»Es muß gehen«, sagte Goldmond bestimmt. »Bitte«, flehte sie, »wer auch immer der Meister dieses Stabes ist, heile diesen Mann. Bitte!« Ohne sich dessen bewußt zu sein, wiederholte sie diesen Satz immer wieder. Caramon sah einen Moment zu und blinzelte dann: Der Wald hatte sich von einem gigantischen Flammenausbruch erhellt.
»Im Namen der Hölle!« keuchte Flint. »Sieh dir das an.« Caramon drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um den großen schwarzen Flechtdrachen kopfüber in das lodernde Feuer stürzen zu sehen. Brennende Holzstücke flogen durch die Luft und regneten auf das Lager herab. Die Bambushütten der Drakonier, die noch nicht in Rammen standen, begannen jetzt lichterloh zu brennen. Der Flechtwerkdrache stieß einen letzten entsetzlichen Schrei aus und fing dann selbst Feuer. »Tolpan!« fluchte Flint. »Dieser aufgeblasene Kender - er ist da drin!« Bevor Caramon ihn aufhalten konnte, rannte der Zwerg in das lodernde Drakonierlager.
»Caramon...«, murmelte Raistlin. Der Krieger kniete sich neben seinen Bruder. Raistlin war immer noch blaß, aber seine Augen waren jetzt geöffnet und klar. Er setzte sich auf, noch geschwächt, lehnte sich an seinen Bruder und starrte auf das um sich greifende Feuer. »Was ist los?«
»Ich weiß es nicht genau«, sagte Caramon. »Tolpan hat sich in einen Drachen verwandelt, und seitdem ist alles völlig durcheinander. Du mußt dich ausruhen.« Der Kämpfer starrte mit gezogenem Schwert in den Rauch, bereit, angreifende Drakonier abzuwehren.
Aber die Drakonier zeigten wenig Interesse an den Gefangenen. Viele flohen voller Panik in den Wald, als ihr Gottdrache in Flammen aufging. Einige Priester-Drakonier versuchten vergeblich, Ordnung in das Chaos zu bringen. Sturm kämpfte sich seinen Weg durch Drakonier, ohne auf ernst zu nehmenden Widerstand zu stoßen. Er hatte fast den Rand der Böschung nahe des Bambuskäfigs erreicht, als Flint an ihm vorbeirannte und auf das Lager zulief!
»He! Wo...«, schrie Sturm dem Zwerg hinterher.
»Tolpan... im Drachen!« Der Zwerg hielt nicht an.
Sturm drehte sich um und erblickte den schwarzen Flechtdrachen, der in Flammen stand. Dichter Rauch stieg hoch und legte sich über das Lager. Funken prasselten nieder, als ein Teil des lodernden Drachen im Lager zerbarst. Sturm duckte sich und schüttelte sich, um Funken von seinem Umhang zu entfernen. Dann rannte er dem Zwerg hinterher und holte den kurzbeinigen Flint mühelos ein. »Flint«, keuchte er und packte den Zwerg am Arm. »Es hat keinen Sinn. In diesem Ofen kann nichts leben! Wir müssen zu den anderen zurück!«
»Laß mich los!« Flint brüllte so wild, daß Sturm ihn verwundert losließ. Der Zwerg rannte weiter auf den brennenden Drachen zu. Sturm seufzte tief und rannte ihm nach, seine Augen begannen zu tränen.
»Tolpan Barfuß!« rief Flint. »Du idiotischer Kender! Wo bist du?«
Es kam keine Antwort.
»Tolpan!« kreischte Flint. »Wenn du diese Flucht verhinderst, werde ich dich umbringen. Hilf mir doch...« Tränen der Enttäuschung und vom Rauch liefen über seine Wangen. Die Hitze war unerträglich. Sturm konnte kaum noch atmen, und der Ritter wußte, daß sie hier nicht länger bleiben konnten, ohne selbst umzukommen. Er hielt den Zwerg fest, um ihn bewußtlos zu schlagen, als er plötzlich eine Bewegung wahrnahm. Er rieb seine Augen und sah genauer hin.
Der Drache lag auf dem Boden, der Kopf war noch mit dem lodernden Körper durch einen langen Hals verbunden. Er hatte noch nicht Feuer gefangen, aber die Flammen näherten sich schon dem Hals. Bald würde auch der Kopf lodern. Sturm sah wieder eine Bewegung.
»Flint! Sieh!« Sturm rannte auf den Kopf zu, der Zwerg stampfte hinterher. Zwei kleine Beine in hellblauen Hosen sahen aus dem Drachenmaul heraus und zappelten schwach. »Tolpan!« schrie Sturm. »Komm da raus! Der Kopf wird gleich brennen!«
»Ich kann nicht! Ich hänge fest!« ertönte eine dumpfe Stimme. Sturm starrte auf den Kopf, versuchte hektisch, zu überlegen, wie man den Kender befreien könnte, während Flint Tolpans Beine ergriff und an ihnen zog.
