»Na, na«, beschwichtigte Bercelaks Mutter. »Kein Grund, wütend zu werden. Alles wird gut. Das verspreche ich.«
»Dein Sohn ist unzumutbar.«
»Mein Sohn ist verliebt.«
Auf Shalins Worte hin wirbelte Rhiannon herum, doch die Kette, die sich eng um ihre Kehle gewickelt hatte, riss ihr den Kopf zurück.
»Ack!«
Bercelak beobachtete, wie einer seiner jüngeren Brüder ohnmächtig wurde und auf den Boden fiel. Der ganze Wein … er hätte es besser wissen müssen. Der Wein seines Vaters konnte einen Elefanten töten.
Die Hand seines Vaters klatschte auf seinen Rücken. Jeder andere, selbst ein Drache, wäre hingefallen. Doch alle Kinder von Ailean hatten gelernt, sich einen stabilen Rücken und eine gute Balance zuzulegen.
»Keine Sorge, Sohn. Du wirst sie schon noch brechen.«
Bercelak verdrehte die Augen. »Ich will sie nicht brechen. Wenn ich das wollte, hätte ich eine von diesen faden Hofdamen gewählt.«
»Aber du hast sie doch gar nicht gewählt«, fühlte sich sein Bruder Caerwyn bemüßigt zu sagen.
»Ihre Mutter hat sie mir vielleicht vorgeworfen, aber ich hatte Rhiannon schon viel länger erwählt. Alles, was ich getan habe, jede Schlacht, die ich gewonnen habe, jeder Rang, den ich mir verdient habe, war für sie. Um ihrer würdig zu sein.«
»Du bist ihrer würdig.« Sein Vater setzte sich auf einen Stuhl und legte die Beine auf den Tisch. »Du bist mein Sohn.«
»Oh, ja. Das ist natürlich hilfreich.«
Seine Brüder und zwei seiner trinkfesten Schwestern lachten zustimmend, doch sein Vater sah seine Brut verwirrt an.
»Was soll das heißen?«
»Komm schon. Du kannst mir nicht erzählen, dass du das nicht weißt. Dein Name klebt an uns wie der Gestank an einem räudigen Hund!«
»Alle Welt kennt dich, Vater«, schaltete sich eine seiner Schwestern ein. »Und was sie von dir wissen, ist nichts Gutes.«
Sein Vater, sonst immer jovial und lächelnd, sah plötzlich wütend aus. »Du willst also sagen …«
»Dass du peinlich bist? Ja.« Bercelak wollte nicht grausam sein, aber er fragte sich, ob seine Zeit mit Rhiannon nicht ein klein wenig leichter gewesen wäre, wenn sein Vater nicht in den ganzen Dunklen Ebenen als Ailean der Verruchte bekannt gewesen wäre.
»Ich bin immer noch dein Vater, Junge! Also pass auf, wie du mit mir redest! Es ist nicht meine Schuld, wenn du das kleine Miststück nicht unter Kontrolle bekommst. Wenn du mehr wie ich wärst, wäre das vielleicht kein Problem.«
Hätten seine Geschwister ihn nicht festgehalten – Bercelak hätte den alten Drachen in der Luft zerrissen.
»Oh, ich habe zweimal versucht, ihn umzubringen. Einmal hätte ich es auch fast geschafft.« Rhiannon sah zu, wie Bercelaks zierliche Mutter sich mit dem Daumen quer über die Kehle fuhr. »Hab ihm von hier bis hier die Kehle aufgeschlitzt. Aber er hat sich in einen Drachen verwandelt, bevor ich ihm den Rest geben konnte. Seine Schuppen haben ihn davor bewahrt zu verbluten.«
Rhiannon sah zu Ghleanna hinüber, die gelangweilt und unbeeindruckt aussah. »Das ist aber eine hübsche Geschichte, Herrin.«
»Nein, ist es nicht. Aber ich will damit sagen, dass die Männer in dieser Familie sich keine schüchternen und zurückhaltenden Gefährtinnen suchen. Je mehr du gegen meinen Sohn ankämpfst, desto mehr will er dich. Nachdem ich Ailean die Kehle aufgeschlitzt hatte, hat er mich einen Monat später in Besitz genommen.«
»Habt Ihr …« Rhiannon wandte den Kopf unter Shalins festem Blick.
