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Einleitung

Wenn man den Lesern einen Schriftsteller förmlich vorstellt, so wollen sie allemal ganz genau wissen, wen sie vor sich haben; namentlich wenn's ein Ausländer ist. Da wäre denn zunächst zu verzeichnen, daß Jerome Klapka Jerome am 2. Mai 1859 in Walsall geboren ist, einer richtigen englischen Fabrikstadt, und zwar in einem Pfarrhause. Das ist schon sehr absonderlich für einen Humoristen. Rauchende Fabrikschlote und Frömmigkeit von Berufs wegen sind eigentlich nicht die Umgebung, die der Entwicklung von Humor förderlich sind. Ohne Zweifel hat der junge Jerome weder für das eine noch für das andere viel Neigung verspürt. Denn er begann beizeiten seinen Beruf zu verfehlen. Kaum aus der Schule heraus, war er Angestellter in einem Geschäft. Darauf versuchte er sich als Schulmeister. Danach wurde er Schauspieler und Journalist, um dann endlich den Sprung zur Literatur zu wagen. Mit 27 Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch, das nicht viel Beachtung fand. Das ging noch einigen andern Büchern so. Erst sein Buch: »On the stage and off« (Auf der Bühne und außerhalb) aus dem Jahre 1888, worin er seine Bühnenerfahrungen verwertete, trug ihm einigen Erfolg ein. Ihm folgte im Jahre darauf mit steigendem Erfolg ›Idle thoughts of an idle fellow‹ (Müßige Gedanken eines müßigen Menschen) und im Jahre 1889 ›Three men in a boat‹, das der erste ›Schlager‹ war; um ein Lieblingswort aus dem Bühnen-Deutsch zu gebrauchen. In den neunziger Jahren entfaltete er zugleich eine außerordentlich rege Redaktionstätigkeit an den bekannten Blättern ›The Idler‹ und ›To-day‹. Nach dem großen Erfolge von ›Three men in a boat‹ sprudelte sein literarischer Quell mit erstaunlicher Ergiebigkeit. Buch auf Buch folgte, ohne daß eins davon den Erfolg des vorliegenden Buches zu erreichen vermochte. Viel gelesen wurde noch eine Art Seitenstück zu ›Three men in a boat‹, das den Titel führt ›Three men on a bummel‹. Jerome schildert hierin eine lustige Fahrt durch Deutschland und hat dafür das deutsche Wort ›Bummel‹ in die englische Sprache aufgenommen, um die sorglos-gemütlich genießende Art des Reisens zu kennzeichnen.

In den letzten Jahren hat sich Jerome auch der Bühne zugewandt. Auch hier ist ihm ein großer Erfolg beschieden gewesen und zwar, seltsam genug, mit einem ernsten Stück, das den Titel ›The passing of the third floor back‹ führt; entstanden ist es im Jahre 1907. Es schildert die Wandlung und Besserung einer Anzahl von moralisch wertlosen Menschen, die ein Pensionat im dritten Stockwerk eines Hauses nach hinten heraus bewohnen. Ihre geistige Wandlung vollzieht sich durch den Einfluß eines fremden Gastes von hoher sittlicher Kraft, der zuletzt Christuszüge erhält und als Christus aufgefaßt werden kann.

Die meisten Leute sind sehr erstaunt, wenn ein Humorist auch mal ein ernstes Gesicht macht. Allzu viele verbinden mit dem Begriff Humorist gern den Begriff Clown oder Spaßmacher um jeden Preis. Aber sie vergessen, daß der echte Humor doch schließlich aus dem Gemüt wächst und daß man als das Merkmal des echten Humoristen die Gabe betrachtet, unter Tränen lachen zu können. Ich erinnere daran, welche feinen, weichen und erschütternden Herzenstöne einem Reuter und einem Dickens zu Gebote standen – zwei so echte und große Humoristen, wie sie die Welt je gesehen hat. Es scheint sogar, daß der Humorist ein geradezu unwiderstehliches Verlangen hat, gelegentlich ganz ernsthaft zu sein, wie wenn er zeitweilig seiner selbst überdrüssig wäre. Immer ernsthaft zu sein ist jedenfalls leichter als immer scherzhaft zu sein. Der immer Ernsthafte mag manchmal langweilig wirken, der immer Scherzhafte wird aber sicher oft unausstehlich werden. Das hat wohl auch Jerome gefühlt. Er hat ernsthafte Geschichten geschrieben, die mit zu dem Allerbesten in ihrer Gattung gehören, die aber nur von den Kennern geschätzt werden. Die große Masse geht an ihnen vorüber, weil Jerome nun einmal als Humorist abgestempelt ist. Das ist die Tragik des Humoristen. In diesen Schöpfungen gehören die Geschichte von »Paul Kelver« sowie die drei Geschichten »John Ingerfield«, »The Woman of the Saeter« und »Silhouettes« in dem Buche »John Ingerfield and other stories«. Jerome selber hat diese Tragik des Humoristen oft genug zu kosten bekommen und macht daher den Leser in einem Vorwort zu einem Neudruck des letztgenannten Buches eigens darauf aufmerksam, daß die drei erwähnten Geschichten nicht humoristisch seien. Er erzählt dabei, wie er einmal eine ernste Geschichte von einer Frau geschrieben habe, die von einer Riesenschlange zermalmt wurde. Am Tage nach der Veröffentlichung traf er einen Freund, der zu ihm sagte: »Reizende kleine Geschichte – die von der Frau und der Riesenschlange; aber sie ist nicht so komisch wie Ihre andern Geschichten!« So geht's einem Schriftsteller, der in dem Geruch steht, humoristisch zu sein. Mark Twain wollte einmal in einer Mädchenschule ein ernstes Gedicht vorlesen, mußte aber damit aufhören, weil die Mädchen nicht aus dem Lachen herauskamen. Und gerade bei den unschuldigen Kindern hatte er geglaubt auf Verständnis rechnen zu können. Ich selbst erinnere mich einer Beerdigung, wo die Leidtragenden in die peinlichste Verlegenheit gerieten, weil ein bekannter Humorist eine Grabrede hielt, die bei ihm wie das Gegenteil wirkte.

