt, welchen Kampf sie vor sich hatte, ihre Leute zur Rückkehr zu bewegen. Dann sah er die tiefe Überzeugung in Alhanas Gesicht.
Vielleicht würde sie es schaffen.
Lächelnd wechselte er das Thema. »Und wirst du Zeit finden, nach Sankrist zu kommen?« fragte er. »Die Ritter würden sich durch deine Anwesenheit geehrt fühlen, besonders einer von ihnen.«
Alhanas blasses Gesicht errötete. »Vielleicht«, brachte sie mühsam hervor. »Ich kann es nicht versprechen. Ich habe viele Dinge über mich gelernt. Aber es wird noch eine Zeit dauern, bis diese Dinge ein Teil von mir sind.« Sie schüttelte seufzend den Kopf. »Vielleicht werde ich mich nie daran gewöhnen können.«
»Etwa zu lernen, einen Menschen zu lieben?«
Alhana hob ihren Kopf, sie sah Tanis direkt in die Augen.
»Würde er glücklich sein, Tanis? Weit weg von seiner Heimat, denn ich muß nach Silvanesti zurückkehren? Und könnte ich glücklich sein in dem Wissen, ihm beim Altern und Sterben zusehen zu müssen, während ich immer jung sein werde?«
»Ich stelle mir die gleichen Fragen, Alhana«, sagte Tanis und dachte mit Schmerz an die Entscheidung, die er in bezug auf Kitiara getroffen hatte. »Wenn wir die Liebe ablehnen, die uns geschenkt wird, wenn wir uns weigern, Liebe zu geben, weil wir den Schmerz des Verlustes fürchten, dann wird unser Leben leer sein und unser Verlust noch größer.«
»Als wir uns kennenlernten, fragte ich mich, warum diese Leute dir folgen, Tanis, Halb-Elf«, sagte Alhana leise. »Jetzt verstehe ich es. Ich werde an deine Worte denken. Leb wohl, bis die Reise deines Lebens endet.«
»Leb wohl, Alhana«, antwortete Tanis und nahm die Hand, die sie ihm entgegenstreckte. Er wußte nichts mehr zu sagen, so drehte er sich um und verließ sie.
Aber er konnte nicht anders, als sich zu fragen, wenn er denn so verdammt weise war, warum sich sein Leben dann in solch einem Durcheinander befand.
Tanis traf seine Gefährten am Rande des Waldes. Einen Moment lang standen sie da, widerstrebend, den Wald von Silvanesti zu betreten. Obwohl sie wußten, daß das Böse verschwunden war, mißfiel ihnen der Gedanke, tagelang durch die entstellten Bäume zu wandern. Aber ihnen blieb nichts anderes übrig. Und sie alle verspürten wieder jene Dringlichkeit, die sie auch bis hierher getrieben hatte. Die Zeit rann durch das Stundenglas, und sie wußten, sie konnten nicht warten, bis der Sand durchgelaufen war, obwohl sie den Grund nicht kannten.
»Komm, mein Bruder«, sagte Raistlin schließlich. Der Magier führte sie in den Wald, der Zauberstab warf beim Gehen sein blasses Licht. Caramon folgte mit einem Seufzen. Einer nach dem anderen kam hinterher. Tanis drehte sich noch einmal um.
Heute abend würden sie nicht die Monde sehen. Das Land war mit einer tiefen Dunkelheit bedeckt, als ob es Loracs Tod betrauern würde. Alhana stand im Eingang zum Sternenturm.
Nur ihr Gesicht war in den Schatten sichtbar, wie der Geist des Silbermondes. Tanis sah flüchtig eine Bewegung. Sie hob ihre Hand, und ein reines, weißes Licht blitzte kurz auf – der Sternenjuwel. Und dann war sie verschwunden.
13
Die Flucht aus Eismauer
Der alte Zwerg war todkrank.
Seine Glieder versagten ihm ihren Dienst. Seine Eingeweide und sein Magen waren wie Schlangen ineinander verknäult.
Wellen der Übelkeit brachen sich in ihm. Nicht einmal seinen Kopf konnte er von seinem Lager heben. Er starrte nach oben zur Öllampe, die sich über seinem Kopf langsam hin- und herbewegte. Das Licht der Lampe schien dunkler zu werden. Das ist es, dachte der Zwerg. Das Ende. Die Dunkelheit kriecht über meine Augen...
Er hörte neben sich ein Geräusch, ein Quietschen von Holzplanken, als ob sich jemand sehr leise zu ihm stehlen wollte.
