Sie dachte, es würde ein paar Momente des Abwartens geben, während die Leute sich entschieden. Doch so war es nicht. Alle zusammen verneigten sie sich vor ihr.
Alle bis auf einen.
Bercelak stand hoch aufgerichtet da und starrte sie an, ohne sich die Mühe zu machen, sein Lächeln zu verbergen. Sie bedeutete ihm, sich hinzuknien und versuchte dabei ihr Bestes, angemessen hochmütig dreinzublicken. Er grinste zurück. Also erlaubte sie sich, ihm die Zunge herauszustrecken, während die Köpfe aller Anwesenden demütig gesenkt waren.
Er lachte laut und lange und erschreckte damit alle anderen – sogar seine Familie – fast zu Tode.
Bercelak ging mit seinem Vater, jetzt in Drachengestalt, hinunter zum Zugang des Berges Devenallt. »Bist du sicher, dass du nicht eine Weile bleiben willst?«
»Nein, Junge. Deine Mutter wartet.« Er grinste. »Und ich lasse sie nicht gern warten – zumindest nicht lange.«
Kopfschüttelnd erwiderte Bercelak das Grinsen seines Vaters. »Die Götter mögen verhüten, dass du eine Frau warten lässt!«
»Nur eine Frau. Genau wie du.« Sein Vater warf einen Blick zurück in die Höhle, wie um sich zu versichern, dass sie wirklich allein waren. »Auch wenn ich nicht zu lange warten würde, Junge. Sie ist immer noch nicht in Besitz genommen, und es gab da drin einige, die sie mit gierigen Augen angesehen haben.«
»Sie ist schön, das überrascht mich also nicht. Aber ich werde sie nicht aufgeben.«
»Daran zweifle ich nicht. Man kann dein Verlangen förmlich sehen, wenn sie in der Nähe ist.«
»Das stimmt. Aber trotzdem will es die Tradition, dass ich bis zum nächsten Vollmond warte.«
»Sei nicht dumm, Junge. Sie ist Königin. Ihr beide schafft Traditionen. Also tu, was du willst, ja?«
Bercelak nickte zustimmend, dann holte er tief Luft und sagte: »Danke, Vater. Für all deine Hilfe heute.«
Sein Vater wedelte die Worte mit einer Klauenbewegung beiseite. »Du bist mein Sohn, Bercelak. Dank ist nicht nötig.«
»Na gut, dann sage ich es so: Ich verabscheue dich nicht mehr.«
Lachend hieb sein Vater seinem Sohn eine Klaue auf den Rücken. Jeder andere wäre mit gebrochenem Rückgrat vom Berg gepurzelt, doch Bercelak blieb aufrecht wie immer. Wenn auch nur, weil er nicht das spöttische Gelächter seines Vaters hören wollte, das ihm nach unten folgte. »Na, das ist ja mal eine gute Nachricht! Zumindest deine Mutter wird sehr glücklich sein.«
»Aber du …«
»Das interessiert mich nicht im Geringsten. Ich will nur, dass meine Kinder stark genug sind, um in diesen Zeiten zu überleben.« Der alte Drache grinste, und Bercelak sah Reihen um Reihen von Reißzähnen, die bei seiner Art immer weiterwuchsen, während sie älter wurden. »Und da du jetzt der Gemahl der Königin bist, würde ich sagen, ich habe meine Sache gut gemacht, oder etwa nicht?«
Bercelak nickte. »Aye. Das hast du.«
»Dann, mein starker Sohn … nimmst du dein tödliches Weib am besten in Besitz, oder du verlierst sie für immer.«
Mit diesen Worten stieg Ailean der Verruchte in die Lüfte und machte sich auf den Rückweg zu Bercelaks Mutter, Shalin – der Bändigerin von Ailean dem Verruchten.
Bercelak drehte sich um und ging zurück in den Thronsaal der Königin. Wenn er an anderen Drachen vorbeikam, grüßten sie ihn, doch keiner forderte ihn heraus. Stattdessen hielten sie den Blick abgewandt. Bis auf ein paar Frauen, die ihr Verlangen offen zeigten. Offensichtlich hatte die Tatsache, dass er Rhiannon noch nicht in Besitz genommen hatte, auch ihr Interesse geweckt.
Viele seiner Brüder und Schwestern warteten in der Halle auf ihn. Sie würden bleiben, bis Rhiannons Herrschaft gesichert war.