Wenn einer den Namen Jerome ausspricht, so wird er sicherlich sofort zu hören bekommen: »Ach – der Verfasser von ›Drei Mann in einem Boot‹! Kenne ich! Ganz famos!« Und wirklich – dieses Buch ist es, das Jeromes Namen zu einem Weltnamen gemacht hat. Es gehört zu den meistgelesenen Büchern der Weltliteratur. Auf den ersten Blick erscheint das nicht leicht verständlich. Ein an sich harmloseres – oder ich will sagen unschuldigeres – Buch ist nie geschrieben worden. Was ist sein Inhalt? Ja, das eben ist die größte Schwierigkeit: der Inhalt! Genau genommen hat es gar keinen. Jerome selber sowie seine Freunde George und Harris fassen eines Tages den Entschluß, ein Boot zu mieten und mit dem Hund, der auf den lachhaft pompösen Namen Montmorency hört, einen vierzehntägigen Ausflug die Themse hinauf zu machen, weil sie eine Erholung bitter nötig hatten. Sie führen den Entschluß aus und kehren nach einiger Zeit wieder nach London zurück. Das ist der ganze Inhalt! Ist etwas Dürftigeres denkbar? Aber nach dem Inhalt darf man nicht fragen. Nicht das Was, sondern das Wie ist hier die Hauptsache. Der Reiz des Buches liegt in den drolligen Abenteuern, die die drei während ihrer Fahrt erleben, und in dem Humor, mit dem diese Abenteuer geschildert werden. Man wird gelegentlich etwas an den seligen Stinde und seine Familie Buchholz erinnert oder an die Humoresken von Busch; manchmal wieder leuchtet Dickensscher oder Reuterscher Humor auf – von jener Art, die in einem leisen schalkhaften Lächeln um die Mundwinkel herum oder in einem spitzbübischen Augenzwinkern so viel auszudrücken weiß. Doch das muß jeder selber lesen. Zwischendurch ziehen sich zahllose heitere Anekdoten, von denen Jerome ein unendliches Lager besitzt. Auch Mark Twain war bekanntlich ein glänzender Anekdoten-Erzähler. Aber Jerome will zugleich belehren. Daher versäumt er nicht, wo immer sie in ihrem Boot an historischen Stätten vorüberkommen, Vorgänge von Wichtigkeit aus der englischen Geschichte in Erinnerung zu bringen – freilich immer in seiner besonderen drolligen Weise, nicht lehrhaft trocken. So ergibt sich alles in allem ein Buch von ganz eigenem Charakter: ein liebliches Sommeridyll, farbig und fesselnd und von echt englischem gemütlichen Humor verklärt.

Von Humoristen heißt es gewöhnlich, sie seien auch persönlich die angenehmsten Leute – was ernstere Schriftsteller nicht immer sind; manche von diesen nehmen sich allzu ernst. Auf Jerome trifft diese Ansicht sicherlich zu. Jeder, der ihn einmal persönlich kennen gelernt hat, schildert ihn als einen »famosen Kerl« – oder wie der Engländer sagt: »a jolly good fellow«. Er wohnt in einem romantischen alten Haus in Wallingford an der Themse, mit Frau und zwei Töchtern; eine davon ist adoptiert. Es ist das denkbar glücklichste Familienleben, von jener ungezwungenen herzlichen Natürlichkeit des Verkehrs, wie sie so oft in guten amerikanischen Familien zu finden ist. Und diese Gastlichkeit! Im Sommer zumal sind oft ein halb Dutzend Kameraden von der Feder bei ihm zu Gast und essen, trinken und dichten in seinem Hause, wie wenn es ihr eigenes wäre. Immer ist er der liebenswürdigste Mensch, dessen Augen in einem sonnigen Lächeln erstrahlen, wenn man mit ihm spricht. Seine ganze Persönlichkeit ist Gesundheit – außen und innen; außen kenntlich durch die frische Farbe des wohlwollenden, glatten Schauspielergesichts, innen durch die Fröhlichkeit und Natürlichkeit seiner Lebensanschauungen. Jerome, der Mensch, und Jerome, der Schriftsteller, sind ein harmonisches Ganzes: ein Optimist, ein heiterer Lebensbejaher ohne Schminke, ohne Pose.