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Was wenige wussten, aber schließlich doch erfuhren, war, dass alle Kinder von Ailean … nun ja … anders als andere junge Drachen aufwuchsen. Bercelak konnte sich an keinen Tag erinnern, an dem sein Vater nicht irgendwo aus einer dunklen Ecke gesprungen wäre, ihn am Schwanz gepackt und durch den Raum geschleudert hätte. Nicht, um ihn zu misshandeln – auch wenn er das damit tat –, sondern weil er wollte, dass die Reflexe seiner Nachkömmlinge besser waren als die aller anderen. Und zu Bercelaks Verdruss funktionierte es. Während andere Drachenkrieger in Schlachten unvorbereitet getroffen wurden oder vor Angst davonliefen, hatte Bercelak niemals mit der Wimper gezuckt, niemals Angst gehabt und war definitiv niemals davongelaufen. Nicht einmal. Im Gegenteiclass="underline" Er hatte alles und jeden, was ihm im Weg stand, vernichtet, bis sie ihm schließlich den Titel des Heeresbefehlshabers der Königin gegeben hatten. Der höchste Rang, auf den ein Drachenkrieger von niederer Geburt wie er hoffen konnte.

Als er also an jenem Tag diese rasiermesserscharfe Schwanzspitze auf sein Gesicht zukommen sah, reagierte er, wie er es bei jedem aus seiner Sippe getan hätte: Er schnappte sich den Schwanz und schwenkte ihn, sodass die Prinzessin und Erbin des Throns der Königin quer durch den Thronsaal und direkt an ihrer Mutter vorbeiflog.

Als ihn die Wachen der Königin festhielten, war er sich sicher, dass er an diesem Tag sterben würde. Doch die Königin … sie hatte andere Pläne. Und um ehrlich zu sein, schien es ihr auch egal zu sein, wie er ihre Tochter behandelt hatte.

Aber ihm war es nicht egal. Danach versuchte er alles, um Rhiannon dazu zu bringen, ihm zu verzeihen. Ihr näherzukommen. Doch immer wenn sie ihn sah, verdrehte sie die Augen und ging in die entgegengesetzte Richtung. Wenn er versuchte, mit ihr zu sprechen, gähnte sie ihm ins Gesicht und ließ ihn stehen.

Irgendwann hatte er sie dann in Ruhe gelassen. Aber er hatte nie aufgegeben, sie zu wollen. Und das hatte sich nicht geändert. Das würde sich niemals ändern.

»Ich nehme sie.«

Seine Mutter umklammerte seinen Arm. »Bercelak …«

»Ist schon gut, Mutter. Ich weiß, was ich tue.« Er sah seinen Vater an. »Ich nehme sie.«

Ailean grinste. Dieses breite Grinsen mit den vielen Zähnen, das Bercelak so unendlich ärgerte. »Irgendwie wusste ich, dass du das sagen würdest. Sie wird bei deiner Höhle auf dich warten.«

Bercelak und Shalin tauschten Blicke. Er war sich sicher gewesen, dass er sie selbst holen musste. Schließlich war sie Prinzessin Rhiannon. Und das ließ sie keinen je vergessen.

Bercelak neigte den Kopf zur Seite. »Ach ja?«

Rhiannon stieg in die Luft, sobald sie den Berg Devenallt verlassen hatte. Sie flog und flog – wild entschlossen, es vor Anbruch der Nacht bis zu ihrer Höhle zu schaffen. Sie hatte vieles zu durchdenken, denn ihre Mutter würde vermutlich auf der Stelle irgendeinen Gegenangriff planen. Doch ihre Höhle war eine Festung. Mit der Hilfe von Zauberern, die ihr die Treue hielten, hatte sie magische und physische Sicherheitsmaßnahmen um ihre Höhle eingerichtet, die ihre Mutter auf keinen Fall je durchbrechen konnte.

Sie flog an Wäldern und Städten vorbei, an Burgen und Bauernhöfen. Wenige sahen sie. Diejenigen, die es taten, schrien entsetzt und rannten davon. Ihr Götter, sie musste wirklich wütend sein. Sie ging nicht einmal tiefer, um sich aus einem der Dörfer einen schnellen Imbiss zu schnappen oder sich einfach an ihren Schreien zu ergötzen.

Sie steuerte aufs offene Meer zu und bewegte sich schnell, da sie mit dem Wind flog. Sie näherte sich dem großen Berg, als sie es spürte. Ein kleines Kribbeln im Magen. Sie wusste, dass es ihre Mutter war, und sprach sofort einen Zauber, um stärkere Barrieren um ihren Körper zu ziehen. Doch bevor sie sie aufgebaut hatte, durchzuckte sie die Macht der Götter wie ein Blitz … und dann fiel sie.

