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Silvara schloß die Augen, ihr Gesicht war schmerzvoll verzogen. Gilthanas, der sie beobachtete, fragte sich, warum sie von dieser Legende so berührt war. Er streckte seine Hand aus und berührte sie. Sie zuckte wie ein wildes Tier zusammen und zog sich so schnell zurück, daß das Boot schaukelte.

»Es tut mir leid«, sagte Gilthanas. »Ich wollte dich nicht erschrecken. Was geschah weiter?«

Silvara holte tief Luft. »Paladin erfüllte ihr den Wunsch – mit einer schrecklichen Bedingung. Er zeigte beiden die Zukunft. Wenn sie ein Drache bleiben würde, könnten sie und Huma die Drachenlanze und die Macht erhalten, die bösartigen Drachen zu besiegen. Wenn sie sterblich werden würde, würden sie und Huma als Mann und Frau zusammenleben, aber die bösartigen Drachen würden auf ewig im Lande bleiben. Huma schwor, daß er alles aufgeben würde – seine Ritterschaft, seine Ehre -, um mit ihr zusammenzubleiben. Aber sie sah das Licht in seinen Augen sterben, als er sprach, und weinend wußte sie die Antwort, die sie geben mußte. Die bösartigen Drachen durften nicht in der Welt bleiben. Und der Silberfluß, so heißt es, entstand durch die Tränen des silbernen Drachen, als Huma sie verließ, um die Drachenlanze zu finden.«

»Nette Geschichte. Ein bißchen traurig«, sagte Tolpan gähnend. »Ist der alte Huma zurückgekommen? Hat die Geschichte ein glückliches Ende?«

»Humas Geschichte endete nicht glücklich«, sagte Sturm und runzelte über den Kender die Stirn. »Aber er ist heldenhaft im Kampf gestorben, den Anführer der Drachen besiegend, obwohl er selbst tödlich verletzt war. Ich habe jedoch gehört«, fügte der Ritter nachdenklich zu, »daß er auf einem silbernen Drachen in die Schlacht ritt.«

»Und wir haben einen Ritter auf einem silbernen Drachen in Eismauer gesehen«, sagte Tolpan lebhaft. »Er hat Sturm den...«

Der Ritter stieß den Kender in den Rücken. Zu spät erinnerte sich Tolpan, daß das ein Geheimnis bleiben sollte.

»Ich weiß nichts von einem silbernen Drachen«, sagte Silvara und zuckte mit den Schultern. »Mein Volk weiß wenig über Huma. Er war ja schließlich ein Mensch. Ich glaube, man erzählt diese Legende nur, weil es den Fluß, den sie so sehr lieben, betrifft, den Fluß, der ihre Toten aufnimmt.«

In diesem Moment zeigte einer der Kaganesti auf Gilthanas und sagte etwas in scharfem Ton zu Silvara. Gilthanas sah sie fragend an, da er nichts verstand. Das Elfenmädchen lächelte.

»Er fragt, ob du als Elfenlord zu erhaben seist, um zu paddeln, weil er – wenn du es bist – seiner Lordschaft erlauben würde, zu schwimmen.«

Gilthanas grinste sie an, sein Gesicht wurde knallrot. Schnell nahm er sein Paddel und setzte seine Arbeit fort.

Trotz all ihrer Bemühungen – und obwohl sogar Tolpan später auch noch einmal paddeln mußte – verlief die Reise gegen den Strom langsam und anstrengend. Nach einer Zeit sichteten sie Land, ihre Muskeln schmerzten von der Anstrengung, ihre Hände waren blutig und mit Blasen bedeckt. Sie konnten nur noch die Boote ans Land ziehen und verstecken.

»Glaubst du, daß wir die Verfolger abgeschüttelt haben?« fragte Laurana Theros erschöpft.

»Beantwortet das deine Frage?« Er zeigte stromabwärts.

In der Abenddämmerung konnte Laurana nicht mehr als einige dunkle Umrisse auf dem Wasser ausmachen. Sie waren noch weit entfernt, aber für Laurana stand fest, daß die Gefährten in der Nacht wenig Ruhe haben würden. Einer der Kaganesti sprach mit Theros und zeigte in dieselbe Richtung. Der Schmied nickte.

»Macht euch keine Sorgen. Bis zum Morgen sind wir sicher. Er sagt, sie müssen auch erst Land sichten. Keiner wagt, in der Nacht auf dem Fluß zu reisen. Nicht einmal die Kaganesti, und sie kennen hier jede Biegung und jeden Baum. Er sagt, er will hier nahe am Fluß ein Lager errichten. Seltsame Kreaturen laufen nachts durch den Wald – Männer mit Echsenköpfen. Morgen werden wir auf dem Fluß Weiterreisen. Aber bald werden wir den Fluß verlassen und an Land weitergehen.«

»Frag ihn, ob sein Volk die Qualinesti aufhalten wird, die uns verfolgen, wenn wir sein Land betreten«, sagte Sturm zu Theros.

