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Schwarz und geschmeidig stieg der Drachen empor, seine glitzernden Flügel eng an die Seiten geschmiegt, mit glänzenden Schuppen. Seine Augen schimmerten rotschwarz in der Farbe geschmolzenen Steins. Seine Zähne blitzten weiß und böse auf. Die lange rote Zunge rollte sich zusammen, als er die Nachtluft einatmete. Der Enge des Brunnens entronnen, breitete der Drachen seine Flügel aus, wischte Sterne aus und verdunkelte den Mondschein. Beide Flügel waren mit weißen Klauen versehen, die im Licht von Lunitari blutrot schienen.

Eine Furcht, die sich Tanis niemals hatte vorstellen können, schnürte seine Eingeweide zusammen. Sein Herz klopfte schmerzhaft, sein Atem stockte. Er konnte nur voller Entsetzen und Ehrfurcht und Staunen die tödliche Schönheit des Tieres betrachten. Der Drache kreiste höher und höher in den Nachthimmel. Gerade als die lähmende Furcht von Tanis im Schwinden war und er nach Pfeil und Bogen suchte, sprach der Drache.

Er sprach nur ein Wort - ein Wort in der Sprache der Magie -, und eine dichte, schreckliche Dunkelheit fiel vom Himmel und ließ alle erblinden. Tanis verlor sofort jegliches Gespür, wo er sich befand. Er wußte nur, daß über ihm ein Drache flog und angreifen wollte. Er war wehrlos, konnte sich nicht verteidigen, nur sich ducken und auf dem Boden kriechen und verzweifelt versuchen, sich zu verstecken.

Seines Sehsinns beraubt, konzentrierte sich der Halb-Elf auf sein Gehör. Das kreischende Geräusch hatte mit der Dunkelheit nachgelassen. Tanis konnte das langsame sanfte Schlagen der ledernen Flügel des Drachens hören und wußte, daß er kreiste und immer höher stieg. Dann war nichts mehr zu hören. Der Halb-Elf stellte sich einen gewaltigen schwarzen Raubvogel vor, der wartend umherschwebte.

Dann vernahm er ein leises, raschelndes Geräusch, das Geräusch von zitterndem Laub, wenn sich der Wind vor einem Sturm erhebt. Das Geräusch wurde lauter und lauter, bis es das Fegen des Windes war, wenn der Sturm losschlägt, und dann war es das Toben eines Orkans. Tanis drückte seinen Körper dicht an die zerbröckelte Mauer und verdeckte seinen Kopf mit den Armen.

Der Drache griff an.

Khisanth konnte durch die Dunkelheit, die er selbst heraufbeschworen hatte, nichts erkennen, aber er wußte, daß sich die Eindringlinge noch im Hof befanden. Seine Lakaien, die Drakonier, hatten ihn gewarnt, daß eine Gruppe mit dem blauen Kristallstab durch das Land zog. Lord Verminaard wollte diesen Stab, wollte ihm den Stab zur Aufbewahrung geben, damit er niemals von Menschen gesehen würde. Aber er hatte ihn verloren, und Lord Verminaard war alles andere als erfreut gewesen. Er mußte ihn sich zurückholen. Darum hatte Khisanth einen Moment gewartet, bevor er die Dunkelheit heraufbeschworen hatte, die Eindringlinge aufmerksam betrachtet und den Stab gesucht. Wahrnehmend, daß der Stab sich schon außerhalb seiner Sichtweite befand, war er hocherfreut. Er brauchte nur noch zu zerstören.

Der angreifende Drache ließ sich vom Himmel fallen, seine ledernen Flügel krümmten sich zurück wie die Klinge eines schwarzen Dolches. Er flog direkt auf den Brunnen zu, wo er die Eindringlinge, um ihr Leben rennend, gesichtet hatte. Da Khisanth wußte, daß sie von Drachenangst gelähmt waren, war er sich sicher, sie alle auf einen Schlag vernichten zu können. Er öffnete sein mit Reißzähnen bestücktes Maul.

Tanis hörte den Drachen immer näher kommen. Das mächtige flatternde Geräusch wurde lauter und lauter, dann war einen Moment nichts zu hören. Ein keuchendes Geräusch folgte, als ob Luft in einen aufgerissenen Schlund gesogen würde, dann ein fremdes Geräusch, das ihn an Dampf erinnerte, der einem kochenden Kessel entweicht. Etwas Flüssiges platschte neben ihm auf. Er hörte Steine splittern und einkrachen und brodeln. Tropfen der Flüssigkeit fielen auf seine Hand, und er stöhnte auf, als ihn ein sengender Schmerz durchdrang.

Dann hörte Tanis einen Schrei. Es war eine tiefe männliche Stimme - Flußwind. So schrecklich, so schmerzerfüllt, daß Tanis seine Fingernägel in die Handflächen grub. Das Schreien hielt an und ging dann in ein Stöhnen über. Tanis spürte das Brausen eines riesigen Körpers, der an ihm in der Dunkelheit vorbeifegte. Die Steine, an die er seinen Körper drückte, bebten. Dann wurde das Vibrieren immer schwächer, je tiefer der Drache in die Tiefen des Brunnens tauchte. Schließlich war der Boden wieder ruhig.

