Raistlin sah zu Tanis und schüttelte den Kopf. Der Magier entschied, einen neuen Versuch zu starten.
»Wie heißt du, Kleine?« fragte er.
»Bupu.«
Caramon schnaufte verächtlich und hielt sich schnell eine Hand vor den Mund.
»Nun, Bupu«, sagte Raistlin schmeichelnd, »weißt du, wo die Höhle des Drachen ist?«
»Drache?« wiederholte Bupu erstaunt. »Du willst Drache?« »Nein«, sagte Raistlin hastig, »wir wollen nicht den Drachen nur die Höhle, wo der Drache lebt.« »Oh, weiß nicht.« Bupu schüttelte den Kopf. Dann klatschte sie in die Hände, als sie die Enttäuschung in Raistlins Gesicht sah. »Aber ich dich nehmen zum Großbulp, dem Großen. Er alles wissen.«
Raistlin zog die Augenbrauen hoch. »Und wie kommen wir zum Großbulp?«
»Unten!« sagte sie und grinste glücklich. Der kreischende Lärm hatte aufgehört. Man hörte das Aufschlagen der Peitsche. »Unsere Reihe jetzt nach unten gehen. Du kommst. Du kommst jetzt. Großbulp sehen.«
»Nur einen Moment.« Raistlin befreite sich aus ihrem Griff. »Ich muß mit meinen Freunden sprechen.« Er ging zu Tanis und Sturm. »Dieser Großbulp ist wahrscheinlich der Anführer der Sippe, vielleicht Anführer mehrerer Sippen.«
»Wenn er so intelligent ist wie dieses Pack, wird er nicht einmal wissen, wo seine Waschschüssel ist, geschweige denn der Drache«, knurrte Sturm.
»Er wird es wahrscheinlich wissen«, ließ sich Flint widerwillig hören. »Sie sind zwar nicht klug, aber sie erinnern sich an alles, was sie gesehen oder gehört haben, wenn man sie nur dahinbringt, daß sie es in Worten ausdrücken, die länger sind als eine Silbe.«
»Dann sollten wir lieber diesen großen Großbulp aufsuchen«, meinte Tanis kläglich. »Wenn wir uns nur wenigstens vorstellen könnten, was diese Auf-und-ab-Geschichte bedeutete und dieses quietschende Geräusch...« »Ich weiß es!« ertönte eine Stimme.
Tanis sah sich um. Er hatte Tolpan völlig vergessen. Der Kender kam aus einer Ecke gerannt, sein Zopf tanzte, und seine Augen leuchteten glücklich. »Es ist ein Aufzug, Tanis«, sagte er. »Wie in den Minen der Zwerge. Ich war einmal in einer Mine. Es war das Größte. Sie hatten einen Aufzug, der die Steine von unten nach oben zog. Und dies hier ist genauso. Nun, fast genauso. Siehst du...« Er fing plötzlich zu kichern an und konnte nicht mehr sprechen. Die anderen starrten ihn an, und der Kender unternahm einen angestrengten Versuch, sich wieder in Kontrolle zu kriegen.
»Sie verwenden einen gigantischen Schweinefettopf! Die Gossenzwerge, die sich in einer Reihe aufgestellt haben, rennen hervor, wenn einer dieser Drakodinger seine große Peitsche schwingt. Dann springen alle in den Topf, der mit einer Kette und einem Zahnrad verbunden ist, das in die Kettenglieder paßt - das ist das Quietschen! Das Rad dreht sich, und sie fahren nach unten, und ganz schnell kommt ein anderer Topf hoch...«
»Große Herren. Topf voll mit großen Herren«, sagte Bupu. »Voll mit Drakoniern!« wiederholte Tanis erschreckt. »Kommen nicht her«, sagte Bupu. »Gehen den Weg...« Sie winkte unbestimmt mit einer Hand.
Tanis blieb unruhig. »Das sind also die Herren. Wieviele Drakonier sind denn am Topf?«
»Zwei«, antwortete Bupu und hielt Raistlins Ärmel fest. »Nicht mehr als zwei.«
»In der Tat sind es vier«, sagte Tolpan mit einem entschuldigenden Blick zur Gossenzwergin. »Es sind die kleinen, nicht die großen, die zaubern können.«
»Vier.« Caramon spannte seine riesigen Arme an. »Mit vieren werden wir fertig.«
»Ja, aber wir müssen es so hinkriegen, daß nicht fünfzehn weitere nachkommen«, meinte Tanis.
Wieder knallte die Peitsche.
