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Also Biggs Bube kam, wie gesagt, zuerst heran. Als er auf der Bildfläche erschien, hatte er es augenscheinlich sehr eilig, aber wie er Harris, mich, Montmorency und den ganzen Haufen Sachen erblickte, verlangsamte er seinen Trott und starrte uns an. Harris und ich schauten ihn durchbohrend wieder an; das hätte wohl eine sensitivere Natur aus der Fassung gebracht; aber Biggs Buben sind in der Regel nicht nervös. Er kam sogar noch einige Schritte näher, stand dann still, nahm sich einen Strohhalm vom Boden auf und kaute daran, indem er seine Augen fest auf uns haften ließ. Er wollte offenbar sehen, wie die Sache ablaufen würde. Einen Augenblick später kam der Junge des Spezereihändlers auf der anderen Seite der Straße daher. Biggs Bube rief ihn an: »He! 's Parterre von Nr. 42 zieht aus.« Der Junge kam sofort herbei und pflanzte sich auf der anderen Seite der Haustür auf. Dann hielt der Jüngling aus der Schusterbutike bei uns an und nahm festes Standquartier neben Biggs Jungen, während der Schenkbube aus der »Blauen Post« eine selbständige Stellung am Gartenzaun einnahm. »Die werden keinen Hunger leiden,« bemerkte der Schusterjüngling, »was meinst du?« – »Nun, du tätest doch sicherlich auch ein paar Sachen mitnehmen,« meinte der aus der »Blauen Post«, »wenn du in einem kleinen Boot nach Amerika schiffen wolltest.«

»Die wollen nicht bloß nach Amerika rüber,« warf Biggs Bube ein, »die wollen nach Afrika und Stanley auffinden!«

Inzwischen war der Haufen zu einer kleinen Volksversammlung angewachsen, und die Leute fragten einander, was es denn gebe. Ein Teil, nämlich der leichtfertige jüngere Teil, behauptete, es sei eine Hochzeit, und hielt Harris für den Bräutigam, während die Älteren und Verständigeren es für ein Leichenbegängnis hielten und mich wahrscheinlich für den Bruder des Leichnams ansahen.

Nach langem Harren kam denn doch endlich eine leere Droschke daher. Sofort packten wir unsere Sachen und uns selbst hinein, teilten noch an ein paar von Montmorencys Freunden, die sich augenscheinlich verschworen hatten, ihn nie zu verlassen, freundliche Hiebe zum Abschied aus und fuhren dann unter dem Hallo der Menge davon, während Biggs Bube uns noch eine gelbe Rübe als gutes Omen nachwarf.

Um elf Uhr erreichten wir den Waterloo-Bahnhof und fragten, von welchem Perron aus der 11.50 Uhr-Zug abginge. Natürlich wußte es niemand. Auf dem Waterloo-Bahnhof weiß nie jemand zu sagen, von wo ein Zug abgeht, oder wann ein Zug abgeht, wohin derselbe fährt, oder irgend sonst etwas über ihn. Nach langem, vergeblichem Suchen nach unserm Zuge konnten wir endlich mit Hilfe eines Trinkgeldes einen Zugführer bewegen, einen dastehenden Zug nach Kingston abgehen zu lassen.

Später erfuhren wir, daß der Zug, mit dem wir gefahren waren, in Wirklichkeit der Postzug nach Exeter gewesen sei, daß man im Waterloo-Bahnhof stundenlang nach ihm gesucht, daß aber niemand etwas über seinen Verbleib zu sagen gewußt habe.

Gerade unterhalb der Brücke bei Kingston lag ein Boot für uns in Bereitschaft; dorthin wandten wir unsere Schritte, und hinein stauten wir unsere Sachen, und hinein stiegen wir endlich selbst. – »Alles in Ordnung?« fragte uns der Bootvermieter.

»Alles!« antworteten wir, und Harris ergriff die Ruder und ich das Seil des Steuers; Montmorency freilich fühlte sich unglücklich und hatte sich voll böser Vorahnungen am Vorderteil aufgepflanzt – so schossen wir hinaus in die Fluten, welche nun auf vierzehn Tage unsere Heimat sein sollten.

