»Ich habe darüber nachgedacht. Wir werden nächsten Mond eine Zeremonie abhalten, um eure Verbindung zu feiern. Du wirst da sein. Du wirst hübsch aussehen. Und du wirst ihn dich nehmen lassen.«
»Ich weiß, warum du das machst. Ich weiß, was du vorhast.« Sie hasste die Verzweiflung in ihrer Stimme. Sie hasste ihre Mutter.
Als die Königin sie nur ansah, fuhr Rhiannon fort: »Du fürchtest, dass ich dir deinen Thron nehmen werde, bevor du bereit bist, ihn aufzugeben. Du hast Angst, wenn ich mich mit jemandem verbinde, der dir nicht loyal ist, kann ich alles haben … und du nichts. Deshalb lieferst du mich diesem Stück Dreck aus!«
»Na, na, Rhiannon. Wie schrecklich, dass du so über deine liebende Mutter denkst!«
Sie sagte es so flapsig, dass Rhiannon wusste, dass sie recht hatte. Ihre Mutter fürchtete sie. Fürchtete die Loyalität, die sie sich unter den anderen Drachen am Hof aufgebaut hatte. Sie fürchtete ihre magischen Fähigkeiten, die zwar noch schwach waren, aber zunehmend – und überraschend – stark wurden.
Ihre Mutter fürchtete sie. Und dafür war diese Hexe bereit, Rhiannon auszuliefern wie eine menschliche Sklavin.
In blinder Wut schlug Rhiannon mit einer ihrer Klauen nach ihrer Mutter, aber deren verfluchte Wachen, die das Leben der Königin schützten, als wäre es ihr eigenes, waren schon da, als ihr Unterarm kaum ihre Seite verlassen hatte. Sie schubsten sie zurück. Sie! Eine Prinzessin!
»Das kannst du nicht mit mir machen, du alte Schlampe!«, schrie sie, unfähig, sich noch länger zu beherrschen. Die Verletzung und der Schmerz nagten an ihr wie ein Parasit. »Ich werde dir den Thron abnehmen … ich werde dir deine Macht und deinen Schatz abnehmen! Und ich werde dich verrotten lassen!«
Kalte, kristallblaue Augen sahen sie an, und sie wusste, hier würde sie niemals Mitgefühl finden. »Das wirst du bereuen, kleine Schlampe.«
»Fahr zur Hölle!«
Rhiannon machte mehrere Schritte rückwärts, bis sie ein gutes Stück von ihrer Mutter und deren geisteskranken Wächtern entfernt war. Dann drehte sie sich um und stürmte davon.
Sie würde gar nichts bereuen. Aber sie würde dafür sorgen, dass ihre Mutter alles bereute.
Bercelak der Große, Drachenkrieger des Throns der Drachenkönigin, Neuntgeborener Sohn von Ailean dem Verruchten, Oberster Befehlshaber der Heere der Drachenkönigin und so weiter und so weiter, marschierte durch den Ort, an dem er geboren war. Anders als bei den meisten Drachen war sein erstes Zuhause keine Höhle gewesen – sondern ein Schloss.
Er stolzierte durch die Hallen und nickte seinen vielen Geschwistern im Vorbeigehen grüßend zu. Mit ihm waren es fünfzehn. Einige hatten Gefährten. Andere nicht. Manche hatten bereits eigenen Nachwuchs. Bevor er das Haus seines Vaters betrat, musste er sich in menschliche Gestalt verwandeln und menschliche Kleidung anziehen. Sein Vater Ailean bestand darauf. Aus ihnen allen unbekannten Gründen liebte es ihr Vater, Mensch zu sein. Nicht nur zeitweise, wie einige seiner Art, manchmal auch Bercelak selbst – sondern die ganze Zeit. Er verwandelte sich nur in einen Drachen zurück, wenn er kämpfen oder schnell irgendwohin fliegen wollte.
Bis heute hatte Bercelak keine Ahnung, wie seine Mutter, eine schöne Drachendame von königlichem Blut, den alten Mistkerl ertragen konnte. Er war laut, grob und unhöflich. Mit ihm aufzuwachsen war für alle seine männlichen Geschwister ein Graus gewesen. Den weiblichen erging es viel besser, doch wenn sie volljährig wurden, stellten sie fest, dass einen Verruchten als Vater zu haben nicht gerade günstig war, wenn die Zeit kam, sich einen Gefährten zu suchen. Überall, wo sie hinkamen, eilte ihnen der Ruf ihres Vaters voraus.
