»Gemacht«, erwiderten wir und fuhren los. Als wir um die Ecke des Rummelplatzes bogen, zeigte Gottfried aus dem Fenster. Da stand unser Kinderwagen, ein richtiges Kind drin und eine blasse, immer noch verstörte Frau daneben, die ihn untersuchte.
»Gut, was?« meinte Gottfried.
»Bringen Sie ihr noch die Teddybären!« rief Patrice Hollmann. »Die gehören dazu.«
»Einen vielleicht«, sagte Lenz,»einen müssen Sie behalten.«
»Nein, beide.«
»Gut.« Lenz sprang aus dem Wagen, warf die Plüschdinger der Frau in die Arme und raste, ehe sie etwas sagen konnte, davon, als würde er verfolgt. »So«, sagte er aufatmend,»jetzt ist mir vor meinem eigenen Edelmut ganz schlecht geworden. Setzt mich am International ab. Ich muß unbedingt einen Kognak haben.«
Er stieg aus, und ich brachte das Mädchen nach Hause. Es war anders als das letztemal. Sie stand in der Tür, und das Licht der Laterne überflackerte ihr Gesicht. Sie sah herrlich aus. Ich wäre gern mit ihr gegangen. »Gute Nacht«, sagte ich,»schlafen Sie gut.«
»Gute Nacht.«
Ich sah ihr nach, bis die Beleuchtung erlosch. Dann fuhr ich mit dem Cadillac los. Ich fühlte mich merkwürdig. Es war nicht wie sonst, wenn man mal abends auf ein Mädchen verrückt war. Es war viel mehr Zärtlichkeit dabei. Zärtlichkeit und der Wunsch, sich einmal ganz loslassen zu können. Fallen zu lassen, irgendwohin…
Ich fuhr zu Lenz ins International. Es war fast leer. In einer Ecke saß Fritzi mit ihrem Freund, dem Kellner Alois. Sie stritten miteinander. Gottfried saß mit Mimi und Wally auf dem Sofa neben der Theke. Er war reizend mit beiden, auch mit Mimi, dem armen alten Geschöpf.
Die Mädchen gingen bald. Sie mußten ins Geschäft; jetzt war die Hauptzeit. Mimi ächzte und seufzte wegen ihrer Krampfadern. Ich setzte mich neben Gottfried. »Schieß nur los«, sagte ich.
»Wozu, Baby?« erwiderte er zu meinem Erstaunen. »Ist ganz richtig, was du machst.«
Ich war erleichtert, daß er es so einfach nahm. »Hätte ja schon vorher einen Ton reden können«, sagte ich.
Er winkte ab. »Unsinn.«
Ich bestellte mir einen Rum. »Weißt du«, sagte ich dann,»ich habe keine Ahnung, was sie ist und so. Auch nicht, wie sie zu dem Binding steht. Hat er dir damals eigentlich was gesagt?«
Er sah mich an. »Kümmert dich das was?«
»Nein.«
»Wollt' ich auch meinen. Der Mantel steht dir übrigens gut.« Ich errötete.
»Brauchst nicht rot zu werden. Hast ganz recht. Wollte, ich könnte es auch.«
Ich schwieg eine Weile. »Wieso, Gottfried?« fragte ich schließlich.
Er sah mich an. »Weil alles andere Dreck ist, Robby. Weil es heute nichts gibt, was lohnt. Denk daran, was Ferdinand dir gestern erzählt hat. Hat gar nicht unrecht, der alte dicke Leichenpinseler. Na, nun komm, setz dich an den Kasten da und spiel ein paar von den alten Soldatenliedern.«
Ich spielte »Drei Lilien« und den »Argonnerwald«. Es klang geisterhaft in dem leeren Lokal, wenn man daran dachte, wann wir es immer gesungen hatten.
VII
Zwei Tage später kam Köster eilig aus der Bude. »Robby, dein Blumenthal hat telefoniert. Du sollst um elf mit dem Cadillac zu ihm kommen. Er will eine Probefahrt machen.«
Ich schmiß Schraubenzieher und Engländer hin. »Mensch, Otto – wenn das was würde!«
»Was habe ich euch gesagt«, ließ Lenz sich aus der Grube unter dem Ford her vernehmen. »Er kommt wieder, habe ich gesagt. Immer auf Gottfried hören!«
»Halt den Schnabel, die Situation ist ernst«, schrie ich hinunter. »Otto, wieviel kann ich äußerst vom Preis nachlassen?«
»Äußerst zweitausend. Alleräußerst zweitausendzweihundert. Wenn's gar nicht anders geht, zweifünf. Wenn du siehst, daß du einen Wahnsinnigen vor dir hast, zweisechs. Aber sag ihm, daß wir ihn dann in alle Ewigkeit verfluchen werden.«
»Gut.«
Wir putzten den Wagen blitzblank. Ich stieg ein. Köster legte mir die Hand auf die Schulter. »Robby, bedenke, daß du als Soldat andere Sachen mitgemacht hast. Verteidige die Ehre unserer Werkstatt bis aufs Blut. Stirb stehend, die Hand an Blumenthals Brieftasche.«
»Gemacht«, grinste ich.
Lenz kramte eine Medaille aus der Tasche und hielt sie mir vors Gesicht. »Faß mein Amulett an, Robby!«
»Meinetwegen.« Ich faßte zu.
