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Der Holzkarren brannte nun lichterloh. Tanis spähte durch den Rauch, um zu sehen, was auf der Straße vor sich ging. Ein Schauer überlief ihn, als er dunkle, geflügelte Gestalten ungefähr fünfhundert Meter von ihnen entfernt auf beiden Seiten der Straße flattern sah. Die Straße war nun in beiden Richtungen abgeschnitten. Sie waren verloren, wenn es ihnen nicht gelang, so schnell wie möglich weiter in den Wald zu entkommen.

Er erreichte die Stelle, wo er Sturm zurückgelassen hatte. Goldmond und Flußwind waren da, ebenso Flint. Wo waren die anderen? Er starrte in den dichten Rauch und mußte die Tränen wegblinzeln.

»Hilf Sturm«, sagte er zu Goldmond. Dann wandte er sich an Flint, der erfolglos versuchte, seine Axt aus der Brust einer Steinkreatur zu ziehen. »Wo sind Caramon und Raistlin? Und wo ist Tolpan? Ich habe doch gesagt, er soll hierbleiben...« »Dieser verdammte Kender hätte mich fast getötet!« explodierte Flint. »Ich hoffe, sie nehmen ihn mit! Ich hoffe, sie werfen ihn den Hunden vor! Ich hoffe...« »Bei den Göttern!« fluchte Tanis wütend. Er ging wieder den Weg durch den Rauch zurück, dorthin, wo er Caramon und Raistlin zuletzt gesehen hatte, und stolperte über den Kender, der Sturms Schwert auf der Straße hinter sich zog. Die Waffe war fast so groß wie Tolpan, und da er sie nicht hochheben konnte, zerrte er sie durch den Schlamm.

»Wie ist dir das denn gelungen?« fragte Tanis verwundert, während er in dem dicken Qualm hustete.

Tolpan grinste, vom Rauch liefen ihm Tränen über das Gesicht. »Die Kreatur hat sich in Staub verwandelt«, sagte er fröhlich. »O Tanis, es war wundervoll. Ich ging hin und zog am Schwert, aber es ging nicht raus, und ich zog und zog...« »Nicht jetzt! Geh zu den anderen!« Tanis packte den Kender und schob ihn nach vorn. »Hast du Caramon und Raistlin gesehen?« Aber da hörte er schon die Stimme des Kriegers aus dem Rauch: »Hier sind wir«, hechelte Caramon. Er hatte einen Arm um seinen hustenden Bruder gelegt. »Haben wir sie alle vernichtet?« fragte er heiter. »Nein, das haben wir nicht«, erwiderte Tanis grimmig. »Wir müssen durch die Wälder Richtung Süden.« Er legte einen Arm um Raistlin, und zusammen eilten sie zu den anderen zurück, die zwar im Rauch röchelten, aber dennoch für diesen Schutzmantel dankbar waren. Sturm stand wieder, sein Gesicht war blaß, aber der Schmerz in seinem Kopf war verschwunden, und die Wunde hatte zu bluten aufgehört.

»Hat der Stab ihn geheilt?« fragte Tanis Goldmond.

Sie hustete. »Nicht ganz. Aber doch so weit, daß er gehen kann.«

»Er hat... Grenzen«, keuchte Raistlin.

»Ja...«, unterbrach Tanis. »Wir gehen Richtung Süden, durch den Wald.«

Caramon schüttelte den Kopf. »Dort ist der Düsterwald...«, begann er.

»Ich weiß – du würdest lieber gegen Lebewesen kämpfen«, unterbrach Tanis. »Und wie fandest du das gerade?«

Der Krieger antwortete nicht.

»Von diesen Kreaturen kommen immer mehr aus beiden Richtungen. Wir könnten keinem weiteren Angriff standhalten. Aber wir werden den Düsterwald nicht betreten, wenn es nicht notwendig ist. Nicht weit von hier ist ein Wildpfad, auf dem wir die Betenden Gipfel erreichen können. Von dort aus haben wir einen guten Ausblick auf die Straße zum Norden und auch in die anderen Richtungen.«

»Wir könnten auch wieder zur Höhle zurück. Das Boot ist dort versteckt«, schlug Fluß wind vor.

»Nein!« rief Flint mit erstickter Stimme. Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Zwerg um, verschwand im Wald und rannte so schnell südwärts, wie ihn seine kurzen Beine tragen konnten.

10

Flucht. Der weiße Hirsch

Die Gefährten stolperten so schnell sie konnten durch den dichten Wald und erreichten bald den Wildpfad. Caramon übernahm die Führung, das Schwert in der Hand. Sein Bruder folgte und hielt eine Hand auf Caramons Schulter, seine Lippen in grimmiger Entschlossenheit zusammengepreßt. Die anderen kamen mit gezogenen Waffen hinterher.

Aber von den Kreaturen war nichts mehr zu sehen.

»Warum verfolgen sie uns nicht?« fragte Flint nach einer Stunde.

