»Wir werden uns nicht ergeben!« rief sie, ihre Stimme hallte durch die Kammer. Bevor der erstaunte Drache reagieren konnte, schwang die Tochter des Stammeshäuptlings den Stab ein letztes Mal und schlug auf die Pranke, unter der Raistlin lag.
Der Stab gab ein lautes Geräusch von sich, als er mit dem Drachen in Berührung kam – und dann zerbarst er. Ein reines blaues Licht erstrahlte aus dem zerbrochenen Stab. Das Licht wurde immer greller und breitete sich in dezentrischen Wellen aus und überflutete den Drachen.
Khisanth brüllte vor Wut. Der Drache war schwer, tödlich verletzt. Er peitschte mit seinem Schwanz um sich, warf seinen Kopf herum und versuchte, der brennenden blauen Flamme zu entkommen. Er wollte nichts mehr, nur noch jene töten, die es gewagt hatten, solchen Schmerz zu entfachen, aber das intensive blaue Feuer verzehrte ihn schonungslos - so wie es Goldmond verzehrte. Die Tochter des Stammeshäuptlings hatte den Stab nicht fallengelassen, als er zerbrach. Sie hielt das Endstück fest, beobachtete, wie sich das Licht ausbreitete, und hielt es so nahe wie möglich an den Drachen. Als das blaue Licht ihre Hände berührte, fühlte sie einen intensiven Schmerz. Sie stolperte und fiel auf die Knie, hielt aber immer noch den Stabgriff umklammert. Sie hörte den Drachen über sich kreischen und brüllen, dann hörte sie nur noch ein lautes Geräusch, das der Stab verursachte. Der Schmerz wurde so entsetzlich, er war nicht länger Teil von ihr, und sie wurde von einer schweren Müdigkeit überwältigt. Ich werde schlafen, dachte sie. Ich werde schlafen, und wenn ich wieder aufwache, werde ich dort sein, wo ich immer hingehört habe...
Sturm sah das blaue Licht langsam den Drachen zerstören, dann breitete es sich über das letzte Stückchen Stab auf Goldmond aus. Er hörte, wie das Geräusch immer lauter wurde, bis es schließlich sogar das Kreischen des sterbenden Drachen übertönte. Sturm trat zu Goldmond, um ihr den Stab zu entreißen und sie aus der tödlichen blauen Flamme zu ziehen... Aber als er sich ihr näherte, wußte er, daß er sie nicht mehr retten konnte.
Geblendet vom Licht und betäubt vom Lärm wurde dem Ritter klar, daß es seine ganze Kraft und seinen ganzen Mut beanspruchen würde, seinen Eid zu erfüllen - die Scheiben herauszuholen. Er riß seinen Blick von Goldmond los, deren Gesicht schmerzverzerrt war und deren Fleisch im Feuer verfiel. Er kämpfte gegen den Schmerz in seinem Kopf an und stolperte auf die Juwelen zu, unter denen er die Scheiben gesehen hatte Hunderte von dünnen Scheiben aus edlem Metall, die von einem Ring zusammengehalten wurden. Er griff in den Juwelenberg und hob sie hoch, erstaunt über ihr leichtes Gewicht. Dann, plötzlich, setzte sein Herz fast aus, als eine blutige Hand aus dem Schatz hervorkam und sein Handgelenk umklammerte. »Hilf mir!«
Er konnte die Stimme nicht hören, sondern spürte sie eher. Er ergriff Raistlins Hand und zog den Magier auf die Füße. Durch dessen rotes Gewand sickerte Blut, aber er schien nicht schwer verletzt zu sein – zumindest konnte er stehen. Aber konnte er gehen? Sturm brauchte Hilfe. Er fragte sich, wo die anderen waren. Er konnte durch die Helligkeit nichts erkennen. Plötzlich tauchte Caramon an seiner Seite auf, seine Rüstung glänzte in der blauen Flamme.
Raistlin umklammerte ihn. »Hilf mir, das Zauberbuch zu finden!« zischte er. »Wen kümmert das jetzt?« brüllte Caramon und griff nach seinem Bruder. »Ich will dich hier rausholen!«
Raistlins Mund verzog sich dermaßen vor Wut und Enttäuschung, daß er nicht sprechen konnte. Er fiel auf die Knie und begann hektisch die Edelsteine zu durchwühlen. Caramon versuchte, ihn wegzuziehen, aber Raistlin schob ihn immer wieder mit seiner mageren Hand zurück.
Und das laute Geräusch schmerzte immer noch in ihren Ohren. Sturm spürte Tränen des Schmerzes an seinen Wangen entlanglaufen. Plötzlich krachte vor dem Ritter etwas zu Boden. Die Decke der Kammer war zusammengebrochen! Das ganze Gebäude erbebte; das Geräusch brachte die Säulen zum Zittern und die Wände zum Einstürzen.
Dann erstarb das Geräusch – und mit ihm starb der Drache. Khisanth war verschwunden, und zurück blieb nur noch ein Haufen glühender Asche.
