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Schließlich standen nur noch Laurana, Flint und Tolpan bei ihrem Freund, ihre Arme umeinander geschlungen. Ein eisiger Wind pfiff durch die offene Tür der Grabstätte, wo die Ehrenwache stand, bereit, die Kammer zu versiegeln.

»Kharan bea Reorx«, sagte Flint in der Zwergensprache und wischte mit seiner knorzigen und zitternden Hand über seine Augen. »Freunde treffen sich bei Reorx.« Er wühlte in seinem Beutel und holte ein Stück Holz hervor, eine wunderschön geschnitzte Rose. Sanft legte er sie auf Sturms Brust neben Alhanas Sternenjuwel.

»Leb wohl, Sturm«, sagte Tolpan verlegen. »Ich habe nur ein Geschenk, das – das dir gefallen würde. Ich... ich glaube nicht, daß du es verstehst. Aber dann wiederum verstehst du es vielleicht doch. Vielleicht verstehst du es sogar besser als ich.«

Tolpan legte eine kleine weiße Feder in die kalte Hand des Ritters.

»Quisalan elevas«, flüsterte Laurana in der Elfensprache. »Unser Liebesband ist ewig.« Sie hielt inne, wollte Sturm in dieser Dunkelheit nicht allein lassen.

»Komm, Laurana«, sagte Flint. »Wir haben uns verabschiedet. Wir müssen ihn nun gehen lassen. Reorx wartet auf ihn.«

Laurana trat zurück. Schweigend und ohne sich umzudrehen stiegen die drei Freunde die engen Stufen hoch und schritten durch die eisigen, stechenden Graupelschauer.

Weit entfernt vom eiskalten Solamnia nahm jemand anders Abschied von Sturm Feuerklinge.

Silvanesti hatte sich in den vergangenen Monaten nicht verändert. Obwohl Loracs Alptraum zu Ende war, und sein Körper unter der Erde seiner geliebten Heimat ruhte, erinnerte das Land sich noch an Loracs fürchterliche Träume. Die Luft roch nach Tod und Zerfall. Die Bäume waren immer noch in unendlichen Qualen verformt. Mißgebildete Kreaturen streiften durch die Wälder, versuchten, ihrer entstellten Existenz ein Ende zu bereiten.

Vergeblich wartete Alhana von ihrem Zimmer im Sternenturm aus auf eine Veränderung.

Die Greife waren zurückgekehrt, so wie sie es erwartet hatte, da der Drache verschwunden war. Sie hatte beabsichtigt, Silvanesti zu verlassen und zu ihrem Volk nach Ergod zurückzukehren. Aber die Greife brachten beunruhigende Neuigkeiten: Krieg zwischen Elfen und Menschen.

Es war ein Zeichen der Veränderung in Alhana, ein Zeichen ihres Leidens in diesen vergangenen Monaten, daß sie diese Nachrichten bedrückend fand. Bevor sie Tanis und die anderen kennengelernt hatte, hätte sie einen Krieg zwischen Elfen und Menschen akzeptiert, vielleicht sogar begrüßt. Aber jetzt erkannte sie, daß dies nur ein Werk der bösen Kräfte in der Welt war.

Sie sollte zu ihrem Volk zurückkehren, das wußte sie. Vielleicht könnte sie diesen Wahnsinn beenden. Aber sie redete sich ein, daß das Wetter zum Reisen zu unsicher wäre. In Wirklichkeit schrak sie vor der Bestürzung und dem Zweifel ihres Volkes zurück, wenn sie ihnen von der Zerstörung ihres Landes und ihrem Versprechen berichten würde: dem Versprechen an ihren sterbenden Vater, daß die Elfen zurückkehren und das Land wieder aufbauen würden, nachdem sie die Menschen beim Kampf gegen die Dunkle Königin und ihre Helfer unterstützt hätten. Oh, sie würde gewinnen. Daran hatte sie keinen Zweifel.

Aber sie empfand Grauen, die Einsamkeit ihres selbstgewählten Exils aufzugeben, um sich dem Durcheinander der Welt außerhalb von Silvanesti zu stellen.

Und sie fürchtete sich – obgleich sie sich danach sehnte – den Menschen, den sie liebte, wiederzusehen: den Ritter, dessen stolzes und ehrenhaftes Gesicht in ihren Träumen erschien, dessen Seele sie durch den Sternenjuwel teilte. Ohne sein Wissen stand sie an seiner Seite im Kampf um seine Ehre. Ohne sein Wissen teilte sie seine Qualen und lernte allmählich die Tiefen seiner noblen Seele kennen. Ihre Liebe zu ihm wuchs täglich so wie ihre Furcht, ihn zu lieben.

