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Sie wartete. Als keiner vortrat, wandte sie ihnen den Rücken zu. Doch ein Flackern in Danelins Blick warnte sie. Sie hatten manche Schlacht zusammen durchgestanden, und manchmal war alles, wofür man Zeit hatte, ein Blick oder ein Wort. Sie wusste genau, was er ihr sagen wollte, und sie bewegte sich mit ihrer üblichen Schnelligkeit und Brutalität.

Annwyl zog den edelsteinbesetzten Dolch, den Fearghus ihr vor so langer Zeit geschenkt hatte, aus ihrem Stiefel und schleuderte ihn, nur ihren Oberkörper drehend, hinter sich. Die Klinge spießte die Kehle eines Angehörigen des Hauses von Adhamhan auf, der sie im Namen seines Volkes hatte töten wollen. Ein schwerer Mann in voller Rüstung, aber er trug keinen Helm, und Annwyls Dolch bohrte sich direkt in seinen Hals. Sein schwerer Körper krachte zu Boden, was alle außer Annwyl und ihre Soldaten zusammenzucken ließ.

Annwyl sah ihn einen langen Augenblick an, ließ die Situation bei allen Anwesenden ins Bewusstsein einsinken. Dann blickte sie in die Gesichter der Adligen. »Sonst noch jemand?« Niemand rührte sich. »Ich denke, dann wäre jetzt alles geklärt.«

Sie setzte sich wieder auf den Thron und sah Hamish nach, der in den hinteren Teil des Saales hastete. Dann warf sie Danelin einen Blick zu. »Sind wir jetzt fertig?«

Er beugte sich dicht zu ihrem Ohr, damit nur Annwyl ihn hören konnte.

»Da waren noch drei andere, aber ich glaube, sie sind um ihr Leben gerannt.«

»Das liegt mir schwer auf der Seele, Danelin«, murmelte sie gedämpft.

Er hob eine Augenbraue. »Das sehe ich, Annwyl.« Alle Soldaten ihrer ursprünglichen Truppe mit Brastias nannten sie weiterhin nur bei ihrem Namen, ohne den formellen Titel, und sie wollte es auch gar nicht anders.

»Annwyl die Blutrünstige!« Eine Stimme erklang durch den Saal und erschreckte Annwyl und Danelin genauso wie den ganzen Hofstaat. »Du sprichst von deinem Gefährten, und doch bist du nicht bei ihm.«

Annwyls Augen wurden schmal, als ihre Wut durch ihre Adern zu fließen begann. Es musste sich auch in ihrem Blick abzeichnen; Danelin trat einen Schritt von ihr zurück, die Hand am Schwert, während Brastias und ihre Soldaten näher rückten. Ob sie sich Sorgen um sie oder wegen ihr machten, wusste sie nicht.

Sie starrte die Frau an, die in der breiten Holztür des Saales stand. Sie war von Kopf bis Fuß in einen hellblauen Umhang eingehüllt und die größte Frau, der Annwyl je begegnet war.

»Ich weiß nicht, was Euch das angeht, Mylady.« Annwyl überlegte, ob sie sie langsam oder einfach direkt töten sollte.

Die Frau trat vor, ihr Umhang wirbelte um ihre nackten Füße. »Ich bin weit gereist, um mich mit dir zu treffen, Lady Annwyl, aber ich verschwende nicht gern meine Zeit oder Worte.«

»Genauso wenig wie ich. Also solltet Ihr mir vielleicht sagen, worum es geht, bevor ich die Geduld verliere.«

Annwyl spürte eine Hand auf ihrer Schulter und sah zu Morfyd auf, die neben ihr stand. »Annwyl, ich möchte dir Königin Rhiannon aus dem Haus Gwalchmai fab Gwyar vorstellen.« Annwyl zuckte zusammen. Was für ein hässlicher Familienname. Sie hätte es schrecklich gefunden, so zu heißen. »Meine Mutter.«

Das Gefühl, in einem Mauseloch verschwinden zu wollen, kann überwältigend sein, doch Annwyl bekämpfte es. Die Königin stand vor ihr. Als Mensch. Sie schob die Kapuze ihres Umhangs zurück. Schneeweißes Haar ergoss sich über ihre Schultern, und ein Ausdruck heftiger Unzufriedenheit breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie schien nicht einmal das Luftschnappen zu bemerken, das durch den Hofstaat ging, als sie das Mal ihrer eigenen Inbesitznahme sahen: ein schwarzes Drachenbrandzeichen, das sich von ihrem Kiefer ihren Hals entlangzog und unter ihrem Umhang verschwand.

Doch jetzt verstand Annwyl, warum Rhiannons Kinder alle schön waren. Als Mensch war Rhiannon absolut atemberaubend.