Sturm keuchte erleichtert auf, aber nicht lange. Kaum war das Geräusch verstummt, mußte er hören, wie der ganze Palast zusammenbrach. Er hörte das Aufschlagen und das Zerbersten riesiger Steinplatten. Dann erschien aus dem Staub und dem Lärm Tanis vor ihm. Blut tropfte aus einer Schnittwunde an seiner Wange. Ein weiteres Stück der Decke fiel neben ihnen herunter, und Sturm konnte seinen Freund gerade noch rechtzeitig zum Altar ziehen.
»Die ganze Stadt bricht zusammen!« schrie Sturm. »Wie kommen wir hier raus?«
Tanis schüttelte den Kopf. »Der einzige Weg, den ich kenne, ist der zurück durch den Tunnel«, rief er. Er duckte sich, als wieder ein Stück der Decke auf den leeren Altar stürzte. »Das ist eine Todesfalle! Es muß noch einen anderen Weg geben!« »Wir werden ihn finden«, sagte Tanis bestimmt. Er spähte durch die Staubschwaden. »Wo sind die anderen?« fragte er. Dann wandte er sich um und erblickte Raistlin und Caramon. Tanis zuckte vor Entsetzen zusammen, als er den Magier im Schatz wühlen sah. Er bemerkte eine kleine Gestalt, die an Raistlins Ärmel hing. Bupu! Tanis stürzte sich auf sie und erschreckte die Gossenzwergin fast zu Tode. Mit einem angstvollen Aufschrei wich sie zurück. »Wir müssen hier raus!« brüllte Tanis. Er bekam Raistlins Gewand zu fassen. »Hör auf zu plündern und bring diesen Gossenzwerg dazu, uns den Weg nach draußen zu zeigen, oder du wirst durch meine Hand sterben!«
Raistlins schmale Lippen kräuselten sich zu einem geisterhaften Lächeln, als Tanis ihn gegen den Altar schleuderte. Bupu kreischte: »Komm! Wir gehen! Ich weiß Weg!«
»Raist«, bettelte Caramon, »du kannst es nicht finden! Du wirst sterben, wenn wir nicht verschwinden!«
»Na gut«, schnarrte der Magier. Er nahm den Stab des Magus vom Altarsockel, stand auf und ergriff den Arm seines Bruders. »Bupu, zeige uns den Weg«, befahl er.
»Raistlin, laß deinen Stab leuchten, damit wir dir folgen können«, sagte Tanis. »Ich werde die anderen suchen.« »Dort drüben«, sagte Caramon grimmig. »Du wirst bei dem Barbaren Hilfe brauchen.«
Tanis warf schützend seinen Arm über das Gesicht, als noch mehr Steine herunterfielen, dann sprang er über den Schutt. Er fand Flußwind zusammengebrochen an der Stelle, wo Goldmond gestanden hatte. Goldmond war von den Flammen völlig verzehrt worden. Nur noch ein Stück geschwärzten Steines war übriggeblieben.
»Lebt er?« schrie Tanis.
»Ja!« antwortete Tolpan, seine Stimme klang schrill. »Aber er rührt sich nicht!«
»Ich kümmere mich um ihn«, sagte Tanis. »Folgt den anderen. Wir kommen gleich nach. Geht schon!«
Tolpan zögerte, aber Flint legte nach einem kurzen Blick auf Tanis seinen Arm um den Kender. Schluchzend drehte sich Tolpan um und begann mit dem Zwerg durch den Schutt zu laufen.
Tanis kniete sich neben Flußwind, dann sah der Halb-Elf auf, als Sturm aus der Düsterheit auftauchte. »Geh schon«, sagte Tanis. »Du mußt das Kommando übernehmen!«
Sturm zögerte. Eine Säule stürzte neben ihnen ein und überschüttete sie mit Staub. Tanis warf sich auf Flußwind. »Geh schon!« schrie er den Ritter an. »Du bist jetzt verantwortlich!« Sturm holte tief Luft, legte eine Hand kurz auf Tanis' Schulter und rannte dann auf das Licht von Raistlins Stab zu. Der Ritter fand die anderen in einem engen Flur zusammengekauert. Die gewölbte Decke über ihnen schien noch zu halten, aber wie lange noch. Der Boden unter ihren Füßen erzitterte, und kleine Rinnsale begannen durch neue Spalten in den Wänden zu tröpfeln.
»Wo ist Tanis?« fragte Caramon.
»Er kommt gleich«, antwortete Sturm barsch. »Wir warten ... wenigstens ein paar Minuten.« Er sagte nicht, daß er sogar bis in den Tod warten würde.
Wieder krachte es ohrenbetäubend. Wasser strömte aus der Wand und überflutete den Boden. Sturm wollte gerade die anderen hinausbeordern, als eine Gestalt im berstenden Türrahmen erschien. Es war Flußwind, in seinen Armen Tanis. »Was ist geschehen?« Sturms Kehle war wie zugeschnürt. »Er ist doch nicht...«