Und so verschob Alhana ständig ihre Abreise. Ich werde aufbrechen, sagte sie sich, wenn ich ein Zeichen bekomme, das ich meinem Volk bringen kann – ein Zeichen der Hoffnung. Sonst werden sie nicht zurückkehren. Sie werden vor Verzweiflung aufgeben. Tag für Tag sah sie aus dem Fenster.

Aber es kam kein Zeichen.

Die Winternächte wurden immer länger, die Dunkelheit tiefer. Eines Abends ging Alhana auf den Zinnen des Sternenturms spazieren. In Solamnia war es Nachmittag, und auf einem anderen Turm stand Sturm Feuerklinge einem himmelblauen Drachen und einer Drachenfürstin, Finstere Herrin genannt, gegenüber. Plötzlich spürte Alhana ein seltsames und beängstigendes Gefühl – als ob die Welt aufgehört hätte, sich zu drehen.

Ein wahnsinniger Schmerz durchbohrte ihren Körper, so daß sie sich setzen mußte. Vor Angst und Trauer schluchzend, umklammerte sie den Sternenjuwel, den sie um ihren Hals trug, und sah, wie sein Licht flackerte und erstarb.

»Das ist also mein Zeichen!« weinte sie bitterlich, hielt den dunklen Juwel in ihrer Hand und schüttelte ihn. »Es gibt keine Hoffnung! Es gibt nur Tod und Verzweiflung!«

Sie hielt den Juwel so fest, daß seine scharfen Kanten sich in ihr Fleisch bohrten. Alhana stolperte blind durch die Dunkelheit zu ihrem Zimmer. Noch einmal sah sie aus dem Fenster auf das sterbende Land. Dann schloß sie es schluchzend.

Soll die Welt sein, wie sie ist, sagte sie sich bitter. Soll mein Volk auf seine eigene Weise sein Ziel erreichen. Das Böse wird vorherrschen. Wir können nichts tun, um es aufzuhalten. Ich werde hier bei meinem Vater sterben.

In jener Nacht machte sie einen letzten Spaziergang. Achtlos warf sie einen dünnen Umhang über ihre Schultern und steuerte auf ein Grab zu, das neben einem verformten Baum lag. In ihrer Hand hielt sie den Sternenjuwel.

Sie warf sich auf den Boden und begann mit bloßen Händen hektisch zu graben, kratzte an der gefrorenen Erde des Grabes ihres Vaters mit Fingern, die bald rauh und blutig waren. Es kümmerte sie nicht. Sie begrüßte den Schmerz, der so viel leichter zu ertragen war als der Schmerz in ihrem Herz.

Schließlich hatte sie ein kleines Loch gegraben. Der rote Mond Lunatari kroch in den Nachthimmel, färbte das Licht des Silbermondes mit Blut. Alhana starrte auf den Sternenjuwel, bis sie ihn durch ihre Tränen nicht mehr sehen konnte, dann warf sie ihn in das Loch. Sie bezwang ihre Tränen, wischte sie aus dem Gesicht und wollte das Loch zugraben.

Dann hielt sie inne.

Ihre Hände zitterten. Zögernd griff sie nach unten und wischte die Erde von dem Sternenjuwel, fragte sich, ob die Trauer sie in den Wahnsinn getrieben hätte. Nein, von ihm ging ein winziger Lichtschimmer aus, der immer stärker wurde. Alhana nahm den schimmernden Juwel aus dem Grab.

»Aber er ist tot«, sagte sie leise und starrte auf den Juwel, der im silbernen Licht von Solinari funkelte. »Ich weiß, daß er tot ist. Nichts kann das ändern. Aber warum dann dieses Licht...«

Ein plötzliches Rascheln ließ sie zurückschrecken. Alhana fürchtete, daß der entsetzlich verformte Baum über Loracs Grab sie mit seinen krächzenden Ästen packen wollte. Aber sie sah, daß die Zweige des Baumes nicht mehr verzerrt waren. Einen Augenblick lang hingen sie bewegungslos, und dann richteten sie sich mit einem Seufzen auf. Der Stamm erhob sich, und die Rinde wurde glatt und begann im silbernen Mondlicht zu glitzern. Es tropfte kein Blut mehr aus dem Baum. Durch die Adern der Blätter floß wieder Lebenssaft.

Alhana keuchte. Sie erhob sich unsicher und sah sich um.

Sonst hatte sich nichts verändert. Kein anderer Baum war anders, nur dieser über Loracs Grab.

Ich werde verrückt, dachte sie. Ängstlich wandte sie sich wieder zu dem Baum am Grab ihres Vaters. Nein, er hatte sich verändert. Noch während sie hinsah, wurde er immer schöner.

Vorsichtig hängte Alhana den Sternenjuwel wieder an seinen Platz über ihrem Herzen. Dann drehte sie sich um und ging zum Turm zurück. Es gab noch viel zu tun, bevor sie nach Ergod aufbrechen würde.