Выбрать главу

»Er ist mein Bruder.«

»Eine große Familie.« Annwyl zog ihre Stiefel an, zog sich den Wappenrock über den Kopf und schnallte sich den Gürtel um. Als sie fertig angezogen war, stemmte sie die Hände in die Hüften und hob eine Augenbraue. »Was nun, Drachenfürstin?«

Morfyd beobachtete, wie Annwyl zu ihren Leutnants sprach. Sie hatte wahrhaft eine Seite von Annwyl gesehen, die diese Männer nicht kannten. Die verwundete Kriegerin, die um ihr Leben rang. Die Frau, die ihren Bruder liebte. Und die Kriegerin, die zu ihrer Freundin geworden war.

Doch jetzt erkannte sie, warum diese Männer ihr folgten. Annwyl strahlte Stärke und Entschlossenheit aus. Sie war mehr als die Anführerin des Aufstands. Sie war seine Seele.

»Zieht heute Nacht aus. Wir haben Nachricht erhalten, dass Lorcan morgen bei Aufgang der zwei Sonnen das Dorf angreifen wird. Wir dürfen ihn nicht durchkommen lassen, sonst rückt er zur Zitadelle von Ó Donnchadha vor, und dort sind unsere Frauen und Kinder. Tötet jeden, der Lorcans Farben trägt. Keine Überlebenden. Keine Gefangenen.«

»Und du?«, fragte Brastias.

»Ich gehe mit Morfyd. Jetzt. Aber ich werde bis zum Morgen zurück sein. Morgen werde ich mich meinem Bruder stellen.«

»Und was ist mit …« Die Männer traten verlegen von einem Fuß auf den anderen, ohne Annwyl in die Augen zu sehen.

Sie grinste. »Und was mit meinem Drachen ist?« Morfyd blinzelte überrascht. Annwyl versuchte nicht einmal, ihre Beziehung zu Fearghus zu verbergen.

Brastias räusperte sich. »Ja, Annwyl. Was ist mit deinem Drachen?«

»Lasst ihn schlafen. Wenn er aufwacht, sagt ihm, dass ich bis Sonnenaufgang zurück sein werde. Nicht allzu schwierig, oder?«

»Und sind wir in seiner Nähe sicher?«

Annwyl seufzte bei der Frage entnervt auf, aber Morfyd antwortete für sie. »Ja. Ihr seid in seiner Nähe sicher. Aber wenn ihr ihm von Annwyl erzählt, würde ich nicht herumstehen. Ich rate euch dringend, ihm schnell aus dem Weg zu gehen. Sehr schnell.«

Annwyl und ihre Männer starrten Morfyd an. Sie zuckte die Achseln über Annwyls hochgezogene Augenbrauen. »Er ist mein Bruder. Ich kenne ihn gut.«

Die Männer traten alle gleichzeitig einen Schritt von ihr zurück. Alle bis auf Brastias, der sie anstarrte. Ihr wurde bewusst, dass sie keine Ahnung gehabt hatten, dass auch sie ein Drache war. »Keine Sorge. Auch in meiner Nähe seid ihr sicher.« Sie lächelte, aber nur Brastias und Annwyl lächelten zurück.

»Also gut. Wir gehen dann.« Annwyl trat von dem großen Tisch mit den ausgebreiteten Landkarten zurück, an den sie sich gelehnt hatte. »Wir sehen uns alle bei Tagesanbruch.«

Morfyd verließ das Zelt und Annwyl folgte ihr. Brastias’ Stimme hielt sie auf.

»Annwyl.« Die beiden Frauen sahen ihn an. Er wagte noch ein Lächeln in Morfyds Richtung, bevor er sich an Annwyl wandte: »Was ist mit deinen Waffen?«

»Nein.« Morfyd schüttelte den Kopf. »Keine Waffen, Annwyl.«

Annwyl sah Brastias an und zuckte die Achseln. »Keine Waffen.«

»Dann sei bitte vorsichtig.«

Annwyl nickte und folgte Morfyd, die sie weg vom Lager zu der Lichtung führte, wo sie zuvor gelandet war.

Das Mädchen trat zurück, als Morfyd sich verwandelte und Flügel und Mähne schüttelte. »Bereit, Lady Annwyl?«

Annwyl hielt sich an der weißen Mähne fest und schwang sich geübt auf Morfyds Rücken. »Aye, Drachenfürstin. Ich bin bereit.«

»Ich verstehe unseren Bruder einfach nicht. Eine Menschenfrau.« Briec seufzte tief, was Gwenvael dazu brachte, genervt die Augen zu verdrehen.

»Du weißt gar nichts, Briec. Sie ist anders.«

»Meinst du nicht eigentlich verrückt, kleiner Bruder?«

Gwenvael sah Morfyds weiße, schuppige Gestalt auf sie zuschießen. Er stand auf. Sowohl er als auch Briec hatten schon ihre menschliche Gestalt angenommen und sich angezogen.

