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Morfyd landete weich auf dem Gelände der Schlucht. Anders als ihr Bruder hatte sie gelernt, sich als Drache lautlos zu bewegen.

Sicher zurück auf festem Boden, schüttelte sie sich, um die Feuchtigkeit loszuwerden, die ihre Flügel auf dem Flug aufgenommen hatten. Sie sprach die alten Zauberworte, die sie in ihre menschliche Gestalt zurückverwandelten. Mit schnellen Bewegungen hob sie die Kleider auf, die sie zuvor versteckt hatte, und kleidete sich an. Ihr Körper zitterte vor Kälte, und sie wollte nichts mehr, als sich vor ein Feuer zu setzen, um ihre menschliche Gestalt zu wärmen.

Sie hatte länger gebraucht als sie vorgehabt hatte. Doch wenn Fearghus sich unbedingt in den Geschwisterkrieg einmischen wollte, wollte sie es die Königin jetzt wissen lassen. Wenn sie es später herausfand, würde das nur schlimmer für ihn werden. Natürlich schien die Königin nicht allzu interessiert, doch Bercelak war es, und das konnte ein Problem für sie beide werden.

Aber zunächst wollte sie Annwyl die Nachricht des Generals bringen. Sie hatte das Menschenmädchen lieb gewonnen, mit ihren plötzlichen Wutausbrüchen und ihrer Neigung, auf dem Fußboden zu landen. Und Annwyl hatte ohne Frage ihren schweigsamen und verschrobenen älteren Bruder bezaubert.

Fearghus mochte eigentlich niemanden. Ob Mensch oder Drache. Unter seinesgleichen hielt man ihn für grob und taktlos. Unter den Menschen fürchtete man den schwarzen Drachen, der ganze Dörfer vernichtete. Natürlich bauschten die Menschen die Wahrheit immer auf. Er hatte nur ein Dorf vernichtet, als ihr König es zu einem Turnierereignis gemacht hatte, ihn zu töten.

Morfyd legte sich einen Umhang um ihr Hexengewand und machte sich auf den Weg in die Höhle ihres Bruders. Wie immer, wenn sie in Menschengestalt war, zog sie sich die Kapuze ihres Umhangs über den Kopf, um ihre weiße Mähne zu verstecken. Sie war nicht wegen ihres Alters weiß. Wie ihre Mutter war sie als weißer Drache geboren worden. Weiße Drachen waren selten und wurden oft mit Kräften geboren, die weit über die anderer Drachen hinausgingen. Doch sie hatte immer noch einiges vor sich, bevor sie auch nur daran denken konnte, sich mit den Fähigkeiten ihrer Mutter zu messen.

Sie betrat die Höhle ihres Bruders und ging weit hinein bis zum Gemach des Mädchens. Er hatte diesen Bereich der Höhle praktisch zum Schlafzimmer des Mädchens gemacht.

Sehr raffiniert, Fearghus.

Als sie sich ihrem Ziel näherte, hörte sie Annwyl sprechen und ihren Bruder … lachen?

Morfyd blieb stehen. Vielleicht hatte sie sich verhört. Vielleicht war sie endgültig verrückt geworden. Morfyd schob sich zentimeterweise näher an das Gemach heran und wartete.

»Also gut, ich habe wirklich einmal versucht, ihn in Brand zu stecken, da war ich zwölf. Aber ich versichere dir, dass ich mich später deswegen ganz schrecklich gefühlt habe!«

»Und wie lange hat dieses schreckliche Gefühl angehalten?«

»Bis er die Hunde auf mich gehetzt hat.«

Sie hörte ihren Bruder kichern. Das Geräusch ließ sie zusammenzucken.

»Kann ich dich um einen Gefallen bitten?«

»Noch einen? Was willst du jetzt wieder, Frau? Mein Gold? Meine Höhle?«

»Nein, nein, nein. Nichts dergleichen. Und es hört sich vielleicht komisch an …«

»… im Gegensatz zu deiner Pferdemistgeschichte.«

»Aber …«

»Aber?«

»Darf ich deine Hörner anfassen?«

Morfyd blinzelte und sah sich um, halb in der Erwartung, ihre drei anderen Brüder hinter sich zu entdecken, als Beweis, dass dies nichts weiter als ein Scherz war. Konnte sie wirklich das gehört haben, was sie dachte, eben gehört zu haben?

»Tut mir leid. Kannst du das wiederholen? Denn ich glaube, ich habe gerade eben Hirnfieber bekommen.«

Sie hörte das Mädchen sehr undamenhaft schnauben. »Ich habe noch nie vorher einen Drachen berührt. Deine Hörner sehen so schön aus, und ich würde nur gern …«

»Also gut. Stopp. Bevor du etwas sagst, das uns beide in Verlegenheit bringt.« Sie hörte, dass ihr Bruder sich bewegte. Morfyd begriff, dass er den Kopf senkte, damit das Mädchen ihn erreichen konnte.