»Komm!« Bupu zog drängend an Raistlins Ärmel. »Wir gehen. Herren werden böse.«
»Ich denke, dies ist eine gute Zeit, wie jede andere«, sagte Sturm und zuckte die Achseln. »Die Gossenzwerge sollen rennen wie sonst auch. Wir folgen ihnen und überwältigen die Herren in der Verwirrung. Wenn ein Topf oben ist, um mit Gossenzwergen beladen zu werden, dann muß der andere Topf unten sein.«
»Das ist anzunehmen«, sagte Tanis. Er wandte sich den Gossenzwergen zu. »Wenn ihr am Aufzug angelangt seid - ich meine, Topf —, springt nicht hinein. Stellt euch an die Seite und bleibt aus dem Weg. In Ordnung?«
Die Gossenzwerge starrten Tanis mit tiefem Argwohn an. Der Halb-Elf seufzte und sah zu Raistlin. Mit einem leichten Lächeln wiederholte der Magier Tanis' Anweisungen. Sofort begannen die Gossenzwerge zu lächeln und begeistert zu nicken. Die Peitsche knallte wieder, und die Gefährten hörten eine barsche Stimme. »Macht schon, ihr Abschaum, oder wir hacken eure widerlichen Füße ab, dann habt ihr einen Grund, langsam zu sein!«
»Mal sehen, wessen Füße abgehackt werden«, sagte Caramon. »Das lustig werden«, sagte einer der Gossenzwerge feierlich. Die Aghar flitzten den Korridor entlang.
18
Kampf am Aufzug. Bupus Hustenheilkur
Heißer Dampf stieg aus den zwei Löchern im Fußboden empor und wirbelte umher. Zwischen den beiden Löchern lag ein gigantisches Rad, um das eine gigantische Kette lief. Ein übergroßer schwarzer Eisentopf hing an der Kette über einem der Löcher. Das andere Ende der Kette verschwand im anderen Loch. Vier Drakonier in Rüstungen, von denen zwei Lederpeitschen schwangen und mit Krummsäbeln bewaffnet waren, standen um den Topf. Sie waren nur kurze Zeit sichtbar, dann verschwanden sie wieder im Nebel. Tanis konnte die Peitsche knallen und eine kehlige Stimme bellen hören. »Ihr lausiges Zwergenungeziefer! Was macht ihr da? Steigt sofort in den Topf, bevor ich euch das dreckige Fleisch von euren stinkenden Körpern schlage! Ich...!« Der Drakonier verstummte mitten im Satz, seine Augen quollen aus seinem Reptilienkopf, als Caramon aus dem Nebel trat und seinen Schlachtruf brüllte. Der Drakonier stieß einen gellenden Schrei aus, der in ein würgendes Gurgeln überging, als Caramon die Kreatur am schuppigen Hals packte, sie von den Klauenfüßen hob und gegen die Wand schleuderte.
Während Caramon angriff, gellte Sturm, sein zweihändiges Schwert schwingend, den Rittergruß gegenüber einem Feind heraus und schlug einem Drakonier den Kopf ab, ohne daß dieser überhaupt bemerkte, was auf ihn zukam. Der abgetrennte Kopf rollte knirschend auf dem Boden, bevor er sich in Stein verwandelte.
Im Gegensatz zu den Goblins, die alles, was sich bewegt, ohne Strategie, ja ohne nachzudenken angreifen, sind Drakonier intelligent und handeln schnell. Die zwei übriggebliebenen Drakonier hatten nicht die Absicht, es mit fünf geübten und gutbewaffneten Kämpfern aufzunehmen. Einer von ihnen sprang sofort in den Topf und schrie seinem Gefährten in ihrer Sprache Anweisungen zu. Der andere Drakonier sprang zum Rad und löste den Mechanismus aus. Der Topf begann durch das Loch zu fallen.
»Haltet sie auf!« schrie Tanis. »Sie holen Verstärkung!« »Falsch!« rief Tolpan, der über den Rand spähte. »Die Verstärkung ist bereits im anderen Topf unterwegs. Es müssen ungefähr zwanzig sein!« Caramon rannte los, um den Drakonier am Aufzug aufzuhalten, aber es war zu spät. Die Kreatur flitzte bereits auf den Topf zu. Mit einem Satz sprang er seinem Gefährten nach. Caramon, getreu seinem Prinzip, den Feind nicht entkommen zu lassen, sprang in den Topf hinterher! Die Gossenzwerge jubelten und johlten, einige hüpften zum Rand, um besser sehen zu können. »Dieser verdammte Narr!« fluchte Sturm. Er schob einige Gossenzwerge beiseite, um hinunterzuschauen, und sah schwingende Fäuste und Rüstungen aufblitzen, als Caramon und die Drakonier wild aufeinander einschlugen. Caramons zusätzliches Gewicht ließ den Topf noch schneller fallen. »Ich folge ihm«, rief Sturm Tanis zu. Er sprang hoch, bekam die Kette zu fassen und ließ sich direkt in den Topf gleiten. »Jetzt haben wir schon zwei verloren!« jammerte Tanis. »Flint, komm mit mir. Flußwind, bleib du mit Raistlin und Goldmond hier. Versuch mal, ob du dieses verdammte Rad in die andere Richtung drehen kannst! Nein, Tolpan, du nicht!«
Zu spät! Der Kender sprang begeistert kreischend an die Kette und begann hinunterzuklettern. Tanis und Flint sprangen ebenfalls. Tanis hielt mit Armen und Beinen die Kette fest umklammert und hing direkt über dem Kender. Flint war es nicht gelungen, sich festzuhalten, und er landete kopfüber in dem Topf, wo Caramon prompt auf ihn trat.