»Habe ich was?«
»Na ja … habt Ihr es je bereut, mit ihm zusammen zu sein?«
Shalin lehnte sich in ihrem Sessel zurück, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. »Nein. Ich habe es nie bereut, mit ihm zusammen zu sein, und ich kann mir nicht einmal ein Leben ohne ihn vorstellen. Allerdings bereue ich, wie schwer sein Ruf unsere Kinder trifft.«
Ghleanna schnaubte und sah dabei zum Fenster hinaus. »Das ist ein wenig untertrieben.« Sie sah Rhiannon an. »Meinen Brüdern hat der Ruf unseres Vaters genützt, den weiblichen Nachkommen aber nicht. Ich habe mehr Drachen halb totgeschlagen als mir lieb ist, weil sie dachten, ich sei eine Art Hure, die sie behandeln können, wie es ihnen gefällt.«
»Und jetzt geht sie gar nicht mehr aus.«
»Ich lasse mich nicht wie Dreck behandeln, Mutter. Ich liebe meinen Vater, von ganzem Herzen sogar, aber es vergeht kein Tag, an dem ich vergessen könnte, dass ich die Tochter von Ailean dem Verruchten bin.«
»Dein Vater hat immer nur das Beste für seine Kinder getan, Ghleanna. Dich eingeschlossen. Unter uns: Du bist eines seiner Lieblingskinder. Es würde ihn schmerzen, wenn er wüsste, dass du so von ihm denkst.«
»Und es schmerzt mich, allein zu sein. Dennoch müssen wir damit leben.«
Wäre sie nicht an Ort und Stelle festgekettet gewesen, hätte Rhiannon Mutter und Tochter allein gelassen, damit sie diese Diskussion unter sich zu Ende führen konnten. Und sei es aus dem einzigen Grund, dass sie ein bisschen eifersüchtig war. Ein großes bisschen eifersüchtig. Ihre Auseinandersetzungen mit ihrer Mutter waren ganz anders. Wenn ihr Vater sie nicht beschützt hätte, hätte Addiena sie vermutlich schon vor langer Zeit getötet. Deshalb schickte sie zu jedem Neumond ein Gebet an die Götter zu Ehren ihres Vaters. Denn er hatte sie mehr als alle anderen geliebt.
Und jetzt wollte Shalin sie glauben machen, dass Bercelak sie liebte. Konnte er das? Konnte das irgendjemand? Es war nicht gerade leicht, mit ihr auszukommen.
Bercelaks Mutter streckte die Hand aus und nahm die Hand ihrer Tochter. »Wir sind für dich da, Liebling. Wenn du mich lässt, kann ich dir helfen«, sagte sie zu Ghleanna.
Ghleanna schüttelte den Kopf und sah aus dem Fenster, doch ihr Griff um die Hand ihrer Mutter wurde fester. Sie wurden aus ihrem stillen Moment gerissen, als die Zimmertür aufflog und Bercelak eintrat.
Rhiannon stand auf, als sie sein Gesicht sah. »Ihr Götter, was ist mit dir passiert?«
»Nichts«, grummelte er, während er durch den Raum stapfte. »Nur eine kleine Diskussion mit meinem Vater.«
»Du hast mir versprochen, dass du dich nicht mehr mit ihm schlägst!«, sagte seine Mutter anklagend und stand auf, damit sie ihren sehr groß gewachsenen Sohn besser ansehen konnte.
»Hab ich auch nicht. Ich habe mit jemand anderem gestritten und er hat beschlossen, es zu beenden.«
Rhiannon hob die Hand und berührte den schwarzblauen Fleck um Bercelaks Auge. Er zuckte zusammen und wandte sich so schnell zu ihr um, dass sie ihre Hand zurückriss und sich von ihm entfernte.
»Ähm … wir gehen dann besser«, sagte Shalin und zog sich hastig zurück. »Komm, Ghleanna.«
Rhiannon hörte Mutter und Tochter gehen, und es kostete sie ihre ganze Überwindung, sie nicht zurückzurufen.
»Rhiannon?«
»Sie ist sehr lieb, deine Mutter.«
»Ich weiß.«
»Sie hat mir Essen und Wein gebracht. Hat dafür gesorgt, dass das Halsband nicht zu eng sitzt.« Ihr Götter, sie faselte.
»Rhiannon …«
»Ghleanna kann richtig mit ihrer Mutter reden. Das muss schön sein.«
»Rhiannon.« Er drehte sie um, damit sie ihn ansah. »Hör auf.«
»Hör auf womit?«
»Mir auszuweichen.«
»Das tue ich gar nicht.« Und doch sah sie ihm nicht in die Augen. Also ehrlich … wie sollte sie bloß ein Königreich regieren?
Bercelaks große Hand fasste sie unters Kinn und hob ihr Gesicht an.
»Was ist los?«
»Nichts.«
»Warum siehst du mich dann so an?«
Schließlich hielt sie es nicht länger aus. Ihre Hand hob sich, und sie fuhr sanft mit den Fingern über sein verletztes Auge. Er starrte sie in argwöhnischer Betroffenheit an, doch sie konnte nicht anders.