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Wir tranken alle noch ein Glas auf die borstigen Fühler.

Barsig wischte sich den Schnurrbart.»Ich bringe Ihnen eine gute Nachricht. Sie können den Ford abholen. Die Direktion hat bewilligt, daß Sie die Reparatur machen.«

»Großartig«, sagte Köster.»Wir können sie gut brauchen. Und wie steht es mit unserm Kostenanschlag?«

»Auch bewilligt.«

»Ohne Abzug?«

Barsig kniff ein Auge zu.»Die Herren wollten erst nicht recht. Aber schließlich…«

»Ein volles Glas auf die Phönixversicherung!«sagte Lenz und schenkte erneut ein.

Barsig stand auf und verabschiedete sich.»Denken Sie an«, sagte er im Gehen,»die Frau, die mit in dem Ford war, ist vor ein paar Tagen doch noch gestorben. Hatte nur Schnittwunden. Wahrscheinlich zuviel Blut verloren.«

»Wie alt war sie denn?«fragte Köster.

»Vierunddreißig«, erwiderte Barsig.»Schwanger im vierten Monat. Mit zwanzigtausend Mark versichert.«

Wir fuhren gleich los, um den Wagen zu holen. Er stand bei einem Bäckermeister. Der Mann war nachts halb betrunken damit gegen eine Mauer gerast. Nur seine Frau war verletzt worden; er selbst hatte nicht einen Kratzer abbekommen.

Wir trafen ihn in der Garage, als wir den Wagen zum Abschleppen fertigmachten. Er sah uns eine Zeitlang schweigend zu und stand etwas zusammengesackt da, mit rundem Rücken und kurzem Hals, den Kopf ein wenig vorgebeugt. Mit der ungesunden grauweißen Gesichtsfarbe, die alle Bäcker haben, sah er im Halbdunkel aus wie ein großer trauriger Mehlwurm. Langsam kann er heran.»Wann ist der Wagen fertig?«fragte er.

»In ungefähr drei Wochen«, erklärte Köster.

Er zeigte auf das Verdeck.»Das ist mit drin, nicht wahr?«

»Wieso?«fragte Otto.»Es ist doch ganz unbeschädigt.«

Der Bäckermeister machte eine ungeduldige Bewegung.»Natürlich. Aber ein neues Verdeck kann doch dabei abfallen. Ist ja ein ziemlich großer Auftrag für Sie. Wir verstehen uns, was?«

»Nein«, sagte Köster.

Er verstand ihn sehr gut. Der Mann wollte kostenlos ein neues Verdeck, für das die Versicherung nicht haftbar war, in die Reparatur hineinschmuggeln. Wir stritten uns eine Weile herum. Der Mann drohte, alles rückgängig zu machen und einen Kostenanschlag von einer gefälligeren Werkstatt einholen zu lassen. Schließlich gab Köster nach. Er hätte es nicht getan, wenn wir nicht Arbeit gebraucht hätten.»Na also, warum denn nicht gleich«, meinte der Bäckermeister mit schiefem Lächeln.»Ich komme in den nächsten Tagen, den Stoff aussuchen. Beige, denke ich. Zarte Farben.«

Wir fuhren los. Draußen zeigte Lenz auf die Sitze des Fords. Sie hatten große schwarze Flecken.»Das Blut seiner toten Frau. Und ein neues Verdeck herausgeschunden. Beige. Zarte Farben. Alle Achtung. Dem trau' ich auch zu, daß er die Versicherungssumme für zwei Tote 'rausholt. Die Frau war ja schwanger.«

Köster zuckte die Achseln.»Er sagt sich wahrscheinlich, daß das eine mit dem andern nichts zu tun hat.«

»Möglich«, sagte Lenz.»Es soll ja Leute geben, für die so was direkt ein Trost im Unglück ist. Uns kostet es glatt fünfzig Mark von unserm Verdienst.«

Nachmittags ging ich unter einem Vorwand nach Hause. Ich war um fünf Uhr mit Patrice Hollmann verabredet, aber ich sagte in der Werkstatt nichts davon. Nicht, daß ich es verbergen wollte; aber es kam mir auf einmal ziemlich unwahrscheinlich vor.

Sie hatte mir ein Café als Treffpunkt angegeben. Ich kannte es nicht; ich wußte nur, daß es ein kleines, elegantes Lokal war. Ahnungslos ging ich hin. Aber ich prallte erschrocken zurück, als ich eintrat. Der Raum war überfüllt mit schwätzenden Frauen. Ich war in eine typische Damenkonditorei geraten.

Mit Mühe gelang es mir, einen Tisch, der gerade frei wurde, zu ergattern. Unbehaglich blickte ich umher. Außer mir waren nur noch zwei Männer da, und die gefielen mir nicht.

»Kaffee, Tee, Schokolade?«fragte der Kellner und wedelte mit seiner Serviette eine Anzahl Kuchenkrümel von der Tischplatte auf meinen Anzug.

»Einen großen Kognak«, erwiderte ich.