Trotz seiner Schwäche schaffte es Flint, seinen Kopf zu wenden.
»Wer ist da?« krächzte er.
»Tolpan«, wisperte eine besorgte Stimme. Flint seufzte und streckte seine knorrige Hand aus. Tolpans Hand näherte sich seiner.
»Ah, Bursche. Ich bin froh, daß du rechtzeitig kommst, um mir Lebewohl zu sagen«, sagte der Zwerg geschwächt. »Ich liege im Sterben, Bursche. Ich gehe zu Reorx...«
»Was?« fragte Tolpan und kam näher.
»Reorx«, wiederholte der Zwerg gereizt. »Ich gehe in die Arme von Reorx.«
»Nein, das stimmt nicht«, widersprach Tolpan. »Wir gehen nach Sankrist. Sofern du nicht ein Wirtshaus meinst. Ich werde Sturm fragen. Die Arme des Reorx. Hmmmm...«
»Reorx, der Gott der Zwerge, du Tölpel!« fluchte Flint.
»Oh«, sagte Tolpan nach einem Moment. »Der Reorx.«
»Hör mir zu, Bursche«, sagte Flint ruhiger, entschlossen, keine schlechten Gefühle zu hinterlassen. »Ich will, daß du meinen Helm bekommst. Den Helm, den du mir in Xak Tsaroth gegeben hast, mit der Greifmähne.«
»Wirklich?« fragte Tolpan beeindruckt. »Das ist schrecklich nett von dir, Flint, aber wie willst du an einen anderen Helm kommen?«
»Ach, Bursche, ich werde keinen Helm brauchen, da wo ich hingehe.«
»In Sankrist wirst du einen brauchen«, antwortete Tolpan zweifelnd. »Derek glaubt, daß die Drachenfürsten einen Großangriff vorbereiten, und ich glaube, ein Helm käme da sehr gelegen...«
»Ich meine nicht Sankrist!« knurrte Flint und versuchte sich aufzusetzen. »Ich brauche keinen Helm, weil ich im Sterben liege!«
»Ich wäre einmal beinahe gestorben«, sagte Tolpan feierlich.
Er stellte eine dampfende Schüssel auf den Tisch und machte es sich in einem Stuhl bequem, um seine Geschichte zu erzählen: »Es war damals in Tarsis, als der Drache ein Gebäude auf mich stürzen ließ. Elistan sagte, daß ich ein Todeskandidat gewesen bin. In der Tat waren das nicht seine genauen Worte, aber er sagte, es wäre nur durch die inter..., inter..., na ja, interirgend etwas der Götter, daß ich noch lebe.«
Flint stöhnte laut auf und fiel auf sein Lager zurück. »Ist es zuviel verlangt«, sagte er zu der Lampe, die über seinem Kopf baumelte, »wenn ich gern in Frieden sterben möchte? Nicht umzingelt von Kendern!« Sein letzter Satz war praktisch ein Kreischen.
»Ah, komm. Du stirbst nicht, weißt du«, sagte Tolpan. »Du bist nur seekrank.«
»Ich sterbe«, sagte der Zwerg halsstarrig. »Ich bin mit einer gefährlichen Krankheit infiziert und liege jetzt im Sterben. Und es ist eure Schuld. Ihr habt mich in dieses verdammte Boot gezerrt...«
»Schiff«, unterbrach ihn Tolpan.
»Boot!« wiederholte Flint zornig. »Ihr habt mich in dieses verdammte Boot gezerrt und mich dann an einer schrecklichen Krankheit in einer von Ratten befallenen Schlafkammer verrecken lassen...«
»Wir hätten dich auch in Eismauer zurücklassen können, weißt du, bei den Walroß-Menschen und...«, Tolpan hielt inne.
Flint versuchte wieder, sich aufzurichten, aber dieses Mal lag in seinen Augen ein wilder Blick. Der Kender erhob sich und bewegte sich langsam zur Tür. »Oh, ich glaube, ich gehe jetzt lieber. Ich bin nur gekommen, um – uh – zu sehen, ob du etwas zu essen möchtest. Der Schiffskoch hat etwas zubereitet, er bezeichnete es als grüne Erbsensuppe...«
Laurana, die in einer windgeschützten Ecke auf dem Vorderdeck kauerte, zuckte zusammen, als sie ein gräßliches Brüllen von den unteren Decks hörte, gefolgt von dem splitternden Porzellan. Sie blickte Sturm an, der neben ihr stand. Der Ritter lächelte.