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Tanis blieb weder Zeit, eine Antwort zu geben, noch darüber nachzudenken. Sturm kämpfte sich geschwind voran, und die anderen mußten sich ranhalten, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

»Goblins, Boote, Echsenmenschen, unsichtbare weiße Hirsche - was kommt wohl als nächstes?« beklagte sich Flint beim Kender.

»Ich wünschte, ich könnte den Hirsch sehen«, sagte Tolpan sehnsüchtig.

Die Gefährten folgten Sturm, der mit wilder Begeisterung weiterkletterte. Verletzung und Schmerzen waren vergessen. Tanis hatte seine Schwierigkeiten, den Ritter einzuholen. Als es ihm gelang, war er über den fiebrigen Glanz in Sturms Augen beunruhigt. Aber der Ritter wurde offenbar von etwas geleitet. Der Pfad führte sie nach oben zum Betenden Gipfel. Tanis sah, daß er sie zu der Spalte zwischen den »Händen« aus Stein lenkte. Soweit er wußte, hatte diesen Spalt niemals zuvor jemand betreten.

»Wartet einen Moment«, keuchte er und heftete sich wieder an Sturms Fersen. Es war fast Mittag, vermutete er, obwohl die Sonne immer noch hinter den ausgefransten grauen Wolken verborgen war. »Laßt uns ausruhen. Ich werde mir von dort oben einen Ausblick verschaffen.« Er zeigte auf einen Felssims, der seitlich des Gipfels vorsprang.

»Ausruhen...«, wiederholte Sturm geistesabwesend, hielt an und holte Atem. Er starrte einen Moment nach vorn, dann wandte er sich Tanis zu. »Ja. Laßt uns ausruhen.« Seine Augen leuchteten.

»Geht es dir gut?«

»Ja«, sagte Sturm geistesabwesend, schritt umher und strich sanft an seinem Schnurrbart. Tanis beobachtete ihn einen Moment unentschlossen, dann ging er zu den anderen zurück, die gerade über den Kamm einer kleinen Anhöhe kamen.

»Wir werden uns hier ausruhen«, sagte der Halb-Elf. Raistlin atmete erleichtert auf und ließ sich ins nasse Laub fallen. »Ich werde mich weiter oben umsehen«, fügte Tanis hinzu. »Ich komme mit dir«, bot Flußwind an.

Tanis nickte, und die beiden verließen den Pfad und steuerten auf den Felssims zu. Tanis sah kurz zu dem hochgewachsenen Krieger. Er fing an, sich bei dem finsteren, ernsten Barbaren wohl zu fühlen. Fluß wind respektierte die Privatsphäre der anderen und würde niemals daran denken, die Grenzen zu testen, die Tanis in seiner Seele aufgestellt hatte. Dies war für den Halb-Elf genauso wohltuend wie eine durchschlafene Nacht. Er wußte, daß seine Freunde – einfach weil sie seine Freunde waren und ihn nun seit Jahren kannten - sich Gedanken über seine Beziehung zu Kitiara machten. Warum hatte er sich entschieden, diese Beziehung vor fünf Jahren abrupt abzubrechen? Und warum war er so enttäuscht, als sie nicht zum Treffen erschienen war? Flußwind wußte natürlich nichts über Kitiara, aber Tanis hatte das Gefühl, auch wenn er Bescheid wüßte, wäre es einerlei: es war Tanis' Angelegenheit und nicht seine.

Als sie in Sichtweite der Haven-Straße gelangten, krochen sie die letzten Meter und schoben sich Zentimeter für Zentimeter auf dem nassen Gestein vorwärts, bis sie den Rand des Felsüberhangs erreichten. Tanis sah nach unten und nach Osten und konnte die alten Ausflugspfade erkennen. Flußwind machte ihm Zeichen, und Tanis stellte fest, daß sich Kreaturen auf den Ausflugspfaden bewegten. Das erklärte die unheimliche Stille im Wald! Tanis preßte grimmig seine Lippen zusammen. Die Kreaturen warteten wohl, um sie aus dem Hinterhalt zu überfallen. Wie es aussah, hatten Sturm und sein weißer Hirsch ihnen das Leben gerettet. Aber es würde nicht lange dauern, bis die Schreckenswesen den neuen Pfad entdeckten. Tanis sah nach unten und blinzelte – der Pfad war verschwunden! Dort war nur dichter, undurchdringlicher Wald. Der Weg hatte sich hinter ihnen geschlossen! Ich phantasiere, dachte er und richtete seine Augen wieder auf die HavenStraße und auf die vielen Kreaturen. Sie haben nicht lange gebraucht, um sich zu sammeln, dachte er. Er starrte weiter nach Norden und sah die stillen, friedlichen Gewässer des Krystalmir-Sees. Dann wanderte sein Blick zum Horizont. Tanis runzelte die Stirn. Irgend etwas stimmte nicht. Er wußte nicht genau, was es war, darum sagte er nichts zu Flußwind, sondern starrte weiter zum Horizont. Im Norden brauten sich Gewitterwolken dichter zusammen, lange, graue Finger, die das Land durchzogen... Und stiegen, um sich zu treffen -das war es! Tanis ergriff Flußwinds Arm und zeigte mit der anderen Hand nach Norden. Flußwind sah hin, zwinkerte, erkannte zuerst nichts. Dann sah er es - schwarzer Rauch, der in den Himmel zog. Seine dichten, schweren Augenbrauen zogen sich zusammen.