Er brachte ihn. Aber er brachte gleichzeitig ein Kaffeekränzchen mit, das Platz suchte, an der Spitze eine Athletin reiferen Alters mit einem Pleureusenhut.»Vier Plätze, bitte!«sagte er und zeigte auf meinen Tisch.

»Halt«, antwortete ich,»der Tisch ist nicht frei. Ich erwarte jemand.«

»Das geht nicht, mein Herr!«sagte der Kellner.»Um diese Zeit können keine Plätze reserviert werden.«

Ich sah ihn an. Dann sah ich die Athletin an, die jetzt dicht am Tisch stand und eine Sessellehne umklammerte. Ich sah ihr Gesicht und verzichtete auf jeden Widerstand. Selbst mit Kanonen hätte man diese Person nicht wankend gemacht in ihrem Entschluß, den Tisch zu erobern.

»Können Sie mir wenigstens noch einen Kognak bringen?«knurrte ich den Kellner an.

»Sehr wohl, mein Herr. Wieder einen großen?«

»Ja.«

»Bitte sehr.«Er verbeugte sich.»Es ist doch ein Tisch für sechs Personen, mein Herr«, sagte er entschuldigend.

»Schon recht. Bringen Sie nur den Kognak.«

Die Athletin schien auch einem Abstinentenklub anzugehören. Sie starrte auf meinen Schnaps, als wäre er ein verfaulter Fisch. Um sie zu ärgern, bestellte ich noch einen und starrte zurück. Das ganze Unternehmen erschien mir plötzlich lächerlich. Was wollte ich hier? Und was wollte ich von dem Mädchen? Ich wußte nicht einmal, ob ich sie in all dem Durcheinander und Geschwätz überhaupt wiedererkennen würde. Ärgerlich schüttete ich meinen Kognak hinunter. -»Salute!«sagte jemand hinter mir.

Ich fuhr auf. Da stand sie und lachte.»Sie fangen ja recht zeitig an!«Ich stellte das Glas, das ich immer noch in der Hand hielt, auf den Tisch. Ich war plötzlich verwirrt. Das Mädchen sah ganz anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Zwischen den vielen Kuchen essenden, wohlgenährten Weibern wirkte es wie eine schmale, junge Amazone, kühl, strahlend, sicher und unangreifbar. – Das wird nie etwas mit uns, dachte ich und sagte:»Wo sind Sie denn nur so geisterhaft hergekommen? Ich habe doch die ganze Zeit die Tür beobachtet.«

Sie zeigte nach rechts hinüber.»Dort drüben ist noch ein Eingang. Aber ich habe mich verspätet. Warten Sie schon lange?«

»Gar nicht. Höchstens zwei, drei Minuten. Ich bin auch erst eben gekommen.«

Das Kaffeekränzchen an meinem Tisch wurde still. Ich spürte die abschätzenden Blicke von vier soliden Müttern im Nacken.»Wollen wir hier bleiben?«fragte ich.

Das Mädchen streifte mit einem raschen Blick den Tisch. Ihr Mund zuckte. Sie sah mich belustigt an.»Ich fürchte, Cafés sind überall gleich.«

Ich schüttelte den Kopf.»Wenn sie leer sind, sind sie besser. Dies hier ist ein Teufelslokal, in dem man Minderwertigkeitskomplexe bekommt. Wir könnten am besten in eine Bar gehen.«

»In eine Bar? Gibt es denn Bars, die am hellen Tage offen sind?«

»Ich weiß eine«, sagte ich.»Sie ist allerdings sehr ruhig. Wenn Sie das mögen…«

»Manchmal schon…«

Ich blickte auf. Ich konnte im Augenblick nicht feststellen, wie sie das meinte. Ich hatte nichts gegen Ironie, wenn sie nicht gegen mich ging; aber ich hatte ein schlechtes Gewissen.

»Also gehen wir«, sagte sie.

Ich winkte dem Kellner.»Drei große Kognaks«, brüllte der Unglücksvogel mit einer Stimme, als wollte er einem Gast im Grabe die Rechnung machen.»Drei Mark dreißig!«

Das Mädchen drehte sich um.»Drei Kognaks in drei Minuten? Ganz schönes Tempo!«

»Es sind noch zwei von gestern dabei.«

»So ein Lügner«, zischte die Athletin am Tisch hinter mir. Sie hatte lange geschwiegen.

Ich wandte mich um und verbeugte mich.»Ein gesegnetes Weihnachtsfest, meine Damen!«Dann ging ich rasch.

»Haben Sie Streit gehabt?«fragte mich das Mädchen draußen.

»Nichts Besonderes. Ich habe nur eine ungünstige Wirkung auf Hausfrauen in gesicherten Verhältnissen.«

»Ich auch«, erwiderte sie.

Ich sah sie an. Sie erschien mir wie aus einer andern Welt. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sie war und wie sie lebte.

Die Bar war sicherer Boden für mich. Fred, der Mixer, stand hinter der Theke und polierte gerade die großen Schwenkgläser für Kognak, als wir hereinkamen. Er begrüßte mich, als sähe er mich zum erstenmal und hätte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen müssen. Er hatte eine gute Schule und eine riesige Erfahrung hinter sich.