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Vage Pläne diskutierend, marschierten sie bis spät in die Nacht weiter. Sie begegneten keinen Drakoniern und vermuteten, daß jene, die aus Xak Tsaroth entkommen konnten, in den Norden gewandert waren, um sich dort mit den Armeen von Lord Verminaard, dem Drachenfürsten, zu verbünden. Der silberne Mond ging auf, dann der rote. Die Gefährten kletterten immer höher, der Klang der Hörner ließ sie ihre tiefe Erschöpfung vergessen. Auf dem Gipfel des Gebirges schlugen sie ihr Lager auf. Nach einer freudlosen Mahlzeit – sie hatten nicht gewagt, ein Feuer anzuzünden —, bestimmten sie die Wachen und legten sich schlafen.

Raistlin wurde in der kalten grauen Stunde vor der Morgendämmerung wach. Er hatte etwas gehört. Hatte er geträumt? Nein, da war es schon wieder – jemand weinte. Goldmond, dachte der Magier irritiert und wollte sich wieder hinlegen. Dann sah er Bupu, die wie ein Häuflein Elend zusammengekauert dasaß und in ein Tuch schluchzte.

Raistlin sah sich um. Alle schliefen, außer Flint, der an der anderen Seite des Lagers Wache hielt. Der Zwerg hatte offensichtlich nichts gehört, und er sah auch nicht in Raistlins Richtung. Der Magier erhob sich und schlich sich leise zur Gossenzwergin. Er kniete sich neben sie und legte seine Hand auf ihre Schulter.

»Was ist los, Kleine?«

Bupu rollte sich herum, um ihn anzusehen. Ihre Augen waren rot, ihre Nase geschwollen. Tränen liefen über ihr schmutziges Gesicht. Sie schniefte und wischte mit der Hand über die Nase. »Dich nicht verlassen. Mit dir gehen«, sagte sie gebrochen, »aber – oh – ich mein Volk vermissen.« Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht in den Händen.

Ein Blick unendlicher Zärtlichkeit erschien in Raistlins Gesicht, ein Blick, den niemand in seiner Welt je sehen würde. Er streckte seine Hand aus und streichelte Bupus borstiges Haar. Er kannte das Gefühl der Schwäche und wußte, wie es war, wenn man der Gegenstand von Spott und Mitleid war.

»Bupu«, sagte er, »du bist mir eine gute und wahre Freundin gewesen. Du hast mein Leben gerettet und das Leben derer, die mir etwas bedeuten. Jetzt wirst du zum letzten Mal etwas für mich tun, Kleine. Geh zurück. Ich muß auf Straßen reisen, die dunkel und gefährlich sind, bevor meine lange Reise beendet ist. Ich kann dich nicht bitten, mit mir zu kommen.« Bupu hob ihren Kopf, ihre Augen strahlten. Dann fiel ein Schatten über ihr Gesicht. »Aber du unglücklich ohne mich.« »Nein«, sagte Raistlin lächelnd. »Mein Glück wird in dem Wissen liegen, daß du in Sicherheit bei deinem Volk bist.« »Meinst du?« fragte Bupu besorgt.

»Das meine ich wirklich«, antwortete Raistlin.

»Dann ich gehe.« Bupu erhob sich. »Aber zuerst du nimmst Geschenk.« Sie begann in ihrem Sack zu wühlen.

»Nein, Kleine.« Raistlin erinnerte sich an die tote Echse. »Das ist nicht nötig...« Die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er sah, was Bupu aus ihrem Sack herausholte - ein Buch! Er blickte verwundert drein, als das blasse Licht des eisigen Morgen auf die silbernen Runen eines nachtblauen Ledereinbandes fiel.

Raistlin streckte eine zitternde Hand aus. »Das Zauberbuch von Fistandantilus!« keuchte er.

»Magst du?« fragte Bupu schüchtern.

»Ja, Kleine!« Raistlin nahm den wertvollen Gegenstand in seine Hände und hielt ihn liebevoll fest und streichelte das Leder. »Wo...« »Ich nehme vom Drachen«, antwortete Bupu, »als blaues Licht schien. Ich freue mich, es gefällt dir. Jetzt gehe ich. Finde Großbulp Phudge I, den Großen.« Sie schwang ihren Sack über die Schulter. Dann verhielt sie und wandte sich um. »Der Husten – du sicher, willst du nicht Echsenkur?« »Nein, danke, Kleine«, sagte Raistlin und erhob sich. Bupu sah ihn traurig an, dann – mit großem Mut – nahm sie seine Hand und küßte sie. Sie drehte sich mit gesenktem Kopf um und schluchzte bitterlich.

Raistlin trat zu ihr. Er legte seine Hand auf ihre Stirn. Wenn ich überhaupt irgendeine Macht habe, Allmächtiger, sagte er zu sich, eine Macht, die sich mir noch nicht gezeigt hat, dann sorge dafür, daß diese Kleine sicher und glücklich durchs Leben geht.

»Lebwohl, Bupu«, sagte er leise.

Sie starrte ihn mit großen bewundernden Augen an, dann wandte sie sich um und rannte fort, so schnell ihre Füße sie tragen konnten. »Was war denn los?« fragte Flint, der von der anderen Seite des Lagers angestapft kam. »Oh«, fügte er hinzu, als er Bupu laufen sah. »So bist du also dein Tierchen losgeworden.« Raistlin antwortete nicht, sondern blickte Flint nur mit einer Bösartigkeit an, die den Zwerg schaudern ließ.

Der Magier hielt das Zauberbuch in seinen Händen und sah es bewundernd an. Er sehnte sich danach, es zu öffnen und in seinen Schätzen zu stöbern, aber er wußte, daß Wochen des Studiums vor ihm lagen, bevor er die neuen Zaubersprüche verstehen würde, geschweige, sie sich anzueignen. Und mit den Zaubersprüchen würde mehr Macht kommen! Er seufzte ekstatisch und drückte das Buch an seine Brust. Dann verstaute er es schnell im Rucksack zu seinem eigenen Zauberbuch. Die anderen würden bald erwachen - sollten sie sich nur wundern, wie er an das Buch gekommen war.

Raistlin stand auf und blickte gen Westen, wo er seine Heimat vermutete und sich der Himmel von der frühen Morgensonne erhellte. Plötzlich versteifte er sich. Dann ließ er seinen Rucksack fallen, rannte durch das Lager und kniete sich neben den Halb-Elf.

»Tanis!« zischte Raistlin. »Wach auf!«

Tanis blinzelte und griff nach dem Dolch. »Was...«

Raistlin zeigte nach Westen.

Tanis blinzelte wieder und versuchte seine verschlafenen Augen zu öffnen. Die Aussicht von der Bergspitze war herrlich. Er konnte die hohen Bäume sehen, die in die mit Gras bewachsene Ebene übergingen. Und jenseits der Ebene, sich in den Himmel schlangelnd...

»Nein!« Tanis würgte. Er stieß den Magier an. »Nein, das kann nicht sein!«

»Doch«, flüsterte Raistlin. »Solace brennt.«