»Aua! Hör auf!« schrie Tolpan.
»Hat keinen Sinn«, schnaufte Flint. »Er hängt fest.« Die Flammen krochen zum Drachenhals hoch.
Sturm zog sein Schwert. »Ich könnte seinen Kopf abschlagen«, murmelte er zu Flint, »es ist seine letzte Chance.« Er schätzte die Größe des Kenders ab, überlegte, wo sein Kopf sein könnte, und hob sein Schwert...
Flint schloß die Augen.
Der Ritter atmete tief durch, ließ die Klinge auf den Drachen niedersausen und trennte den Kopf vom Hals. Aus dem Innern kam ein Schrei von Tolpan, aber Sturm konnte nicht sagen, ob vor Schmerz oder Erstaunen.
»Zieh«, schrie er dem Zwerg zu.
Flint ergriff den Drachenkopf und zog ihn vom Hals weg. Plötzlich tauchte aus dem Rauch ein hoher dunkler Schatten auf. Sturm warf sich herum und sah auf Flußwind.
»Was macht ihr...« Der Barbar starrte auf den Drachenkopf. Womöglich waren Flint und Sturm verrückt geworden.
»Der Kender hängt fest!« schrie Sturm. »Wir können hier nicht den Kopf auseinandernehmen, umzingelt von Drakoniern! Wir müssen...«
Seine Worte verloren sich im Tosen der Flammen, aber schließlich sah auch Flußwind die blauen Beine aus dem Drachenmaul herausragen. Er griff eine Seite des Drachenkopfes, schob seine Hände in eine der Augenhöhlen, Sturm steckte seine Hände in die andere Augenhöhle, und dann hoben sie gemeinsam den Kopf samt Kender hoch und rannten durch das Lager. Die wenigen Drakonier, auf die sie stießen, warfen nur einen Blick auf diese entsetzliche Erscheinung und flohen. »Raistlin«, sagte Caramon besorgt und legte seinen Arm um die Schultern seines Bruders. »Du mußt versuchen aufzustehen. Wir müssen bereit sein, um hier zu verschwinden. Wie fühlst du dich?«
»Wie soll ich mich schon fühlen?« flüsterte Raistlin bitter. »Hilf mir. Gut. Jetzt laß mich einen Moment in Ruhe.« Er lehnte sich zitternd an einen Baum.
»Natürlich, Raist«, sagte Caramon verletzt und wich zurück. Goldmond sah angewidert zu Raistlin hinüber. Sie erinnerte sich an Caramons Trauer, als sein Bruder im Sterben lag. Sie drehte sich um und beobachtete die anderen durch den Rauch. Tanis erschien als erster und wäre fast mit Caramon zusammengestoßen, weil er so schnell gelaufen war. Der Krieger fing ihn in seinen riesigen Armen auf.
»Danke!« keuchte Tanis. Er beugte sich vornüber, die Hände an den Knien, um Luft zu holen. »Wo sind die anderen?« »Waren sie nicht mit dir zusammen?« Caramon runzelte die Stirn.
»Wir haben uns verloren.« Tanis atmete tief ein und fing dann an zu husten, als der Rauch in seine Lungen gelangte. »Su Torakh!« unterbrach Goldmond sie mit ehrfürchtiger Stimme. Tanis und Caramon drehten sich besorgt um und starrten auf das in Rauch gehüllte Lager. Ein grotesker Anblick bot sich plötzlich ihren staunenden Augen. Tanis blinzelte ungläubig, dann hörte er hinter sich einen Laut, der ihn vor Panik fast auf einen Baum springen ließ. Er wirbelte herum, sein Herz in der Kehle, sein Schwert in der Hand.
Raistlin lachte.
Tanis hatte den Magier niemals zuvor lachen gehört - selbst als Raistlin noch ein Kind war -, und er hoffte, er würde es nie wieder hören. Es war ein schauriges, schrilles, spöttisches Lachen. Caramon starrte seinen Bruder erstaunt an, Goldmond entsetzt. Endlich erstarb Raistlins Lachen, bis der Magier nur noch still vor sich hin kicherte, seine goldenen Augen spiegelten sich im Glanz des Feuers wider. Tanis schauderte und wandte sich wieder dem Lager zu. Es stimmte wahrhaftig – Sturm und Fluß wind trugen den Kopf des Drachen zwischen sich. Flint lief mit einem Drakonierhelm vor ihnen. Tanis rannte zu ihnen.
»Was, im Namen von...«
»Der Kender hängt hier fest!« erklärte Sturm. Er und Flußwind ließen den Kopf schweratmend auf den Boden fallen. »Wir müssen ihn rausholen.« Sturm beäugte den lachenden Raistlin argwöhnisch. »Was ist denn in ihn gefahren? Immer noch vergiftet?«