Annwyl sah diejenigen an, die Rhiannon begleiteten. Eine schöne rothaarige Frau, die so unschuldig und süß aussah wie Daddys kleines Mädchen. Und drei Männer, die eindeutig Brüder waren. Alle auf ihre Art ziemlich gut aussehend. Der mit den silbernen Haaren sah aus, als erschiene er nur unter Protest vor ihr. Der mit den goldenen Haaren starrte sie offen lüstern an. Und der Blauhaarige grinste so fröhlich, dass sie nicht anders konnte als kurz zurückzulächeln.

»Worum es geht, Mylady, ist, dass es an der Zeit ist, dass du deinen rechtmäßigen Platz an der Seite meines Sohnes einnimmst.«

Annwyl holte tief und zitternd Luft. Die Kuh hatte ihr gerade befohlen, zu Fearghus zurückzukehren. Befohlen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, als die Wut in ihr aufstieg. Sie konnte ihre Gefühle jetzt im Zaum halten, doch das machte sie nur noch tödlicher. Gwenvael musste es gesehen haben. Er schloss resigniert die Augen.

»Und vielleicht, Mylady, solltet Ihr Euch um Eure eigenen Angelegenheiten kümmern.« Morfyds Finger gruben sich wie eine Warnung tief in ihre Schulter. Eine Warnung, die sie ignorierte. »Was zwischen mir und Fearghus passiert, ist unsere Sache. Nicht Eure. Daran solltet Ihr denken.«

Sie bemerkte, wie Rhiannons Kinder verzweifelt versuchten, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während Morfyd gefährlich kurz davorstand, ihr den Arm auszureißen.

»Vielleicht vergisst du, wer ich bin.«

»Ich vergesse gar nichts. Wie geht es übrigens dem Schwanz Eures Gefährten, Mylady?«

An diesem Punkt warf Morfyd resigniert die Arme in die Luft und trat zurück an Brastias’ Seite, während Rhiannons Söhne zusammenzuckten und die schöne Rothaarige ihr Gesicht in den Händen barg.

Rhiannon lächelte. Ein beunruhigender Anblick, gelinde gesagt. Anders als bei ihren Kindern glichen ihre menschlichen Zähne trotzdem Reißzähnen. »Weißt du, Lady Annwyl, jede Frau, die stark genug ist, um einen so mächtigen Drachen wie Bercelak den Großen zu durchbohren, sollte stark genug sein, um zu fordern, was ihr gehört.«

Interessanter Zug von der Königin. Annwyl hatte eigentlich erwartet, sie würde ihr den Kopf abreißen. Zumindest hatte sie erwartet, dass sie es versuchen würde. »Ich weiß Eure Sorge zu schätzen, Mylady. Aber ich bin ratlos, warum Euer Sohn nicht selbst gekommen ist.«

Und mich vor dieser verdammten Sippe rettet!

»Er fürchtet törichterweise, dass er ein großes Risiko für deine Sicherheit sein könnte. Ich weiß jetzt, dass da nichts zu befürchten ist. Du bist eine tödliche Gegnerin. Ich bezweifle, dass irgendwer hier deinen Zorn herausfordern würde. Ich weiß, dass ich es nicht tun würde.«

Annwyl fragte sich einen Augenblick lang, ob Rhiannon das nur wegen den Adligen sagte. Doch sie bezweifelte, dass der Drache sich darum Gedanken machte. Die Frau war gefährlich ehrlich – Freund oder Feind. »Aber da mein Sohn so ein …«

»Trottel?«, bot Gwenvael an.

»Heimtückische Harpye?«, konterte Briec.

»… besorgter Gefährte ist …«, zischte ihre Mutter zwischen zusammengebissenen Zähnen und brachte beide mit einem Blick zum Schweigen, »… habe ich ein Geschenk für dich.«

Annwyl wappnete sich. Die Königin mochte ehrlich sein, aber Annwyl nahm trotzdem nicht alles, was sie sagte, für bare Münze. Das »Geschenk« konnte dafür sorgen, dass sie blutüberströmt und ohne Augen endete. »Tatsächlich?«

»Ich biete dir meine Loyalität an und die Loyalität aller Drachen der Dunklen Ebenen.«

Annwyl war sich nicht sicher, was das für sie bedeuten sollte. »Oh. Das ist sehr … ähm … lieb.«

Morfyd kehrte an ihre Seite zurück, beugte sich vor und flüsterte ihr so laut ins Ohr, dass alle es hören konnten: »Für den Fall, dass du es nicht wusstest, das bedeutet, wenn irgendwer je versucht, dich oder deinen Thron anzugreifen, lädt er den Zorn des gesamten Drachenreiches der Dunklen Ebenen und all unserer Verbündeten auf sich. Das ist vor ungefähr tausend Jahren einmal passiert. Als die Drachen fertig waren, stand im ganzen Land kein Stein mehr auf dem anderen.«