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Ich ging zum Vorplatz, wo das Telefon stand, hob den Hörer ab und sagte die Nummer. Während ich auf Antwort wartete, fühlte ich, wie eine weiche Welle, eine leichte Erwartung aus der schwarzen Muschel sich hob. Das Mädchen war da. Als ihre dunkle, etwas rauhe Stimme geisterhaft plötzlich in Frau Zalewskis Vorzimmer zwischen Wildschweinsköpfen, Fettgeruch und Küchengeklirr sprach, leise und etwas langsam, als dächte sie vor jedem Worte nach, verschwand auf einmal meine Unzufriedenheit. Ich hängte wieder an, nachdem ich, anstatt mich nur zu erkundigen, eine Verabredung für übermorgen abgemacht hatte. Plötzlich erschien mir alles nicht mehr so stumpf. Verrückt, dachte ich und schüttelte den Kopf. Dann hob ich noch einmal den Hörer auf und rief Köster an. »Hast du die Karten noch Otto?«

»Ja.«

»Gut. Ich gehe doch mit zum Boxen.«

Nachher wanderten wir noch eine Zeitlang durch die nächtliche Stadt. Die Straßen waren hell und leer. Die Firmenschilder leuchteten. In den Schaufenstern brannte zwecklos das Licht. In einem standen nackte Wachspuppen mit gemalten Köpfen. Sie sahen gespenstisch und pervers aus. Daneben glitzerte Schmuck. Dann kam ein Warenhaus, weiß bestrahlt wie eine Kathedrale. Die Fenster schäumten über von bunter, glänzender Seide. Vor einem Kino hockten blasse, verhungerte Gestalten. Neben ihnen glänzte die Auslage eines Lebensmittelgeschäftes. Zu zinnernen Türmen standen da die Konserven geschichtet, in Watte gebettet lagen mürbe Kalvilläpfel, eine Schnur fetter Gänse baumelte wie Wäsche auf einer Leine, braune runde Brote lagen zwischen harten Dauerwürsten, angeschnitten, zartgelb und rosig schimmerte das Bukett der Lachsschinken und Leberpasteten.

Wir setzten uns auf eine Bank in der Nähe der Anlagen. Es war kühl. Der Mond stand wie eine Bogenlampe über den Häusern. Es war schon weit nach Mitternacht. In der Nähe hatten Arbeiter auf dem Fahrdamm ein Zelt aufgerichtet. Sie arbeiteten an den Straßenbahnschienen. Die Gebläse zischten, und Ströme von Funken sprühten über die ernsthaft gebeugten, dunklen Gestalten. Neben ihnen qualmten Kessel mit Teerasphalt wie Gulaschkanonen.

Wir hingen unseren Gedanken nach.

»Komisch, so ein Sonntag, Otto, was?«

Köster nickte.

»Man ist eigentlich ganz froh, wenn er 'rum ist.«

Köster zuckte die Achseln. »Vielleicht ist man den Trott so gewohnt, daß einen das bißchen Freiheit schon stört.«

Ich schlug meinen Kragen hoch. »Spricht eigentlich etwas gegen unser Leben, Otto?«

Er sah mich an und lächelte. »Hat schon ganz was anderes dagegen gesprochen, Robby.«

»Stimmt«, gab ich zu. »Immerhin…«

Das scharfe Licht der Preßluftbohrer spritzte grün über den Asphalt.

Das von innen erleuchtete Zelt der Arbeiter sah wie eine warme kleine Heimat aus.

»Glaubst du, daß der Cadillac Dienstag schon fertig ist?« fragte ich.

»Vielleicht«, sagte Köster. »Warum?«

»Ach, nur so -«

Wir standen auf und gingen nach Hause. »Bin ein bißchen verdreht heute, Otto«, sagte ich. »Ist jeder mal. Schlaf gut, Robby.«»Du auch, Otto.« In meinem Zimmer saß ich noch eine Weile auf. Die Bude gefiel mir auf einmal gar nicht mehr. Der Kronleuchter war scheußlich, das Licht viel zu grell, die Sessel waren verschlissen, das Linoleum trostlos nüchtern, der Waschtisch, das Bett mit dem Gemälde von der Schlacht bei Waterloo darüber – kann man eigentlich keinen anständigen Menschen 'reinführen, dachte ich. Eine Frau schon gar nicht. Höchstens eine Hure aus dem International.

III

Am Dienstag vormittag saßen wir vor unserer Werkstatt im Hof und frühstückten, Der Cadillac war fertig. Lenz hielt ein Blatt Papier in der Hand und schaute uns triumphierend an. Er war unser Reklamechef und hatte Köster und mir gerade ein Inserat vorgelesen, das er für den Verkauf des Wagens verfaßt hatte. Es begann mit den Worten:»Urlaub an südlichen Gestaden im Luxusgefährt« und war ein Mittelding zwischen einem Gedicht und einer Hymne.

