Die übrigen vier Mitreisenden blieben noch eine Weile sitzen, bis ein feierlich aussehender Herr – nach seinem Anzug und seinem Gebaren war er Totengräber – den Ausspruch tat, der Geruch hier erinnere ihn an Kindesleichen! Da rissen nun die drei anderen Passagiere mit solchem Ungestüm aus, daß sie sich gegenseitig ernstliche Verletzungen beibrachten. Jetzt wandte ich mich lächelnd an den schwarzen Herrn mit dem Bemerken, es scheine mir, als sollten wir das Kupee allein für uns haben; er lachte geschmeichelt und meinte, es sei sonderbar, wie doch manche Leute aus einer Kleinigkeit gleich eine Geschichte machen könnten. Aber auch dieser mein letzter Mitreisender wurde nach einer Weile sonderbar schwermütig gestimmt, so daß ich, als wir die Station Crewe erreicht hatten, ihn fragte, ob er nicht mit mir kommen und etwas zu sich nehmen wolle? Er nahm das an, wir erzwangen uns den Durchgang zum Büfett, wo wir lärmten und stampften und mit dem Regenschirm winkten, bis endlich nach einer Viertelstunde eine junge Dame kam und fragte, ob wir etwas wünschten. »Was nehmen Sie?« fragte ich meinen Reisegefährten. »Für 2,50 Mark Brandy, aber guten, Fräulein!« antwortete er, trank ihn, ging fort und setzte sich in ein anderes Kupee. Das kam mir denn doch gemein vor. Von Crewe an war ich Alleinbesitzer des Kupees, obschon der Zug ganz vollgepfropft war. An den verschiedenen Stationen war das Publikum, das mein Kupee beinahe leer sah, stets bereit, darauf loszustürzen. »Komm hierher, Maria, da ist noch Platz übrig.« – »Ja, ja, Thomas, da wollen wir hinein,« riefen sie dann wohl aus, rannten herzu mit ihren schweren Gepäckstücken und kämpften an der Wagentür um den Vortritt, bis jemand sie öffnete und einstieg, aber auch sofort in die Arme seiner Hintermänner fiel; und so kamen sie alle nacheinander und nahmen eine Nase voll; dann rafften sie eiligst ihre Siebensachen auf und drängten sich in andere Waggons, oder bezahlten die Differenz für die erste Klasse nach.
Von der Euston-Station brachte ich die Käse in meines Freundes Haus. Als dessen Frau in das Zimmer trat, witterte sie einen Augenblick nach der Ursache des Geruchs; dann sagte sie:
»Was ist geschehen? Sagen Sie mir das Schlimmste! Nur schnell.«
Ich erwiderte ihr: »Es ist Käse! Tom, Ihr Gatte, kaufte ihn in Liverpool und ersuchte mich, ihn nach Hause zu bringen.«
Und ich fügte hinzu, sie werde gewiß einsehen, daß ich unschuldig daran sei; worauf sie mir die beruhigende Versicherung gab, sie glaube das gerne, aber sie werde mit Tom darüber sprechen, wenn er heimkomme.
Aber mein Freund wurde wider Erwarten lange in Liverpool aufgehalten; und drei Tage später, da er noch immer nicht zurück war, kam seine Frau zu mir und fragte: »Was sagte denn Tom betreffs dieser Käse?« Ich erwiderte ihr, daß er befohlen habe, man solle sie an einen etwas feuchten Ort bringen, aber sonst nicht daran rühren. »O! es wird nicht leicht jemand daran rühren,« erwiderte sie; »hat Tom daran gerochen?« »Ich denke wohl,« sagte ich, »er schien sehr dafür eingenommen.«
»Glauben Sie,« fragte sie mich nun, »daß er sehr aufgebracht sein würde, wenn ich einem armen Teufel einen Sovereign gäbe, damit er sie fortschaffe und begrabe?«
Ich entgegnete ihr, da würde sie wohl nie wieder ein Lächeln von ihm zu sehen bekommen. Da schoß ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. »Würde es Ihnen etwas ausmachen,« fragte sie, »sie für Tom aufzubewahren? Lassen Sie mich sie Ihnen zusenden!«
