»Ich bin hier, mein Bruder.«
»Zur rechten Zeit«, keuchte Caramon und schwang mit neuer Kraft sein Schwert. »Was sind das für grauenhafte Wesen?« »Töte ihn nicht!« warnte Raistlin schnell. »Sie verwandeln sich in Stein. Wir haben es mit irgendeiner Art von Reptilienmenschen zu tun. Darum diese Gewänder und Kapuzen.« Obwohl sie sich wie Tag und Nacht unterschieden, kämpften die Zwillinge, wenn es darauf ankam, gut zusammen. Sie tauschten einige rasche Worte. Caramon, wieder auf den Beinen, ließ Schwert und Dolch fallen und spannte seine riesigen Armmuskeln an. Als die Kreaturen Caramons Waffen fallen sahen, stürmten zwei von ihnen vor. Ihre Lumpen hatten sich aus den Gürteln gelöst und flatterten grotesk um ihre Reptilienleiber. Caramon zog eine Grimasse beim Anblick ihrer schuppigen Körper und Klauenhände.
»Bereit«, sagte er zu seinem Bruder.
»Ast tasark simiralan krynawi«, murmelte Raistlin leise und warf eine Handvoll Sand in die Luft. Die Kreaturen hielten inne, schüttelten benommen ihre Köpfe... Aber dann blitzte es in ihren Augen auf. Wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte, griffen sie erneut an.
»Sie widerstehen jedem Zauber!« murmelte Raistlin ehrfürchtig. Aber dieses kurze Zwischenspiel hatte für Caramon ausgereicht. Er umschlang ihre knochigen Reptilhälse mit seinen riesigen Händen und stieß mit aller Kraft ihre Köpfe zusammen. Die Körper taumelten zu Boden - leblose Statuen. Caramon sah auf und erblickte zwei weitere Wesen, die mit gebogenen Schwertern in ihren Klauen über ihre versteinerten Brüder hinweg auf ihn zukamen.
»Stell dich hinter mich«, befahl Raistlin heiser. Caramon hob schnell seinen Dolch und sein Schwert auf. Er schlüpfte hinter seinen Bruder. Er fürchtete zwar um Raistlin, wußte aber, daß der Bruder seinen Zauber nicht aussprechen konnte, wenn er im Weg stand.
Raistlin starrte konzentriert auf die Kreaturen, die – den Magier erkennend – langsamer wurden und einander zögernd ansahen. Eines der Wesen ließ sich fallen und kroch unter den Karren. Das andere sprang mit dem Schwert in der Hand vor, in der Hoffnung, den Magier zu durchbohren, bevor dieser seinen Zauberspruch beenden konnte, oder um wenigstens die für Zauberer so notwendige Konzentration zu durchbrechen. Caramon brüllte. Raistlin schien weder zu hören noch zu sehen. Langsam hob er seine Hände, legte die Daumen zusammen, spreizte seine mageren Finger fächerartig auseinander und sprach: »Kair tangus miopiar.« Der Zauber schoß aus seinem zerbrechlichen Körper hervor, und die Kreatur wurde von Flammen umlodert.
Tanis, der sich vom ersten Schock erholt hatte, hörte Sturms Schrei und stürzte durch das Gebüsch auf die Straße. Er schwang sein Schwert wie eine Keule und erschlug die Kreatur, die Sturm auf den Boden gedrückt hielt, mit der flachen Klinge. Dann zog er den verwundeten Krieger ins Unterholz.
»Mein Schwert«, murmelte Sturm benommen. Blut floß über sein Gesicht. Er versuchte erfolglos, es wegzuwischen. »Wir kriegen dein Schwert schon«, versprach Tanis – fragte sich nur, wie. Er sah auf die Straße. Immer mehr Grauenskreaturen schwärmten aus dem Wald und hielten auf sie zu. Tanis' Mund wurde trocken. Wir müssen hier raus, dachte er und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Tief Luft holend, wandte er sich Flint und Tolpan zu, die ihm nachgerannt waren.
»Bleibt hier und paßt auf Sturm auf«, wies er sie an. »Ich werde versuchen, alle zusammenzubringen. Wir müssen wieder in den Wald zurück.«
Er wartete die Antwort nicht ab, sondern stürzte auf die Straße. Im gleichen Augenblick loderten die Flammen von Raistlins Zauber auf, und er mußte sich auf den Boden werfen.
Der Karren begann zu qualmen, als das Stroh, auf dem die Kreatur gelegen hatte, Feuer fing.