Theros wandte sich an den Kaganesti-Elf und redete mit ihm unbeholfen, aber verständlich in der Elfensprache. Der Kaganesti schüttelte den Kopf. Er war eine wild aussehende Kreatur.

Laurana konnte verstehen, wieso ihr Volk dachte, daß sie von den Tieren nur eine Stufe entfernt waren. Sein Gesicht trug Spuren menschlicher Vorfahren. Obwohl er keinen Bart trug das Elfenblut lief zu rein in den Venen der Kaganesti -, erinnerte er Laurana lebhaft an Tanis mit seiner schnellen, entschlossenen Art zu sprechen, seinem starken, muskulösen Körperbau und seinen eindringlichen Gesten. Von Erinnerungen überwältigt, wandte sie sich ab.

Theros übersetzte: »Er sagt, daß die Qualinesti das Protokoll befolgen und den Ältesten um Erlaubnis bitten müssen, das Kaganesti-Land zu betreten, um nach euch zu suchen. Die Ältesten werden wahrscheinlich diese Erlaubnis erteilen. Sie wollen keine Menschen mehr im südlichen Ergod haben so wie ihre Verwandten. In der Tat«, fügte Theros langsam hinzu, »hat er klargemacht, daß er und seine Freunde uns nur helfen, um mir und Silvara einen Gefallen zu erweisen.«

Lauranas Blick ging zu dem Mädchen. Silvara stand am Flußufer und unterhielt sich mit Gilthanas.

Theros sah, wie sich Lauranas Gesicht verhärtete. Als er zu der Wild-Elfe und dem Elfenlord sah, erriet er, warum.

»Merkwürdig, Eifersucht im Gesicht einer zu sehen, die – den Gerüchten nach – weggelaufen ist, um die Geliebte meines Freundes, Tanis, des Halb-Elfs, zu werden«, bemerkte Theros.

»Ich dachte, du würdest dich von deinem Volk unterscheiden, Laurana.«

»Das stimmt nicht«, erwiderte sie scharf, spürte ihre Haut brennen. »Ich bin nicht Tanis' Geliebte. Obwohl auch das keinen Unterschied machen würde. Ich traue diesem Mädchen einfach nicht. Sie ist, nun, zu eifrig bemüht, uns zu helfen, falls das überhaupt einen Sinn ergibt.«

»Dein Bruder könnte etwas damit zu tun haben.«

»Er ist ein Elfenlord...«, begann Laurana wütend. Dann stockte sie, als ihr bewußt wurde, was sie eigentlich hatte sagen wollen. »Was weißt du über Silvara?« fragte sie statt dessen.

»Wenig«, antwortete Theros und betrachtete Laurana enttäuscht, was sie zornig machte. »Ich weiß, daß sie von ihrem Volk hochverehrt und geliebt wird, besonders wegen ihrer Heilkünste.«

»Und wegen ihrer Kundschafterkünste?« fragte Laurana kühl.

»Diese Leute kämpfen um ihr Überleben. Sie tun, was sie tun müssen«, sagte Theros streng. »Das war wirklich eine nette Rede heute morgen am anderen Ufer, Laurana. Fast hätte ich es geglaubt.«

Der Schmied drehte sich um und ging den Kaganesti bei dem Verbergen der Boote helfen. Laurana biß sich wütend und beschämt auf die Lippen. Hatte Theros recht? War sie eifersüchtig? Betrachtete sie Silvara als Gilthanas nicht wert? Sicherlich war es so, wie Gilthanas Tanis immer betrachtet hatte. War es anders?

Horche auf deine Gefühle, hatte Raistlin ihr gesagt. Das hörte sich gut an, aber zuerst mußte sie ihre Gefühle verstehen! Hatte sie aus ihrer Liebe zu Tanis etwas gelernt?

Ja, entschied Laurana schließlich, als sich ihre Gedanken klärten. Es stimmte schon, was sie Theros gesagt hatte. Wenn etwas um Silvara war, dem sie nicht traute, hatte es nichts mit der Tatsache zu tun, daß sich Gilthanas zu dem Mädchen hingezogen fühlte. Es war etwas Unbestimmtes. Laurana tat es leid, daß Theros sie mißverstanden hatte, aber sie würde sich an Raistlins Rat halten und ihren Instinkten vertrauen.

Sie würde Silvara im Auge behalten.

17

Silvara

Obwohl jeder Muskel an Gilthanas' Körper nach Ruhe schrie und er dachte, daß er nicht schnell genug auf sein Lager kriechen konnte, fand sich der Elfenlord hellwach und in den Himmel starrend vor. Gewitterwolken hingen schwer über ihnen, aber eine Brise aus dem Westen brach sie auf. Gelegentlich konnte er die Sterne erkennen, und einmal flackerte der rote Mond am Himmel wie eine Kerzenflamme auf und wurde dann von den Wolken ausgelöscht.