»Du bist nur sauer, weil sie dich geschlagen hat.« Gwenvael sah seinen Bruder an. »Und zwar ordentlich.«

Briec stand auf. Er war ein klein wenig größer als Gwenvael – wenn auch immer noch kleiner als Fearghus –, aber es machte genauso viel Spaß, ihn zu ärgern wie seinen älteren Bruder. »Ich habe zugelassen, dass sie mich schlägt.«

»Das musstest du. Sonst hätte sie dich auf der Stelle getötet.«

Morfyd vollführte eine ihrer lautlosen Landungen und wartete geduldig, bis Annwyl abgestiegen war. Sie verwandelte sich in ihre menschliche Gestalt, und Annwyl legte ihr eine Felldecke um die Schultern.

Er eilte die Treppe hinunter, um sie zu begrüßen. »Lady Annwyl!«

»Gwenvael.«

»Geht’s dir besser?«

Sie konnte das Lächeln und das Erröten ihrer Wangen nicht verbergen. Jetzt wusste er, was er immer vermutet hatte: Sein Bruder war ein sehr, sehr mutiger Drache. »Viel besser, danke.«

»Gut.«

Briec trat neben ihn, die Arme vor der Brust verschränkt. »Mylady.« Er nickte ihr kühl zu, und Annwyl sah von Gwenvael zu Morfyd und wieder zurück.

»Tut mir leid, kenne ich dich?«

Briec blinzelte überrascht. »Ich bin Briec der Mächtige!«

Annwyl musterte Gwenvaels Bruder von Kopf bis Fuß. »Wirklich?«, bemerkte sie schließlich. »Hast du dir diesen Namen gegeben?«

Gwenvael und Morfyd schluckten ihr Lachen hinunter, bevor Morfyd das Mädchen fort und die Treppe hinaufzog. »Komm, Annwyl. Wir haben nicht viel Zeit.«

Briec lächelte ihnen höhnisch nach. »Ich hoffe, die Königin isst ihr Knochenmark zum Nachtisch.«

Gwenvael blickte finster. Wenn die beiden Feindinnen wurden – Annwyl und die Königin –, stand in den Sternen, wer von beiden als Gewinnerin hervorgehen würde. Sie waren gleichermaßen Furcht einflößende Frauen.

Gwenvael trabte die Treppe hinauf, Briec folgte dicht hinter ihm. »Denk daran, Briec. Sie hätte Vater fast umgebracht. Wir können also nur hoffen, dass sie miteinander zurechtkommen.«

Annwyl dachte, sie würden lange Strecken über Land reisen. Sie hatte falsch gedacht. Stattdessen ging Morfyd direkt nach oben. Höher und höher, bis sie den Gipfel des Berges Devenallt knapp oberhalb der Wolken erreichten. Dort befand sich der Hof der berüchtigten Drachenkönigin. Sie galt allgemein als Mythos, doch wie Fearghus stellte sie sich als nur allzu real heraus. Und Annwyl hatte keine Ahnung gehabt, dass eine ganze Gemeinschaft von Drachen immer so in der Nähe gewesen war. Sie hielten ihr Leben wahrhaftig vor den Menschen geheim. Und jetzt war Annwyl hier. Ein ganz gewöhnliches Mädchen, das jetzt durch die majestätischen Hallen des Hofes der Königin ging.

Als sie mit Morfyd die Haupthalle betrat, verstummten alle Gespräche. Die Drachen wandten sich ihr ausnahmslos zu. Sie musterten sie. Sorgfältig. Annwyl fühlte sich nackt und allein. Sie wünschte, Fearghus wäre bei ihr, doch sie wusste, dass er sie niemals hätte herkommen lassen. Er hätte es nicht aufs Spiel gesetzt – er hätte sie nicht aufs Spiel gesetzt. Der Gedanke zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, und sie bemerkte Fearghus’ Vater nicht, bis sie praktisch gegen den alten Mistkerl stieß. Immer noch in Drachengestalt, Klaue und Schwanz frisch bandagiert. Seine verletzte Schnauze war mit einer Salbe beschmiert, vermutlich, um die Blutung zu stoppen.

Er blickte sie finster und mit kalten Augen von oben herab an, und Annwyl verspürte wieder diesen Wunsch zu fliehen. Aber die Befriedigung würde sie dem alten Mistkerl nicht verschaffen.

»Wie geht’s der Klaue?«, rief sie zu ihm hinauf. Morfyd schnappte nach Luft und nahm sie am Arm, zerrte sie eine weitere Treppe hinauf und in eine weitere Halle.

»Bitte versuche, dich nicht umbringen zu lassen, Annwyl. Fearghus würde mir das nie verzeihen.«

»Ich werde es mir merken.« Als sie die nächste Halle betraten, stockte auch hier wieder jegliche Drachenkonversation. Schweigend sahen ihr alle nach.