Jetzt musste Bercelak vor den alten Mistkerl treten und wusste nicht einmal, warum. Ailean hatte nach ihm verlangt, indem er vier von Bercelaks Brüdern schickte, um ihn zurückzubringen. Da er seine eigenen Geschwister nicht töten wollte, hatte Bercelak schließlich zugestimmt, zur Burg zurückzukehren. Aber er wollte es schnell hinter sich bringen, damit er wieder nach Hause gehen konnte. Jetzt, wo die Kriege vorüber waren, hatte er Pläne zu schmieden, und sein Vater hielt ihn auf.
Er stürmte ins Arbeitszimmer seines Vaters, verzog das Gesicht und wandte sich ab. »Meinst du, du könntest lange genug von meiner Mutter heruntergehen, um mir zu sagen, warum du nach mir geschickt hast?«
»Seit wann bist du denn so verklemmt, Junge?« Bercelak hörte, wie seine Mutter seinem Vater einen Klaps versetzte, was sie anscheinend öfter tat, dann hörte er, wie sie vom Schreibtisch glitt, auf den Ailean sie geworfen hatte, und ihre Kleider wieder anzog. Für Ailean behielt seine Mutter ihre menschliche Gestalt. Bercelak verstand einfach nicht, warum.
»Zieh dich an!«, hörte er seine Mutter zischen und schüttelte den Kopf. Der Mistkerl lebte dafür, ihn in Verlegenheit zu bringen. Und er machte seine Sache gut.
Die Hand seiner Mutter legte sich auf seine Schulter. »Mein Sohn.«
Er drehte sich um und sah hinab in ihr schönes Gesicht. »Mutter.« Er küsste sie auf die Wange. »Ich freue mich, dich zu sehen.«
Einer ihrer Mundwinkel verzog sich nach oben. »Wirklich? Ich muss zugeben, dass man das dir am wenigstens von allen meinen Kindern anmerkt.«
»Junge.« Sein Vater, der endlich seine Hose angezogen hatte, lehnte am Schreibtisch. Warum bestand der alte Mistkerl nur immer darauf, ihn so zu nennen? Das würde ihm immer ein Rätsel bleiben. Er war kein Mensch und er war kein Junge. Dennoch nannte ihn sein Vater öfter als alle seine Brüder so. Wahrscheinlich, weil er wusste, dass es ihn zur Weißglut brachte.
»Vater. Du hast nach mir geschickt?«
»Aye. Ich habe heute Nachricht von der Königin erhalten.«
Seine Mutter versteifte sich neben ihm. Das tat sie immer, wenn die Königin erwähnt wurde.
»Worüber?«
»Prinzessin Rhiannon.«
Sein Herz blieb stehen. »Was ist mit ihr?« Obwohl er Angst hatte zu fragen. Die bittere Beziehung zwischen Mutter und Tochter hatte schon fast legendäre Ausmaße angenommen. Und Rhiannon war gerade einmal hundertfünfundzwanzig Winter alt. Ihr Götter, konnte es sein, dass die Königin ihr am Ende doch etwas angetan hatte?
»Du sollst sie haben.«
Bercelak sah finster drein, was sogar ihn selbst erstaunte, denn er sah sowieso fast immer finster drein. Doch das hier ließ ihn noch finsterer blicken.
»Was soll das heißen?«, fragte seine Mutter, bevor er es tun konnte. »Er soll sie haben?«
»Das heißt, dass die Königin will, dass du dich mit ihrer Tochter verbindest.«
»Nur über meine …«
»Shalin«, schnitt ihr Ailean das Wort ab. »Das ist nicht deine Entscheidung. Es ist die des Jungen.«
»Ja, aber …«
»Ich weiß, was du von Addiena hältst, Shalin. Aber noch einmaclass="underline" Es ist Bercelaks Entscheidung. Nicht deine. Nicht meine. Noch die der Königin.« Silberne Augen richteten sich auf ihn. »Wenn du sie nicht willst, sag es mir jetzt, und ich sage es der Königin. Ich habe sie schon seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen, aber ich bin sicher, ich kann immer noch ziemlich« – sein Vater grinste – »überzeugend sein.«
Shalin schnaubte und wandte sich ab, doch sein Vater fuhr fort: »Aber ich wollte dir die Möglichkeit offenlassen. Wie entscheidest du dich?«
Er musste keine Entscheidung treffen. Er hatte sie schon vor langer Zeit an dem Tag getroffen, als er das weiße Drachenmädchen zum ersten Mal gesehen hatte. Er war kaum fünfzig Winter alt gewesen und sie schon zweiundfünfzig. Ein älterer Drache. Er war vorher nie bei Hof gewesen und hatte diesmal seine Mutter begleitet. Seinen ersten Fehltritt machte er, sobald er den Thronsaal der Königin betrat. Er trampelte auf den schneeweißen Schwanz einer Prinzessin. Ihre Wut war unmittelbar, und ohne auf eine Entschuldigung zu warten, zielte sie mit eben dieser Schwanzspitze direkt in sein Auge.