»Abrakadabra, großer Schiwa«, betete Gottfried,»segne diese Memme mit Mut und Stärke! Halt, hier, noch besser, nimm's mit! So, jetzt spuck noch dreimal aus.«
»In Ordnung«, sagte ich, spuckte ihm vor die Füße und fuhr los, vorbei an Jupp, der aufgeregt mit dem Benzinschlauch salutierte.
Unterwegs kaufte ich ein paar Nelken und dekorierte sie künstlerisch in den Kristallvasen des Wagens. Ich spekulierte damit auf Frau Blumenthal.
Leider empfing mich Blumenthal in seinem Büro, nicht in der Wohnung. Ich mußte eine Viertelstunde warten. Liebling, dachte ich, den Trick kenne ich, damit machst du mich nicht mürbe. Ich forschte im Vorzimmer eine hübsche Stenotypistin, die ich mit der Nelke aus meinem Knopfloch bestach, über das Geschäft aus. Trikotagen. Umsatz gut, neun Personen im Büro, ein stiller Sozius, schärfste Konkurrenz Meyer und Sohn, der Meyersohn fuhr roten Zweisitzer Essex – soweit war ich, als Blumenthal mich rufen ließ.
Er schoß sofort mit Kanonen. »Junger Mann«, sagte er,»ich hab' nicht viel Zeit. Neulich der Preis war ein Wunschtraum von Ihnen. Also Hand aufs Herz, was kostet der Wagen?«
»Siebentausend Mark«, erwiderte ich.
Er wandte sich kurz ab. »Dann ist nichts zu machen.«
»Herr Blumenthal«, sagte ich,»sehen Sie sich den Wagen noch einmal an…«
»Nicht nötig«, unterbrach er mich,»ich habe ihn mir ja neulich genau angesehen…«
»Sehen und Sehen ist zweierlei«, erklärte ich. »Sie sollen Details sehen. Die Lackierung erstklassig, von Voll und Ruhrbeck, Selbstkosten 250 Mark – die Bereifung neu, Katalogpreis 600 Mark, macht schon 850. Die Polsterung, feinster Cord…«
Er winkte ab. Ich begann von neuem. Ich forderte ihn auf, das luxuriöse Fahrzeug zu besichtigen, das herrliche Verdeckleder, den verchromten Kühler, die modernen Stoßstangen, sechzig Mark das Paar – wie ein Kind zur Mutter strebte ich zu dem Cadillac zurück und versuchte Blumenthal zu überreden, herunterzukommen. Ich wußte, daß mir, wie Antäus, neue Kräfte auf der Erde wachsen würden. Preise verlieren viel von ihrem abstrakten Schrecken, wenn man was dafür zeigen kann.
Aber Blumenthal wußte ebenso, daß seine Stärke hinter seinem Schreibtisch lag. Er setzte seine Brille ab und ging mich jetzt erst richtig an. Wir kämpften wie ein Tiger mit einer Pythonschlange. Blumenthal war der Python. Ehe ich mich umsehen konnte, hatte er mir schon fünfzehnhundert Mark abgehandelt.
Mir wurde angst und bange. Ich griff in die Tasche und nahm Gottfrieds Amulett fest in die Hand. »Herr Blumenthal«, sagte ich ziemlich erschöpft,»es ist ein Uhr, Sie müssen sicher zum Essen!« Ich wollte um alles in der Welt 'raus aus dieser Bude, in der die Preise wie Schnee zerschmolzen.
»Ich esse erst um zwei«, erklärte Blumenthal ungerührt,»aber wissen Sie was? Wir können jetzt die Probefahrt machen.«
Ich atmete auf.
»Nachher reden wir dann weiter«, fügte er hinzu. Ich atmete wieder ein.
Wir fuhren zu seiner Wohnung. Zu meinem Erstaunen war er im Wagen plötzlich wie ausgewechselt. Gemütlich erzählte er mir den Witz vom Kaiser Franz Josef, den ich längst kannte. Ich versetzte ihm dafür den vom Straßenbahnschaffner; er mir den vom verirrten Sachsen; ich ihm sofort den vom schottischen Liebespaar – erst vor seiner Wohnung wurden wir wieder Seriös. Er bat mich zu warten, er wolle seine Frau holen.
»Mein lieber dicker Cadillac«, sagte ich und klopfte dem Wagen auf den Kühler,»hinter dieser Witzeerzählerei steckt sicher wieder eine neue Teufelei. Aber sei nur ruhig, wir kriegen dich schon unter Dach und Fach. Er kauft dich schon – wenn ein Jude wiederkommt, dann kauft er. Wenn ein Christ wiederkommt, kauft er noch lange nicht. Er macht ein halbes Dutzend Probefahrten, um eine Droschke zu sparen, und dann fällt ihm plötzlich ein, daß er statt dessen eine Kücheneinrichtung braucht. Nein, nein, Juden sind gut, die wissen, was sie wollen. Aber ich schwöre dir, mein guter Dicker: Wenn ich diesem direkten Nachkommen des streitbaren Judas Makkabäus auch nur noch hundert Mark nachlasse, will ich mein ganzes Leben keinen Schnaps mehr trinken.«