»Bleibt hier und paßt auf Sturm auf. Pah!« grollte Flint und schwang seine Streitaxt. Einen Moment lang schienen die Kreaturen weder den Zwerg noch den Kender oder den verletzten Ritter zu bemerken. Aber Flint wußte, daß dies nur eine Frage der Zeit war. Er stemmte seine Füße in den Boden. »Mach etwas für Sturm«, sagte er gereizt zu Tolpan. »Du könntest wenigstens einmal etwas Nützliches tun!«
»Das versuche ich doch«, entgegnete Tolpan verletzt. »Aber ich kann die Blutung nicht stillen.« Er wischte mit einem einigermaßen sauberen Taschentuch über die Augen des Ritters. »Nun, kannst du jetzt sehen?« fragte er eifrig.
Sturm stöhnte und versuchte aufzusitzen, aber Schmerzen schössen durch seinen Kopf, und er sank zurück. »Mein Schwert«, hauchte er.
Tolpan sah zu Sturms zweihändigem Schwert hinüber, das aus dem Rücken des zu Stein gewordenen Klerikers ragte. »Das ist phantastisch!« sagte der Kender mit aufgerissenen Augen. »Schau dir das an, Flint! Sturms Schwert...«
»Ich weiß, du gehirnloser Kender!« Flint brüllte auf, als er eine Kreatur mit gezogenem Schwert auf sie zurennen sah.
»Ich hole es mal eben«, sagte Tolpan fröhlich zu Sturm, »dauert keine Minute.«
»Nein...«, gellte Flint, dem klar wurde, daß sich die angreifende Kreatur außerhalb von Tolpans Blickfeld befand. Das Wesen holte aus und zielte auf den Hals des Zwerges. Flint schwang seine Axt, doch im selben Moment sprang Tolpan auf die Füße - die Augen immer noch auf Sturms Schwert gerichtet. Der Hupakstab des Kenders warf den Zwerg nach hinten. Das Schwert der Kreatur sauste über den Zwerg hinweg. Flint kreischte erschrocken und fiel mit dem Rücken auf Sturm.
Tolpan, der den Zwerg schreien hörte, drehte sich um und staunte über einen merkwürdigen Anblick: Ein Kleriker griff Flint an, der aus irgendeinem Grund auf dem Rücken lag und wild mit den Beinen strampelte, obwohl er doch eigentlich kämpfen sollte.
»Was machst du da, Flint?« schrie Tolpan und trommelte zugleich mit dem Hupak lässig auf den Magen der Kreatur ein, dann auf den Kopf, bis sie taumelte und ohnmächtig niedersank. »Was denn!« fragte er Flint gereizt. »Muß ich jetzt auch noch deine Kämpfe austragen?« Er drehte sich um und steuerte auf Sturms Schwert zu.
»Kämpfen! Für mich!« Der Zwerg stotterte vor Wut und ruderte wild mit den Armen, um wieder hochzukommen. Sein Helm war ihm über die Augen gerutscht, so daß er nichts mehr sehen konnte. Flint schob ihn nach hinten, gerade als ein anderer Kleriker wieder nach ihm trat. Tanis fand Goldmond und Flußwind Rücken an Rücken stehend. Die Frau wehrte die Kreaturen mit ihrem Stab ab. Drei von ihnen lagen bereits tot zu ihren Füßen; ihre versteinerten Überreste waren von der blauen Flamme geschwärzt. Flußwinds Schwert steckte in den Eingeweiden einer anderen Statue fest. Der Barbar hielt die einzige ihm verbliebene Waffe seinen Kurzbogen – im Anschlag. Die Kreaturen zögerten einen Moment lang und besprachen sich leise in ihrer unverständlichen Sprache. Tanis war klar, daß sie die Barbaren im Nu erledigen würden. Er sprang zu ihnen und erschlug eine Kreatur von hinten mit der flachen Seite seines Schwertes, dann überwältigte er mit einem Rückhandschlag einen anderen. »Los!« schrie er den Barbaren zu. »Hier lang!«
Einige Kreaturen griffen von neuem an, andere zögerten noch. Flußwind schoß einen Pfeil ab und traf eins der Schreckenswesen, dann griff er nach Goldmonds Hand, und zusammen rannten sie zu Tanis, dabei über die Steinkörper ihrer Opfer setzend.
Tanis ließ sie an sich vorbeilaufen und griff die verfolgenden Kreaturen mit seinem Schwert an. »Hier, nimm den Dolch!« rief er Flußwind zu. Flußwind ergriff ihn und schlug ihn in den Rachen einer Kreatur. Wieder blitzte eine blaue Flamme auf, als Goldmond mit dem Stab ein Wesen niederschlug, das sich ihr in den Weg stellte. Dann waren sie im Wald.