Seine Mutter war von königlicher Geburt. Sein Vater … nicht so ganz. Was bedeutete, dass keiner Bercelak irgendetwas geschenkt hatte. Er musste sich alles erarbeiten, was er hatte, und er hatte dabei nur eines im Kopf: kristallblaue Augen, lange, weiße Haare und ein Fauchen, das eine Armee von Dämonen in die Flucht schlagen konnte.
Seit dem Tag, an dem er ihr begegnet war – als ihn diese wunderschönen blauen Augen mit so viel Hass angesehen hatten –, wusste er, dass er sie haben musste.
»Ich will seinen Kopf!«, hatte sie gekreischt. Und eine Minute lang hatte er geglaubt, sie würde ihn bekommen.
Doch dann hatte er gehört: »Ach, lasst ihn in Ruhe. Meine Tochter reagiert über wie immer.«
Ein großer, schöner roter Drache kam auf ihn zu. »Er hat es nicht mit Absicht gemacht, Rhiannon.«
Seine Mutter verneigte sich, aber er starrte die Königin weiter an. Und er wusste, dass es die Königin war. Allein wie sie sich bewegte und ihre Haltung verrieten ihm das. Ehrfurcht erfüllte ihn.
Sie hatte ihren Wachen bedeutet, ihn loszulassen, dann hatte sie gelächelt und dabei ihre Reißzähne gezeigt. »Shalins Sohn.«
Sobald er frei war, verneigte er sich sofort. »Ja, meine Königin. Bercelak der Schwarze, Sohn von Ailean.«
»Ja. Du siehst ihm sehr ähnlich. So gut aussehend.« Eine rote Klaue mit pechschwarzen Krallen liebkoste seinen Kiefer. Er spürte, wie sich seine Mutter neben ihm versteifte, und wusste, dass es mehr ihret- als seinetwegen war. Seit Jahren hörte Bercelak schon, dass die Königin einmal im Bett seines Vaters gewesen war und ihn nie vergessen hatte. Und dass sie ihm nicht vergeben hatte. Denn am nächsten Morgen hatte er die damals noch zukünftige Königin verlassen, um sich mit Bercelaks Mutter und ehemaligen Freundin der Königin, Shalin, zu treffen. Die, wenn man der Geschichte Glauben schenken durfte, eine Axt nach seinem Vater geworfen hatte, als Ailean zu ihr kam.
Bis zu diesem Tag hatte Bercelak keine dieser Geschichten geglaubt. Sein Vater, der von niederer Geburt war, mit einer Drachenprinzessin? Nicht sehr wahrscheinlich, hatte er immer gedacht. Und dennoch … ein Blick auf die Drachendame vor ihm, und er fragte sich, ob all die Geschichten vielleicht doch wahr waren. Denn sie sah ihn mit etwas im Blick an, was er nicht benennen konnte. Vielleicht auch mit etwas, das er nicht benennen wollte. Mit fünfzig Wintern war er viel zu jung für solch tiefsinnige Gedanken …
»Sag mir, Sohn des Ailean, was ist dein Lebenstraum? Zauberer? Krieger? Schwertmacher? Woran denkst du, wenn du nachts wach liegst?«
Er antwortete ehrlich, unfähig, diese dunkelblauen Augen anzulügen. »Von Ruhm und Reichtum. Von Macht.«
»Ich verstehe. Du magst aussehen wie dein Vater, aber dessen Ambitionen waren nie so groß.« Sie warf seiner Mutter einen Blick zu, doch erst Jahre später verstand er, was dieser Blick bedeutete. Dann wandte sie sich ab und ging.
»Du wirst hierbleiben, Sohn des Ailean«, warf die Königin beiläufig über ihre Schulter zurück. »Du wirst dich üben und zu einem meiner Streitdrachen werden. Du wirst diesen Thron schützen und mich und alle anderen, die ich für wert erachte.«
Dann war sie fort. Die Treppe zu ihren Privatgemächern hinaufgegangen.
Ihre Tochter stampfte mit dem Fuß auf und starrte ihn empört an, bevor sie wütend davonmarschierte.
