Ein Ruck ging durch Annwyls Körper, während einige Menschen im Saal begannen, sich in Richtung Ausgang zu schieben. Und Hamish konnte nicht schnell genug rennen. Sie fragte sich, was er ursprünglich vorgehabt hatte.
Annwyl sah Fearghus’ Mutter an. »Ihr schenkt mir diese Loyalität? Einem Menschen?«
»Ja.«
»Wegen Fearghus?«
»Nein. Ich schenke meinen Kindern gar nichts. Man muss sich alles verdienen. Und du hast es dir verdient. Du warst sehr gut. Ohne uns. Und ohne Fearghus.« Sie seufzte gelangweilt. »Kurz gesagt, du hast mich beeindruckt, Annwyl die Blutrünstige. Und ich bin nicht leicht zu beeindrucken.«
»Ich … äh … danke.« Ausnahmsweise fiel Annwyl nichts ein, was sie hätte sagen können.
Rhiannon wedelte wegwerfend mit der Hand. »Ja, ja.« Sie wandte sich ab. »Aber mein Sohn wartet, also setzt du vielleicht am besten dein Hinterteil in Bewegung.« Rhiannon steuerte auf den Ausgang zu. »Ich muss gehen. Bercelak wartet auch, und er ist so ungeduldig.«
»Müsst Ihr zurück an Eure Kette, Mylady?« Morfyd und Keita husteten überrascht, während die Brüder einfach verblüfft schienen.
Rhiannon warf Annwyl einen Blick über die Schulter zu und lächelte auf die sinnlichste Art, die Annwyl je gesehen hatte. »Neidisch?« Dann war sie fort.
Gwenvael trat vor. Zum ersten Mal sah Annwyl ihn wütend werden. »Frau, bist du wahnsinnig geworden?«
»Warum fragen mich das immer alle?«
»Tja, du musst sie wirklich beeindruckt haben«, fügte Keita hinzu. »Ich war mir sicher, dass sie dir die Kehle zerfetzen würde.« Annwyl erinnerte sich gut an die weißen Krallen der Königin. »Ich dachte die ganze Zeit: Was werden wir Fearghus sagen? Dann dachte ich: Wer wird es Fearghus sagen? Dann dachte ich: Wir lassen es Morfyd machen.«
Mit einem bösartigen Zischen erwiderte diese: »Wie bitte?«
»Würdet ihr alle bitte aufhören!« Annwyl wischte ihre Hände an ihrer Hose ab und sah auf ihre Knie hinab. Sie wusste, was sie tun musste. Sie blickte zu den Drachen auf. »Ich brauche ein Transportmittel.«
Gwenvael lächelte. Erleichterung schien sich in seinem ganzen Körper auszubreiten. Er hätte es nie zugegeben, aber Annwyl wusste, dass dem Drachen viel an seinem Bruder lag. »Das dachte ich mir. Ich kann dich hinfliegen.«
Annwyl hob eine Augenbraue. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«
Gwenvael zuckte die Achseln. »Gutes Argument. Briec wird dich hinfliegen.«
»Das werde ich nicht! Auf keinen Fall lasse ich zu, dass sie nach mir riecht, wenn sie zu ihm zurückkommt. Ich mag meinen Schwanz!«
»Ich fliege sie hin!«, bot Éibhear fröhlich an.
»Nein!«, fuhren ihn seine beiden Brüder an.
»Ehrlich. Ihr drei seid solche Idioten!« Keita machte Annwyl ein Zeichen. »Lass uns gehen, Schwester. Ich werde dich hinfliegen. Ich habe gewisse … äh … Pläne mit ein paar Soldaten in der Nähe der Schlucht.«
Annwyl schüttelte den Kopf, während Morfyd angewidert schnaubte. »Ähm … na gut.« Sie sah über ihre Schulter. »Brastias.«
»Ja, Annwyl?« Er stand neben Morfyd und versuchte verzweifelt, nicht zu lächeln, scheiterte aber kläglich.
»Ich muss mich um etwas kümmern, Brastias. Meinst du, du und Morfyd könnt euch um diese Sache mit dem Getreide und dem Bauholz kümmern, bis ich wiederkomme?«
»Natürlich.« Er grinste. »Aber wir sagen dir sofort Bescheid, wenn es irgendwelches Blutvergießen gibt.«
Annwyl sah ihn an. »Mehr verlange ich gar nicht.«
Fearghus streckte sich an seinem See aus, das Kinn in eine Klaue gestützt, während sein Schwanz Wirbelmuster in dem blauen Wasser machte. Er seufzte. Ein Jahr war es her, seit er sie am Morgen nach dem finalen Kampf mit ihrem Bruder verlassen hatte. Ein Jahr, seit er sie das letzte Mal in den Armen gehalten hatte. Ein Jahr, seit er sie geküsst hatte. Ein Jahr, seit er seinen Kopf zwischen ihren Schenkeln vergraben hatte. Ein Jahr, seit sie ihm ins Gesicht geschlagen hatte.