Köster und ich schwiegen eine Weile. Wir mußten uns von dieser Sturzflut an blumiger Phantasie erst erholen. Lenz hielt uns für überwältigt. »Das Ding hat Poesie und Schmiß, was?« fragte er stolz. »Im Zeitalter der Sachlichkeit muß man romantisch sein, das ist der Trick. Gegensätze ziehen an.«

»Nicht, wenn es sich um Geld handelt«, erwiderte ich.

»Automobile kauft man nicht, um Geld anzulegen, Knabe«, erklärte Gottfried abweisend. »Man kauft sie, um Geld auszugeben; und da beginnt bereits die Romantik, wenigstens für den Geschäftsmann. Für die meisten Leute hört sie sogar damit auf. Was meinst du, Otto?«

»Weißt du…«, begann Köster vorsichtig.

»Wozu lange reden«, unterbrach ich ihn. »Das ist ein Inserat für einen Kurort oder eine Schönheitscreme, aber nicht für ein Automobil.«

Lenz öffnete den Mund.

»Augenblick«, fuhr ich fort. »Uns hältst du ja doch für befangen, Gottfried. Ich mache dir deshalb einen Vorschlag: Fragen wir mal Jupp. Das ist die Stimme des Volkes!«

Jupp war unser einziger Angestellter, ein Junge von fünfzehn Jahren, der eine Art Lehrlingsstelle bei uns hatte. Er bediente die Benzinpumpe, besorgte das Frühstück und räumte abends auf. Er war klein, übersät mit Sommersprossen und hatte die größten abstehenden Ohren, die ich kannte. Köster erklärte, wenn Jupp aus einem Flugzeug fiele, könnte ihm nichts geschehen. Er käme durch die Ohren in sanftem Gleitflug zur Erde.

Wir holten ihn heran. Lenz las ihm das Inserat vor. »Würdest du dich für so 'nen Wagen interessieren, Jupp?« fragte Köster.

»Einen Wagen?« fragte Jupp zurück.

Ich lachte. »Natürlich einen Wagen«, knurrte Gottfried. »Meinst du ein Heupferd?«

»Hat er Schnellgang, von oben gesteuerte Nockenwelle und hydraulische Bremsen?« erkundigte Jupp sich ungerührt.

»Schafskopf, es ist doch unser Cadillac«, fauchte Lenz.

»Nicht möglich«, erwiderte Jupp und grinste von einem Ohr zum andern.

»Da hast du's, Gottfried!« sagte Köster. »Das ist die Romantik von heute.«

»Scher dich wieder an deine Pumpe, Jupp, verfluchter Sohn des zwanzigsten Jahrhunderts!«

Lenz verschwand mißmutig in der Bude, um dem Inserat bei aller Wahrung seines poetischen Schwunges doch etwas mehr technischen Halt zu geben.

Ein paar Minuten später erschien Oberinspektor Barsig plötzlich in der Hoftür. Wir empfingen ihn mit großen Ehren. Er war Ingenieur und Sachverständiger der Phönix-Autoversicherung, ein wichtiger Mann, um Reparaturen zugewiesen zu bekommen. Wir standen glänzend mit ihm. Als Ingenieur war er zwar ein scharfer Satan, der nichts durchgehen ließ, aber als Schmetterlingsfachmann war er weich wie Butter. Er hatte eine große Sammlung, und wir hatten ihm einmal einen dicken Schwärmer geschenkt, der nachts in unsere Werkstatt geflogen war. Barsig war blaß und feierlich geworden, als wir ihm das Tier überreichten. Es war ein Totenkopf, eine unerhörte Seltenheit, die ihm in seiner Sammlung noch gefehlt hatte. Er vergaß uns das nie und besorgte uns seitdem Reparaturen, wo es ging. Wir fingen ihm dafür jede Motte, die wir erwischen konnten.

»Einen Wermut, Herr Barsig?« fragte Lenz, der schon wieder obenauf war.

»Keinen Alkohol vor abends«, erwiderte Barsig. »Eisernes Prinzip bei mir.«

»Prinzipien muß man durchbrechen, sonst machen sie keine Freude«, erklärte Gottfried und schenkte ein. »Auf die Zukunft der Ligusterschwärmer, der Pfauenaugen und Perlmutterfalter!«

Barsig zögerte einen Moment. »Wenn Sie mir so kommen, kann ich nicht nein sagen«, sagte er und griff zu. »Aber dann wollen wir auch auf die kleinen Ochsenaugen anstoßen.« Er lächelte verlegen, als gäbe er etwas Zweideutiges von einer Frau zum besten. »Ich habe da nämlich eine neue Spielart entdeckt. Mit borstigen Fühlern.«