Verzweifelt versuchte sie, mit den Flügeln zu schlagen, doch nichts passierte. Dann sah sie an sich selbst hinab – und schrie entsetzt auf.

Ein Mensch. Ihre Mutter hatte sie in ihre Menschengestalt verwandelt. Und sie konnte sich nicht zurückverwandeln!

Sekunden, bevor sie auf dem Boden aufschlug, hatte sie einen letzten Gedanken …

Oh, Mist.

Bercelak starrte den nackten Frauenkörper an, der zusammengesunken vor seiner Höhle lag. Weiße Haare, durchzogen von Blut und Schmutz, bedeckten sie bis auf das komische kleine Brandzeichen auf ihrer nackten Schulter.

Er beugte sich vor und beschnüffelte sie. Nein … sie war nicht als Mensch geboren. Vielmehr war sie ein Drache in menschlicher Gestalt.

Tja … da geht es hin, das Abendessen.

Er schubste sie mit der Schnauze und drehte sie auf den Rücken. Als er ihr Gesicht sah, blieb ihm zum zweiten Mal an diesem Tag das Herz stehen.

Rhiannon. Prinzessin Rhiannon. Seine Rhiannon.

Er betrachtete sie genauer. Sie war blutverschmiert und verletzt. Er sah zum Himmel hinauf, und ihm wurde klar, dass sie von dort herabgefallen war. Kein Wunder, dass die Königin gesagt hatte, Rhiannon würde bei seiner Höhle auf ihn warten. Hier hatte sie ihre Tochter hingeworfen.

Das kann nichts Gutes bedeuten.

Doch das war nicht wichtig. Er hatte sie endlich. Er hatte seine Rhiannon. Und er hatte vor, sie zu behalten … für immer.

Kreischen. Wo kommt dieses Kreischen her?

Rhiannon bewegte sich, und das Kreischen wurde entschieden schlimmer, doch ihr wurde auch klar, dass es in ihrem eigenen Kopf war.

Sie legte ihre Klauen an die Stirn, in der Hoffnung, den Schmerz zurückdrängen zu können … nur dass sich etwas nicht richtig anfühlte. Ihr Kopf fühlte sich anders an. Genauso wie ihre Klauen.

Durch bloße Willenskraft öffnete sie die Augen und starrte ihre Krallen an. Nur dass das nicht ihre mächtigen weißen Krallen waren, die sie so stolz scharf hielt. Das waren – sie runzelte verwirrt die Stirn –, das waren Fingernägel. Menschliche. Genau wie die Klaue, an der diese nutzlosen winzigen Nägel saßen. Nicht ihre mächtige Klaue, sondern die Klaue eines Menschen. Eine … eine Hand.

Sie sah an sich hinab, und ihr wurde bewusst, dass sie nicht geträumt hatte. Ein Mensch. Ihre Mutter hatte sie in einen Menschen verwandelt.

Sie hatte selbst oft menschliche Gestalt angenommen, aber nur, um die Menschen um sich herum zu täuschen … na ja, und um zu sehen, ob ihre menschliche Gestalt auch nur annähernd attraktiv war. Ansonsten hatte sie ihr Leben immer als Drache verbracht und diejenigen, die das nicht taten, nie verstanden. Warum jemand ein Mensch sein wollte, ging über ihren Verstand … Und verdammt noch mal, ihr Verstand war brillant!

Im Bewusstsein, dass sie sich beruhigen musste, holte Rhiannon tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. Als ihr Kopf wieder klar war und das Kreischen nachgelassen hatte, sprach sie den Zauber, der sie zurückverwandeln sollte. Helle Farben der Magie sprühten von ihrem menschlichen Körper … und nichts weiter. Absolut gar nichts.

»Sie hat dir deine Kräfte genommen.«

Rhiannon drehte den Kopf und sah hinüber zu dem schwarzen Drachen, der sie beobachtete.

»Bercelak«, schnaubte sie abfällig. Natürlich, wo sonst hätte ihre Mutter sie fallen lassen sollen als vor die Füße des einzigen Drachen, den Rhiannon nie sehen wollte?

Ich hasse diese Schlampe!

»Rhiannon.«

Knurrend zwang sie ihren menschlichen Körper, sich aufzusetzen. »Du wirst mich … du Nichtswürdiger … bei meinem Titel nennen! Für dich bin ich immer noch Prinzessin Rhiannon!«