Tanis begann lachend, Flint von dem Kender wegzuziehen. Dann hielt er inne und drehte sich beunruhigt um. Zu spät vernahm er das silberhelle Klimpern von Pferdegeschirr und Zaumzeug und das Wiehern eines Pferdes. Der Halb-Elf legte seine Hand an den Griff seines Schwertes, aber er hatte bereits jeden Vorteil verloren, den er durch Wachsamkeit gehabt hätte. Fluchend konnte Tanis nur dastehen und auf die Gestalt starren, die aus dem Schatten hervorkam. Sie saß auf einem schmächtigen Pony, das mit gesenktem Kopf trabte, als schämte es sich seines Reiters. Graue, gefleckte Haut hing faltig im Gesicht des Reiters. Zwei rosarote Äuglein lugten aus dem Gesicht unter einem militärisch aussehenden Helm hervor. Sein fetter, schwammiger Körper quoll aus einer protzigen Rüstung. Ein merkwürdiger Geruch traf Tanis, und er rümpfte angeekelt die Nase. »Hobgoblin!« registrierte sein Gehirn. Er lockerte sein Schwert und trat mit dem Fuß nach Flint, aber in diesem Moment nieste der Zwerg heftig und setzte sich auf den Kender.
»Pferd«, sagte Flint und nieste wieder.
»Hinter dir«, erwiderte Tanis schnell.
Flint, dem der warnende Unterton in der Stimme seines Freundes nicht entgangen war, rappelte sich auf. Tolpan machte es ihm geschwind nach.
Der Hobgoblin saß mit gespreizten Beinen auf dem Pony und beobachtete sie mit einem höhnischen und herablassenden Blick.
»Seht mal, Jungs«, bemerkte der Hobgoblin, »mit was für Dummköpfen wir hier in Solace zu tun haben.« Er gebrauchte die Umgangssprache, jedoch mit einem breiten Akzent. Aus den Bäumen hinter dem Hobgoblin ertönte knirschendes Gelächter. Fünf Goblinwachen in einfachen Uniformen traten hervor und postierten sich zu beiden Seiten ihres berittenen Anführers.
»Nun...« Der Hobgoblin lehnte sich über seinen Sattel. Tanis beobachtete mit einer Art entsetzter Faszination, daß der Sattelknauf unter dem riesigen Bauch dieser Kreatur völlig verschwand. »Ich bin Truppführer Toede, Anführer der Streitkräfte, die Solace vor unerwünschten Elementen beschützen. Ihr habt kein Recht, nach Einbruch der Dunkelheit die Stadtgrenzen zu passieren. Ihr seid verhaftet.« Truppführer Toede beugte sich zu einem Goblin: »Bring mir den Stab mit dem blauen Kristall, wenn du ihn bei ihnen findest«, sagte er in der krächzenden Goblinsprache. Tanis, Flint und Tolpan sahen sich fragend an. Sie beherrschten alle ein wenig Goblin - Tolpan besser als die anderen. Hatten sie richtig gehört? Ein Stab mit einem blauen Kristall?
»Falls sie sich wehren«, fügte Truppführer Toede hinzu, wobei er sich wieder der Umgangssprache bediente, um eine größere Wirkung zu erzielen, »dann töte sie.«
Er zerrte heftig an den Zügeln, schlug mit einer Reitpeitsche auf das Tier ein und galoppierte den Pfad hinab auf die Stadt zu.
»Goblins! In Solace! Dieser neue Theokrat scheint allerhand auf dem Kerbholz zu haben!« fauchte Flint. Er langte nach hinten, zog seine Streitaxt aus der am Rücken befestigten Halterung und setzte seine Füße auf den Pfad, sich hin und her wiegend, bis er ein Gleichgewicht gefunden hatte. »Nun gut«, verkündete er. »Dann kommt schon.«
»Ich rate euch, das Feld zu räumen«, sagte Tanis. Er warf seinen Umhang über eine Schulter und zog sein Schwert. »Wir hatten eine lange Reise. Wir sind hungrig und müde und spät dran für ein Treffen mit Freunden, die wir schon sehr lange nicht mehr gesehen haben. Wir haben nicht die Absicht, uns verhaften zu lassen.«
»Oder getötet zu werden«, fügte Tolpan hinzu. Er hatte keine Waffe gezogen, sondern beobachtete die Goblins nur interessiert. Die verblüfften Goblins sahen sich nervös an. Einer warf einen haßerfüllten Blick zum Pfad hin, auf dem ihr Anführer verschwunden war. Die Goblins waren daran gewöhnt, Hausierer und in die Stadt reisende Bauern einzuschüchtern – aber nicht herausfordernde, bewaffnete und offensichtlich geübte Kämpfer. Aber ihr Haß auf alle anderen Rassen auf Krynn war uralt, und sie zogen ihre langen gebogenen Klingen.