Als die Geschäftigkeit am Hof wieder einsetzte, hörte er seine Mutter vor sich hinmurmeln: »Ich hasse diese Schlampe wirklich von ganzem Herzen!«
Dennoch – seine Mutter ließ ihn dort, als sie nach Hause zurückkehrte. Sie hatte keine Wahl. Danach behandelte ihn die Tochter der Königin wie Schmutz unter ihren Krallen. Und je mehr sie das tat, desto sicherer wusste er, dass er alles tun würde, um sie zu gewinnen. Je gemeiner sie war, desto tödlicher wurde er. Bald war sein Name, Bercelak der Rachsüchtige, überall bekannt, und er hatte die Soldaten in den Krieg gegen die Blitzdrachen geführt … gegen die Unzivilisierten. Unzivilisiert waren sie vielleicht tatsächlich, aber auch würdige Gegner. Der Krieg hatte Jahrzehnte gedauert, aber als der Rauch sich verzogen hatte, stand Königin Addienas Thron sicher, und sie schmückte ihn mit seinem neuen Titeclass="underline" Bercelak der Große. Dagegen war nichts einzuwenden. Er hatte ihn sich verdient und genug Narben zum Beweis dafür.
Jetzt trug er die aufwendige Rüstung des Obersten Feldherrn, des Anführers der Drachenkrieger und Besten Kämpfers der Königin. Er hatte die Aufmerksamkeit aller Frauen, von denen von niedrigster Geburt bis hin zu einigen aus den wichtigsten Königshäusern. Und obwohl er Spaß an dieser Bandbreite fand, wusste er, dass es nur eine gab, die er fürs Leben wollte.
»Ich muss essen. Ich bin am Verhungern!«
Aus seinen Träumereien gerissen, sah er die Prinzessin an und blickte finster.
»Du hast dich angezogen.« Sie trug ein hellblaues Kleid, das sie sich aus seiner Schatzkammer geholt haben musste. Es bedeckte sie von den Schultern bis zu den Füßen. Obwohl die Farbe des Kleides ihre Augen betonte, sah er sie gerne nackt. Andererseits … diese appetitlichen vollen Brüste und den hinreißenden Hintern vor seinen Blicken zu verbergen, war vermutlich das Beste. Zumindest im Moment.
»Diese Haut ist so empfindlich …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie sie das aushalten. So schutzlos zu sein. Tiere im Wald haben wenigstens Reißzähne oder Klauen oder zumindest gute Instinkte. Menschen haben nichts dergleichen!«
Er zuckte die Achseln. »Manche schon. Sie sind unterschiedlich.«
»Du magst sie?« Sie klang nicht hochmütig, nur neugierig.
»Eigentlich nicht. Ich finde sie hinterhältig und schmerzhaft nervtötend. Obwohl sie mit der richtigen Würze sehr lecker sein können.«
Sie nickte zustimmend. »Da hast du recht.«
Natürlich hatte er nur gescherzt.
Mit einem kurzen Kopfschütteln sagte er: »Na so was, Prinzessin, warst du gerade einer Meinung mit mir?«
Verblüfft blinzelte sie. »Äh … nein. Nein, natürlich nicht.« Sie wandte sich von ihm ab und ging zu einem Felsblock hinüber. Sie setzte sich darauf und sah ihn mit hoch erhobenem Kopf an. »Ich bin hungrig. Ich erwarte Essen.«
Er musste mit ihr reden. Sie würde sich sicherlich nicht von einer Veränderung ihrer derzeitigen Umstände lange entmutigen lassen. »Dann setzt du mal besser deinen Hintern in Bewegung. Kartoffeln und Gemüse sind da drüben. Hier ist ein Topf, um sie darin zu kochen, und frisches Wasser. Viel Glück.«
Ihr blieb der Mund offen stehen. »Du … du erwartest, dass ich Essen koche?«
»Ich habe den schweren Teil erledigt. Ich bin zum Bauernhof gegangen, habe den kleinen Bauern erschreckt und ihm seine Kuh weggenommen. Dann habe ich das Fell abgezogen – der Kuh, nicht dem Bauern –, sie auf den Spieß gesteckt, und jetzt überwache ich den Braten. Du kannst also zumindest ein bisschen Gemüse kochen. Wir werden wie Menschen essen. Mit Tellern und Besteck … und einem Tisch.«
»Aber ich kann nicht kochen!«
»Dann lernst du es wohl besser, Prinzessin. Ich will ja nicht, dass du verhungerst.«
Sie hasste ihn. Unhöflicher, arroganter, nichtswürdiger Drache!
War das von jetzt an ihr Leben? Gefangen in diesem menschlichen Körper, gezwungen, für einen wütend dreinblickenden Proleten Essen zu kochen?
Hätte ihre Mutter sie nicht einfach umbringen können? Wäre das nicht netter gewesen?
»Ich sehe nicht, dass sich dieser hübsche Hintern bewegt, Prinzessin.«
Sie starrte ihn wütend an, drauf und dran, ihm zu sagen, er solle sich zur Hölle scheren, als ihr Magen knurrte. Bei den Göttern! Was war das denn für ein Geräusch? Musste sie sterben?