Tanis kratzte sich den Bart - dasselbe hatte er sich auch gefragt. »Das haben sie nicht nötig«, antwortete er schließlich. »Wir sitzen sowieso in der Falle. Ich bin sicher, daß sie alle Ausgänge dieses Waldes blockiert haben, ausgenommen den Düsterwald...« »Düsterwald!« wiederholte Goldmond leise. »Müssen wir wirklich diesen Weg nehmen?«

»Vielleicht nicht«, antwortete Tanis. »Wir werden vom Betenden Gipfel einen guten Ausblick haben.« Plötzlich hörten sie Caramon rufen. Tanis lief nach vorn. Raistlin war zusammengebrochen.

»Es ist alles in Ordnung«, wisperte der Magier. »Aber ich muß mich ausruhen.«

»Eine Rast können wir alle gebrauchen«, sagte Tanis. Keiner sagte etwas. Alle sanken müde nieder und schöpften in schnellen Zügen Atem. Sturm schloß seine Augen und lehnte sich gegen einen mit Moos bewachsenen Stein. Sein Gesicht war leichenblaß. An seinem langen Schnurrbart und in seinen Haaren klebte Blut. Tanis wußte, daß der Ritter eher sterben würde, als ein Wort der Klage von sich zu geben.

»Keine Sorge«, sagte Sturm plötzlich barsch. »Laßt mir nur einen Augenblick Ruhe.« Tanis ergriff kurz die Hand des Ritters, dann setzte er sich zu Flußwind. Beide sprachen einige Minuten kein Wort, dann fragte Tanis: »Du hast schon einmal gegen diese Kreaturen gekämpft, nicht wahr?«

»In der zerstörten Stadt.« Fluß wind erschauerte. »Es kam mir alles wieder zu Bewußtsein, als ich in den Karren sah und dieses... Ding mich höhnisch angrinste! Zumindest...« Er hielt inne und schüttelte den Kopf. Dann lächelte er Tanis zu. »Zumindest weiß ich jetzt, daß ich nicht verrückt bin. Diese entsetzlichen Kreaturen existieren wirklich.« »Ohne Zweifel«, murmelte Tanis. »Diese Kreaturen verbreiten sich also auf ganz Krynn, oder deine zerstörte Stadt ist hier in der Nähe.«

»Nein. Ich kam aus dem Osten nach Que-Shu. Sie war von Solace weit entfernt, hinter den Ebenen meiner Heimat.« »Was haben diese Kreaturen wohl gemeint, als sie davon sprachen, sie hätten dich bis zu unserem Dorf verfolgt?« fragte Goldmond langsam, während sie eine Hand auf seinen Arm legte.

»Sorge dich nicht«, sagte Flußwind und nahm ihre Hand in seine. »Die Kämpfer dort sind sicher mit ihnen fertig geworden.« »Flußwind, du wolltest etwas sagen...«, half sie nach. »Ja, du hast recht«, erwiderte Flußwind und streichelte ihr silbriggoldenes Haar. Er sah zu Tanis und lächelte. Für einen Moment lüftete sich die ausdruckslose Maske, und Tanis sah eine tiefe Wärme in den braunen Augen des Mannes. »Ich danke dir, Halb-Elf, und auch euch anderen.« Sein Blick fiel auf die Freunde. »Ihr habt unser Leben mehr als einmal gerettet, und ich bin euch sehr dankbar dafür. Aber« – er stockte – »es ist alles so seltsam!«

»Und es wird noch seltsamer werden.« Raistlins Stimme klang unheilvoll.

Die Gefährten kamen dem Betenden Gipfel immer näher. Sie konnten ihn schon vom Weg aus erkennen, wie er sich über die Wälder emporhob. Sein gespaltenes Haupt sah wie zwei im Gebet zusammengelegte Hände aus - daher der Name. Der Regen hatte aufgehört. Der Wald war von einer tödlichen Stille durchzogen. Den Gefährten wurde bewußt, daß die Tiere und Vögel des Waldes aus dem Land verschwunden waren und ein leeres, drohendes Schweigen hinterlassen hatten. Alle fühlten sich äußerst unbehaglich, außer vielleicht Tolpan, spähten ständig über ihre Schultern oder zogen beim kleinsten Schatten ihre Schwerter.

Sturm hatte darauf bestanden, die Nachhut zu bilden, aber er fiel zurück, als der Schmerz in seinem Kopf wieder zunahm. Ihm wurde schwindelig und übel. Er verlor jedes Gefühl dafür, wo er war und was er tat. Er wußte nur, daß er weiterlaufen mußte, einen Fuß vor den anderen setzen und sich vorwärts bewegen wie einer von Tolpans Automaten. Wie war denn Tolpans Geschichte noch mal? Sturm versuchte, sich zwischen zwei Schmerzwellen zu erinnern. Diese Automaten dienten einem Zauberer, der einen Dämonen herbeigerufen hatte, damit er die Kender forttragen sollte. Bestimmt war es genau wie all die anderen Geschichten des Kenders. Sturm setzte einen Fuß vor den anderen. Unsinn. Wie die Geschichten des alten Mannes - des alten Mannes im Wirtshaus. Geschichten vom weißen Hirsch und uralten Göttern – von Paladin. Geschichten von Huma. Sturm drückte seine Hände gegen die pochenden Schläfen... Huma...