Tanis öffnete die Augen. Die Dunkelheit war verschwunden. Die Sterne und die Monde funkelten im Himmel. Einen Moment lang konnte Tanis nur noch atmen. Dann erhob er sich und lief auf einen dunklen Umriß zu, der auf dem steinigen Hof lag.

Tanis war der erste, der den Körper des Barbaren erreichte. Er sah einmal hin, würgte und wandte sich ab.

Was von Flußwind übriggeblieben war, hatte mit Menschlichem keine Ähnlichkeit mehr. Das Fleisch des Mannes war versengt. Die weißen Knochen waren deutlich sichtbar, wo Haut und Muskeln an den Armen geschmolzen waren. Seine Augen liefen wie Gallert an den entfleischten kadaverartigen Wangen herunter. Sein Mund war in einem stummen Schrei geöffnet. Sein Brustkorb war freigelegt, Fleischstücke und verkohlte Stoffreste klebten an den Knochen. Aber - das war das Schreckliche – das Fleisch am Oberkörper war weggebrannt, die Organe waren enthüllt und pulsierten im roten Mondschein. Tanis sank zu Boden und übergab sich. Der Halb-Elf hatte Männer an seinem Schwert sterben sehen. Er hatte sie von Trollen in Stücke gehackt gesehen. Aber dies... dies war so entsetzlich anders, und Tanis wußte, daß dieses Bild ihn ewig verfolgen würde. Ein kräftiger Arm griff an seine Schulter und bot stummes Mitgefühl und Verständnis. Die Übelkeit ging vorüber. Tanis setzte sich auf, wischte sich den Mund ab, versuchte sich zum Schlucken zu zwingen und würgte schmerzhaft.

»Bist du in Ordnung?« fragte Caramon besorgt.

Tanis nickte, er brachte keinen Ton heraus. Dann drehte er sich um.

»Mögen die wahren Götter Erbarmen zeigen! Tanis, er lebt noch! Seine Hand hat sich bewegt!« Sturm würgte.

Tanis erhob sich und taumelte auf den Körper zu. Eine der verkohlten Hände hatte sich erhoben und griff in die Luft. »Bereite dem ein Ende!« sagte Tanis heiser. »Bereite dem ein Ende! Sturm...«

Der Ritter hatte bereits sein Schwert gezogen. Er küßte den Knauf, hob die Klinge gen Himmel und stand vor Flußwinds Körper. Er schloß die Augen und zog sich geistig in eine vergessene Welt zurück, wo der Tod in der Schlacht glorreich und gut war. Langsam und feierlich begann er ein uraltes solamnisches Todeslied. Während er die Worte sprach, die sich der Seele des Kämpfers annehmen und ihn ins Reich des Friedens tragen sollten, drehte er die Klinge des Schwertes um und legte sie auf Flußwinds Brust.

Die Stimme des Ritters erstarb.

Tanis spürte, wie ihn der Frieden der Götter wie kühles reinigendes Wasser beseelte, seine Trauer linderte und das Entsetzen fortschwemmte. Caramon, der neben ihm stand, weinte leise. Der Mondschein beleuchtete die Schwertklinge. Dann sprach eine klare Stimme. »Hört auf. Bringt ihn zu mir.« Tanis und Caramon sprangen auf und stellten sich vor Flußwinds Körper, um Goldmond den Anblick zu ersparen. Sturm kam aus seiner inneren Reise wieder in die Wirklichkeit zurück. Goldmond stand an den goldenen, von den Monden beleuchteten Doppeltüren des Tempels. Tanis wollte etwas sagen, aber plötzlich spürte er die kalte Hand des Magiers an seinem Arm. Schaudernd riß er sich los.

»Tut, was sie sagt«, zischte der Magier. »Tragt ihn zu ihr.« Tanis' Gesicht verzerrte sich vor Wut beim Anblick von Raistlins ausdruckslosem Gesicht, seinen gleichgültigen Augen.

»Tragt ihn zu ihr«, wiederholte Raistlin kalt. »Es ist nicht unsere Aufgabe, den Tod dieses Mannes herbeizuführen. Das ist Aufgabe der Götter.«

16

Eine schmerzliche Entscheidung. Das größte Geschenk

Tanis starrte auf Raistlin. Nicht ein Zucken der Augenlider offenbarte seine Gefühle – falls der Magier überhaupt Gefühle hatte. Ihre Augen trafen sich, und wie immer spürte Tanis, daß der Magier mehr sah, als für ihn sichtbar war. Plötzlich haßte Tanis Raistlin, haßte ihn mit einer Leidenschaft, die den HalbElfbestürzte, haßte ihn dafür, daß er nicht diesen Schmerz spürte, haßte und beneidete ihn zur gleichen Zeit.