Die besten Kämpfer seiner Sippe, einschließlich Ghleanna, waren losgegangen, um Rhiannons Geschwistern die Stirn zu bieten. Sie würden nicht warten, bis diese herkamen.
»Alles in Ordnung?«, fragte er seine verbliebenen Geschwister.
Sie nickten alle, doch Addolgar deutete die vielen Stufen hinauf, die zu dem Raum führten, der jetzt Rhiannons Schlafgemach sein würde … sein Schlafgemach.
»Sie ist raufgegangen. Es ist einiges los, viele Diener sind unterwegs, seit sie raufgegangen ist.«
Bercelak nickte und blickte die lange Treppenflucht hinauf. Seltsam, er fühlte sich plötzlich ein bisschen … nun ja: nervös. Ein Feldherr, der dem Tod viele, viele Male begegnet war, ließ sich nervös machen von einem einzelnen weißen Drachen?
Andererseits … was, wenn sie ihre Meinung geändert hatte? Natürlich waren sie bereits ein Paar, aber sie konnte – theoretisch – mit den Ältesten verhandeln. Der Gedanke, dass sie ihre Meinung geändert haben könnte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er durfte sie jetzt nicht verlieren.
Natürlich gab es nur einen Weg, herauszufinden, was sie dachte. Und das war die direkte Konfrontation mit ihr, so, wie es sein Vater ihn bei jeder Herausforderung gelehrt hatte.
»Machst du dir Sorgen, dass sie es sich anders überlegt haben könnte?«, wollte Addolgar wissen.
»Das ist kein unvernünftiger Gedanke.«
»Aye. Vielleicht. Aber das wirst du nie erfahren, bis du …«
»Ich weiß. Bis ich mich ihr stelle.«
»Das Schlimmste, was sie tun kann, Bruder, ist, dich in Asche zu verwandeln.«
Bercelak sah seinen Bruder an, doch der lächelte nur.
»Blödmann.«
Mit diesem letzten Wort machte sich Bercelak auf den Weg die Treppe hinauf zu seiner Zukunft.
12
Bercelak betrat das Schlafgemach der Königin, nur um es leer vorzufinden. Vollkommen leer. Was ihm seltsam vorkam. Er hatte sich vorgestellt, Addiena besäße zumindest einen Schatz, um darauf zu liegen.
Er persönlich fand es eher unbequem, auf Gold und Juwelen zu liegen.
»Ah, Mylord … die Königin hat die Zimmer getauscht.«
Bercelak wandte sich nach dem Sprecher um, doch er sah niemanden.
»Hier unten, Mylord.«
Er senkte den Blick, und seine Augen weiteten sich überrascht. Das war kein Drache in Menschengestalt, sondern ein Mensch … in gewisser Weise. Eigentlich war es ein Zentaur. Ein weiblicher. Ziemlich hübsch – auch wenn sie nach Pferd roch. Was ihn ein klein wenig hungrig machte.
»Und du bist …?«
»Ich bin die Kammerfrau der Königin, Mylord.«
»Ich habe dich nie vorher gesehen.«
»Ich bleibe oft im Hintergrund … wie du dir vorstellen kannst, Mylord.« Sie warf einen Blick auf ihr Hinterteil, das … nun … ein Pferdehinterteil war. »Es ist so sehr viel sicherer für mich.«
Mit einem wissenden Lächeln nickte Bercelak. »Ich verstehe.«
»Bitte, Mylord. Folge mir. Sie wartet auf dich.«
»Ist sie bewaffnet?«
Der Zentaur legte den Kopf schief. »Wie bitte?«
»Ach, nichts.« Er machte ihr ein Zeichen. »Geh voraus. Ich folge dir.«
Sie tat es, und er bewunderte die Schönheit von Rhiannons Dienerin. Ihr Haar und ihr Fell waren von einem dunklen Braun, doch ihre Augen waren verblüffend blau. Ihr langes Haar bedeckte ihre Brust, deshalb trug sie nichts als ihre Haut und ihr Fell. Es war ihm ein Rätsel, wie er sie nie vorher hatte bemerken können. Doch Zentauren besaßen starke Magie, vielleicht konnte sie sich also vor den scharfen Sinnen der Drachen schützen.
Sie blieb vor einem kleineren, aber immer noch riesigen Zimmer stehen. »Sie ist da drin, Mylord.«
»Danke.«
Mit einem kleinen Lächeln sagte der Zentaur: »Ich werde dafür sorgen, dass euch bis mindestens morgen früh niemand stört.«