»Lagerfeuer«, sagte Tanis.

»Hunderte von Lagerfeuern«, fügte Flußwind leise hinzu. »Die Feuer des Krieges. Das ist ein Soldatenlager.«

»Also stimmen die Gerüchte«, sagte Sturm, als sie zurückgekehrt waren. »Dort im Norden ist eine Armee.« »Aber was für eine Armee? Von wem? Und warum? Was haben sie vor? Niemand würde eine Armee nach diesem Stab ausschicken.« Caramon hielt inne. »Oder doch?«

»Es geht nicht nur um den Stab«, zischte Raistlin. »Erinnert euch an die Sterne!«

»Kindergeschichten!« Flint rümpfte die Nase. Er entkorkte den leeren Weinschlauch, schüttelte ihn und seufzte.

»Meine Geschichten sind nicht für Kinder«, sagte Raistlin bissig und schlängelte sich aus dem Laub hoch wie eine Schlange. »Und du tätest gut daran, meine Worte ernst zu nehmen, Zwerg!« »Da ist er! Da ist der Hirsch!« sagte Sturm plötzlich, seine Augen starrten auf einen riesigen Felsen - so schien es zumindest seinen Gefährten. »Es ist Zeit aufzubrechen.« Der Ritter begann zu laufen. Die anderen sammelten hastig ihre Ausrüstung zusammen und eilten ihm hinterher. Als sie immer weiter den Pfad hochkletterten – der sich vor ihnen beim Gehen herauszubilden schien —, drehte sich der Wind und begann aus südlicher Richtung zu wehen. Es war eine warme Brise, die den Duft von spätblühenden Wildblumen mit sich trug. Sie trieb die Gewitterwolken zurück, und gerade als sie den Spalt zwischen den zwei Hälften des Gipfels erreichten, brach die Sonne hervor.

Es war schon Nachmittag, als sie eine weitere kurze Rast einlegten, bevor sie den Aufstieg durch den engen Spalt zwischen den Wänden des Betenden Gipfels wagten. Sturm bestand darauf, daß das der Weg des Hirschs war. »Wir müssen bald etwas essen«, sagte Caramon. Er stieß einen genußvollen Seufzer aus und starrte auf seine Füße. »Ich könnte meine Stiefel verspeisen!«

»Ich finde sie auch sehr appetitlich«, sagte Flint verdrießlich. »Ich wünschte, dieser Hirsch wäre aus Fleisch und Blut.« »Halt den Mund!« Sturm fuhr den Zwerg in einem plötzlichen Wutanfall an und ballte die Fäuste. Tanis erhob sich schnell, legte seine Hand auf die Schulter des Ritters, um ihn zurückzuhalten. Sturm funkelte den Zwerg weiter wütend an, sein Schnurrbart bebte, dann riß er sich von Tanis los. »Laßt uns weitergehen«, brummte er.

Als die Gefährten den engen Paß erreichten, konnten sie den klaren blauen Himmel auf der anderen Seite sehen. Der Südwind pfiff durch die steilen weißen Wände des Gebirges. Vorsichtig gingen sie weiter, kleine Steine ließen sie mehr als einmal ausrutschen. Glücklicherweise war der Paß so schmal, daß sie sich an den steilen Wänden abstützen konnten.

Nach mehr als einer halben Stunde traten sie an der anderen Seite des Betenden Gipfels heraus. Sie blieben stehen und starrten ins Tal. Saftiges Weideland ergoß sich in grünen Wellen unter ihnen, um in die Gestade eines hellgrünen Espenwaldes weit im Süden überzugehen. Die Gewitterwolken lagen weit weg, und die Sonne strahlte im klaren blauen Himmel.