Wieder seufzte er. Er vermisste sie wirklich. Er hätte nicht gedacht, dass er etwas oder jemanden so sehr vermissen konnte. Er wollte zu ihr gehen. Wollte seinen rechtmäßigen Platz an ihrer Seite einnehmen. Doch er fürchtete um ihre Sicherheit. Und was noch wichtiger war: Wollte sie ihn überhaupt noch? Was, wenn sie jemand anderen gefunden hatte? Einen Menschen? Jemanden, der nicht beim Husten versehentlich einen Feuerball auf sie schleudern konnte?
Hatte sie ihn schon vergessen? Liebte sie ihn noch? Und wann war er eigentlich so unsicher geworden?
Er setzte sich auf. Das ist doch lächerlich. Er würde zur Insel Garbhán gehen. Er würde sich seine Frau holen. Sie gehörte ihm. Er hatte sie in Besitz genommen, und nichts würde etwas daran ändern.
Abgesehen davon hielt er es nicht mehr aus. Alles in seiner Höhle erinnerte ihn an Annwyl. Er konnte sie beinahe riechen. Konnte fast spüren, wie sie seinen Drachenrücken hinauflief, auf seinen Kopf kletterte und ihren Körper über ihn beugte, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.
»Hast du mich vermisst?«
»Annwyl?«
Fearghus schreckte hoch, und Annwyl fiel rückwärts und rollte seinen Rücken und Schwanz hinab. Mit einem »Uff!« traf sie auf dem Boden auf.
Er wirbelte herum und starrte sie an; er wollte nicht glauben, dass sie wirklich in seiner Höhle war. Während sie sich aufrappelte, verwandelte er sich.
»Na, das war ja eine Begrüßung … oh!«
Er schnappte sie und ließ sich mit ihr zu Boden fallen, wobei er mit den Armen ihren Kopf und Rücken schützte. Kaum hatte er sie auf dem Boden, küsste er sie. Die Erwiderung ihres Körpers kam unmittelbar und heftig wie immer. Dann hielt er ihre Arme über ihrem Kopf fest und ihren Körper mit seinem. »Wo zum Teufel warst du so lange?«
»Wo ich war? Wo warst du?!«
»Hier! Ich hab auf dich gewartet!«
Sie versuchte, ihre Arme seinem Griff zu entreißen, doch er hielt sie fest. Er würde sie jetzt nicht entkommen lassen. »Du hast mich verlassen, Fearghus. Ich bin aufgewacht und du warst weg. Was hätte ich da denken sollen?«
»Dass ich dich schützen wollte.«
»Ja. Das hat mir deine Schwester gesagt. Aber warum hast du es mir nicht selbst gesagt?«
»Hättest du mich gehen lassen?«
»Nimm dich nicht wichtiger als du bist.«
Er starrte sie an … unverwandt. Sie starrte zurück.
»Wenn du das denkst, warum bist du dann jetzt hier, Annwyl?«
»Deine Mutter ist zu mir gekommen«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Fearghus hielt inne. »Was?«
»Ich sagte, deine Mutter war bei mir. Sie hat mir gesagt, es sei Zeit, meinen Platz an deiner Seite einzunehmen.«
Seine Mutter befahl Annwyl zurück zu ihm. Das konnte nicht gut sein. Fearghus hatte Angst zu fragen, aber er musste es wissen. »Was hast du ihr gesagt, Annwyl?«
»Ich habe ihr gesagt, sie soll sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.«
»Ihr Götter, Frau!« Fearghus ließ sie los, damit er seine Hände benutzen konnte, um sie sich verzweifelt vors Gesicht zu halten, während er sich auf die Hacken zurücksetzte. »Bist du wahnsinnig?«
Annwyl wand sich unter ihm hervor. »Warum fragen mich das ständig alle?«
»Was noch?« Er sah sie an. »Was hast du ihr noch gesagt?«
Sie zuckte die Achseln. »Mal sehen … also, ich habe sie gefragt, wie es Bercelaks Schwanz geht.«
Fearghus barg wieder den Kopf in den Händen. »Bist du dir so sicher, dass sie dich nicht umbringen wird?«
»O nein. Überhaupt nicht. Ich dachte, sie würde mich auf der Stelle töten.« Sie sagte das so nonchalant, dass er wusste, dass sie absolut ehrlich zu ihm war.