Morfyd konnte die Unwissenheit nicht ertragen. So leise sie konnte, spähte sie um die Ecke und sah in das Zimmer des Mädchens. Was sie sah, versetzte sie in Erstaunen, ganz einfach weil es tatsächlich Fearghus war.

Das Mädchen stand auf Zehenspitzen und Fearghus erlaubte Annwyl, sich an ihn zu lehnen, als sie den Arm ausstreckte und mit ihrer starken, von Kämpfen zernarbten Hand über sein Horn strich, wobei sich ihre gebräunte Haut von seiner schimmernden Schwärze abhob. Ihre andere Hand bewegte sich seinen Hals entlang und griff in die schwarze Mähne, die darüberfloss.

»Ich wusste nicht, dass Drachen Haare haben. Es ist wie eine Pferdemähne.«

»Es ist nicht wie eine Pferdemähne!«, blaffte Fearghus. Zu Morfyds Überraschung wich Annwyl nicht vor ihrem Bruder zurück und hastete durch den Raum. Stattdessen lachte sie und lehnte sich enger an seinen Körper.

»Kein Grund, gereizt zu sein. Ich meinte nur, dass deine Art eigentlich als Lasttiere für uns Menschen gedacht war. Genau wie Pferde. Und Zentauren.«

»Oh, ist das alles? In dem Fall muss ich mich entschuldigen, Lady Annwyl. Ich dachte, du hättest etwas Beleidigendes gesagt.«

Morfyd trat von Annwyls Kammer zurück. Ihr Bruder machte Witze? Nun, vielleicht war die Zeit für sie gekommen, vollkommen den Verstand zu verlieren, wenn man bedachte, aus was für einer Familie sie stammte. Drachen taten so etwas gelegentlich.

Sie sah auf den Brief hinab, den sie in der Hand hielt. Er konnte bis morgen warten.

Lautlos wandte sie sich um, um sich etwas Beruhigendes zu trinken zu holen. Oder zumindest ein starkes Bier. Sie brauchte etwas zum Einschlafen, denn das Letzte, was sie gesehen hatte, bevor sie sich von der Kammer abwandte, würde sie andernfalls stundenlang wach halten und heimsuchen. Das Bild von Annwyl, der Blutrünstigen, dem berüchtigten Schrecken der Dunklen Ebenen, die liebevoll mit der Hand Fearghus’ Schnauze streichelte … und Fearghus der Zerstörer, der es zuließ.

Fearghus sah Annwyl beim Schlafen zu. Sie hatten bis weit in die Nacht geredet. Und sie war an seine Seite gelehnt eingeschlafen, eine Handvoll Haare um ihre Finger geschlungen. Als sie begann, zu Boden zu rutschen, hob er sie hoch, legte sie auf ihr Bett und deckte sie mit einem der Felle zu.

Seine Zuneigung für diesen Menschen wuchs mit jedem Tag. Manchmal mit jeder Minute. Und es war nicht nur ihre Schönheit, sondern ihr vollkommener Mangel an Furcht vor allem und jedem außer ihrem Bruder. Sie fürchtete nicht den Tod. Sie fürchtete nicht den Kampf. Und, was am wichtigsten war: Sie fürchtete Fearghus nicht. Sie berührte ihn. Fuhr mit ihren Händen über seine Schuppen und durch seine Mähne.

Aber es war der Moment, als er sie mit dem Fell zudeckte und sie im Schlaf seinen Namen seufzte, als er sein Herz verlor.

6

Lorcan schleuderte den Tisch quer durch den Raum und zerquetschte damit beinahe einen seiner Soldaten. Er brüllte vor Wut. Sieben Tage, und sie hatten noch immer weder das verfluchte Mädchen noch irgendeinen seiner Männer gefunden.

Er schnappte sich zwei schwere Holzstühle und schleuderte sie hinterher. Seine Wachen stoben auseinander und rannten in Sicherheit. Doch es gab keine Sicherheit vor seiner Raserei. Eine Raserei, mit der es nur eine einzige andere aufnehmen konnte.

»Findet sie! Findet das Miststück!« Mehrere seiner Männer starrten ihn mit leerem Blick an. »Jetzt!« Die Männer rannten davon.

Lorcan lehnte seine brennende Stirn an den kühlen Stein seiner Burgmauer.

»Mylord?« Lorcan atmete tief durch und sah seinen Berater an. Hefaidd-Hen war immer noch der Einzige, der mutig genug war, sich ihm während einer seiner Rasereien zu nähern. »Vielleicht entgeht uns das Offensichtliche.«