Flint schritt nach vorn, seine Hände hielten den Griff der Axt fest umschlossen. »Es gibt nur eine Kreatur, die ich mehr verachte als einen Gossenzwerg«, murmelte er, »und das ist ein Goblin!«
Der Goblin warf sich auf Flint in der Hoffnung, ihn niederzumachen. Flint schwang seine Axt mit tödlicher Genauigkeit. Der Goblinkopf rollte in den Staub, der Körper fiel zu Boden. »Was habt ihr Schleim in Solace zu suchen?« fragte Tanis, während er den ungeschickten Dolchstoß eines anderen Goblins gewandt parierte. Ihre Schwerter kreuzten sich und verhielten einen Augenblick, dann stieß Tanis den Goblin nach hinten. »Arbeitet ihr für den Obersten Theokraten?«
»Theokrat?« Der Goblin gluckste vor Lachen. Er schwang wild seine Waffe und rannte auf Tanis zu. »Dieser Dummkopf? Unser Truppführer arbeitet für den... hu!« Er hatte sich selbst an Tanis' Schwert aufgespießt und rutschte stöhnend auf den Boden.
»Verdammt!« fluchte Tanis und starrte enttäuscht auf den toten Goblin. »Dieser ungeschickte Narr! Ich wollte ihn nicht töten nur herausfinden, wer ihn angeheuert hat.« »Du wirst noch herausfinden, wer uns angeheuert hat – eher als dir lieb ist!« knurrte ein anderer Goblin und stürmte auf den abgelenkten Halb-Elf zu. Tanis drehte sich schnell um, entwaffnete die Kreatur, trat ihr in den Bauch, und der Goblin brach zusammen.
Ein anderer Goblin sprang Flint an, bevor der Zwerg Zeit hatte, sich von seinem tödlichen Schlag zu erholen. Er war zurückgestolpert und versuchte, wieder sein Gleichgewicht zu gewinnen. Dann ertönte Tolpans schrille Stimme: »Dieser Abschaum kämpft für jeden, Tanis. Wirf ihnen ab und zu Hundefleisch zu, und sie gehören dir für imm...«
»Hundefleisch!« krächzte der Goblin und wandte sich zornig von Flint ab. »Wie steht es denn mit Kenderfleisch, du kleiner Quietscher!« Der Goblin bewegte sich auf den anscheinend unbewaffneten Kender zu, die purpurroten Hände griffen nach seinem Hals. Tolpan, ohne seinen unschuldigen kindlichen Gesichtsausdruck zu verlieren, griff in seine Fellweste, zückte plötzlich einen Dolch und warf ihn – mit einer einzigen Bewegung. Der Goblin griff krampfhaft nach seiner Brust und fiel stöhnend zu Boden. Hastige Schritte waren zu hören, als der übriggebliebene Goblin floh. Die Schlacht war vorüber. Tanis steckte sein Schwert in die Scheide und zog angeekelt vor den stinkenden Körpern eine Grimasse; der Geruch erinnerte ihn an verwesenden Fisch. Flint wischte schwarzes Goblinblut von seiner Axtklinge. Tolpan starrte düster auf den Leichnam des Goblins, den er getötet hatte. Er war mit dem Gesicht nach unten gefallen und hatte den Dolch unter sich vergraben.
»Ich hol' ihn dir«, bot Tanis an und rollte den Körper auf die andere Seite.
»Nein.« Tolpan zog ein Gesicht. »Ich will ihn nicht zurück. Weißt du, man bekommt den Gestank niemals ganz weg.« Tanis nickte. Flint befestigte seine Axt wieder in der Halterung, und die drei setzten ihren Weg fort.
Die Lichter von Solace wurden mit zunehmender Dunkelheit heller. Der Duft brennenden Holzes in der kühlen Nachtluft weckte Gedanken an Essen und Wärme - und Sicherheit. Die Gefährten beschleunigten ihren Schritt. Lange Zeit sprachen sie nicht, jeder hörte nur Flints Worte in seinen Gedanken widerhallen: Goblins. In Solace! Schließlich jedoch kicherte der nicht kleinzukriegende Kender. »Nebenbei bemerkt«, sagte er, »es war Flints Dolch!«
3
Rückkehr zum Wirtshaus
Ein Schock. Der Eid ist gebrochen
Fast alle Einwohner von Solace schafften es in diesen Tagen, während der Abendstunden in das Wirtshaus Zur letzten Bleibe einzukehren. Die Menschen fühlten sich in der Menge sicherer. Solace war seit langer Zeit ein Treffpunkt für Reisende. Sie kamen aus Nordosten von Haven, der Hauptstadt der Sucher. Sie kamen aus dem im Süden gelegenen Königreich der Elfen, Qualinesti. Zuweilen kamen sie aus dem Osten über die unfruchtbaren Ebenen von Abanasinia. In der ganzen zivilisierten Welt war das Wirtshaus Zur letzten Bleibe als Zuflucht für Reisende und Umschlagplatz der Neuigkeiten bekannt. Und auf dieses Wirtshaus steuerten die drei Freunde zu.