»Madame,« antwortete ich, »was mich selbst anbetrifft, so mache ich mir nichts aus dem Käsegeruch, und meiner Reise mit den Käsen von Liverpool hierher werde ich mich zeitlebens mit Vergnügen erinnern, wie an das würdige Finale eines schönen Theaterstücks. Aber in dieser Welt müssen wir immer und überall auf andere Rücksicht nehmen. Die Dame, unter deren Dach ich zu wohnen die Ehre habe, ist eine Witfrau und, wie ich glaube, noch überdies eine Waise. Sie hat einen starken, ich kann sagen, beredten Widerwillen gegen alles, was sie eine Zumutung nennt. Die Gegenwart der Käse Ihres Herrn Gemahls würde ihr, das fühle ich instinktiv, als eine nicht geringe Zumutung erscheinen; und man soll niemals von mir sagen können, daß ich die Witwen und Waisen bedränge.« »Nun gut,« sagte meines Freundes Frau, indem sie sich erhob, »alles, was ich jetzt noch zu sagen habe, ist dies: Ich nehme die Kinder und ziehe mit ihnen in ein Hotel, bis diese Käse gegessen sind. Ich erkläre feierlich, daß ich nicht länger mit diesen Käsen unter einem Dache leben will.«
Sie hielt Wort und überließ die Aufsicht über ihr Haus der Reinmachefrau, die auf die Frage, ob sie den Geruch ertragen könne, antwortete: »Was für einen Geruch?« Und als sie dicht zu den Käsen geführt wurde, um daran zu riechen, meinte sie, sie rieche etwas wie Melonen. Man schloß daraus, daß der Käsegeruch dieser Frau keinen großen Schaden bringen könne. Die Hotelrechnung kam auf 315 Mark zu stehen; somit fand mein Freund, als er alles zusammenrechnete, daß die Käse ihm ca. 8,50 Mark das Pfund gekostet hatten. Er sagte, er esse zu gern zuweilen ein Stückchen Käse, aber das gehe über seine Mittel; so entschloß er sich denn, sich der Käse zu entledigen. Er warf sie in den Kanal, mußte sie aber wieder herausfischen lassen, da die Leute in den Kohlenschleppern sich beklagten. Sie sagten, sie würden halb ohnmächtig von dem Geruch. Hierauf brachte er sie in einer dunklen Nacht auf den Kirchhof. Aber der Leichenschauer entdeckte sie und machte ihretwegen ein furchtbares Aufheben. Er behauptete, das sei ein Komplott, durch welches man ihn um Amt und Brot bringen wolle, da der heillose Geruch ja die Toten auferwecken müßte.
Zuletzt wurde mein Freund sie los, indem er sie nach einem kleinen Seebade brachte und dort im Ufersand vergrub. Der Ort erwarb sich dadurch einen gewissen Ruf. Die Besucher bemerkten, daß die Luft früher nie solch starkwürzigen Seegeruch gehabt habe wie jetzt, und schwachbrüstige und lungenkranke Leute drängten sich jahrelang dahin.
So sehr ich nun auch Käse mag, so stimmte ich doch mit Georg überein, lieber darauf zu verzichten. »Wir brauchen auch keinen Tee!« sagte Georg, – Harris machte ein langes Gesicht – »aber wir wollen um sieben Uhr abends eine nach allen Kanten regelrechte Mahlzeit haben, eine Mahlzeit, die zugleich Mittagessen, Nachmittagstee und Abendessen ist.
Jetzt heiterte sich Harris' Gesicht wieder auf. Georg empfahl noch Braten und Obstpasteten, kalten Braten mit Tomaten, Früchte und Gemüse. Als Getränk würden wir den wunderbaren, klebrigen Extrakt mitnehmen, den Harris fabriziert hatte, welchen man nur mit Wasser zu mischen brauchte, um Limonade daraus zu machen. Dann viel Tee und überdies eine große Flasche Whisky für den Fall, wie Georg sagte, daß wir umkippen sollten.
Es schien mir, Georg berührte diesen Punkt, das Umkippen, etwas zu oft; es dünkte mir dies ein böses Omen und eine Herausforderung des Schicksals. Bei alledem war ich froh über den Whisky.
Wein und Bier wollten wir nicht mitnehmen. Bei einer Fahrt den Fluß hinauf wäre so etwas ein Mißgriff. Man wird dadurch so schläfrig und faul. Wenn man abends in der Stadt umherschlendert und nach den Mädchen ausschaut, da ist ein Gläschen ganz am Platze; aber meidet es, wenn euch die Sonne auf den Kopf scheint oder wenn ihr schwere Arbeit vorhabt!
Nun machten wir eine Liste von all den Sachen, die wir mitzunehmen beschlossen hatten, – sie wurde allerdings ziemlich länglich; – hierauf schieden wir für den Abend. Am andern Tag, es war ein Freitag, trugen wir dann alles zusammen, und am Abend trafen wir uns wieder, um zu packen. Zu den Kleidern schafften wir uns einen großen Gladstonekoffer an, dazu ein paar Körbe für die Lebensmittel und die Kochgeräte. Wir stellten unsern Tisch gegen das Fenster und legten auf dem Stubenboden all die Sachen auf einen Haufen zusammen; hierauf setzten wir uns ringsherum und schauten ihn an. Dann erklärte ich, ich wolle packen.