*

Es war ein herrlicher Morgen im Spätfrühling oder Frühsommer, wenn man sie lieber so heißen will, jene Tage, da das schwache Grün des Grases und des Laubes sich dunkler zu färben anfängt, da die Jahreszeit einem jungen Mädchen gleicht, das zitternd und mit heftiger schlagendem Pulse an der Schwelle der Weiblichkeit steht. Die altertümlichen, gegen den Fluß herabführenden Hintergäßchen Kingstons sahen, in helles Sonnenlicht getaucht, recht malerisch aus; dazu der schimmernde Fluß mit den Barken auf seinem Rücken; längs des Wassers auf der anderen Seite der schattige Leinpfad; darüber aus wohlgepflegten Gärten hervorschauende schmucke Villen, an den Rudern Harris in seinem rot und gelb gestreiften Flanellanzug, etwas vor sich hinbrummend; in der Ferne der altersgraue Palast der Tudors aus dem Laubversteck auftauchend – das alles zusammen bot ein so sonniges, farbenprächtiges, ein so lebensvolles und doch so friedliches Bild, daß ich, so früh es auch noch am Tage war, bald in eine träumerische Stimmung eingelullt wurde. Ich dachte über Kingston nach, oder vielmehr über Kyningeston (Königstein), wie man es zu jenen Zeiten nannte, da die sächsischen Könige hier gekrönt wurden.

Hier setzte einst der große Cäsar über den Fluß, und die römischen Legionen lagerten sich auf dem zum Fluß sich senkenden Höhenzug. Cäsar – wie auch später Königin Elisabeth – scheint sich überall aufgehalten zu haben. Doch führte Cäsar sich hier respektabler auf als die gute Königin Beß und blieb nicht in den Kneipen hängen.

Ja, diese jungfräuliche englische Königin hielt sich gerne in Kneipen auf. Zehn Meilen in der Runde um London gibt es kaum ein halbwegs anständiges Wirtshaus, wo sie nicht einmal entweder Umschau gehalten oder eingekehrt oder übernachtet haben soll. Ich möchte wohl wissen – gesetzt den Fall, Harris würde einen neuen Lebenswandel beginnen und ein großer und edler Mann werden und es bis zum Ministerpräsidenten bringen – ich möchte wissen, sage ich, ob man dann nach seinem Tode auch solche Inschriften an all den Schenken und Kneipen, die er seines Besuches würdigte, anbringen würde, lautend: »In diesem Hause trank Harris einen Bittern.« – »Im Sommer 1888 trank Harris hier zwei Glas Schottischen.« – »Im Dezember 1886 wurde Harris hier hinausgeschmissen« usw. –

Nein, gewiß, es wären deren zu viele! Es würden sich vielmehr die Häuser berühmt machen, die er nicht besucht hat. – »Dies ist das einzige Wirtshaus in Süd-London, das Harris niemals besucht hat!« Die Leute würden dahin strömen, um die Ursache kennen zu lernen, welche Harris von dessen Besuch abgehalten haben könnte! –

Wie muß nicht der schwachherzige König Edwyn dieses Königstein gehaßt haben! Das Krönungsfest war schon mehr, als er ertragen konnte. Kann sein, daß er den mit süßen Pflaumen gefüllten Eberkopf nicht gut verdaute – ich könnte es auch nicht, des bin ich sicher –, kann sein, daß er nicht noch mehr Sekt und Met trinken wollte, genug, er entwich von dem rauschenden Festmahl, um ein ungestörtes Mondscheinstündchen mit seiner geliebten Elgiva zu durchkosen.

Vielleicht standen sie Hand in Hand an jenem Fenster und betrachteten des Mondes Silberstrahlen, wie sie auf dem Flusse erglänzten, während von der Halle herüber noch schwache, gebrochene Laute des dort herrschenden fröhlichen Lebens herübertönten!

Dann dringen der brutale Odo und St. Dunstan gewaltsam ins friedliche Zimmer, schleudern der holden Königin grobe Beleidigungen ins Antlitz und schleppen den armen Edwyn zurück zur Stelle des Tumults und der rauschenden Lustbarkeit der Zecher. In späteren Jahren ertönte hier Schlachtgeschrei, und sächsische Könige und sächsische Zecher wurden hier Seite an Seite zum ewigen Schlafe niedergelegt. Kingstons Bedeutung sank eine Zeitlang in Vergessenheit, bis es später wieder in die Höhe kam, als Schloß Hampton Court die Residenz der Tudors und Stuarts wurde, als aus den königlichen Barken, die an den Ufern vorbeistreiften, Musik ertönte, die Herren vom Hofe in ihren hellen Mänteln die Wassertreppen hinunterstiegen und über den Fluß hinüberriefen: »He! Fährmann! He!«

Viele von den alten Häusern ringsherum zeugen noch von den Tagen, da in Kingston das königliche Hoflager war, da Edelleute und Höflinge hier in der Nähe ihres Königs lebten, und der ganze lange Weg bis zu den Toren des königlichen Palastes von Sporen- und Schwerterklang und stolzer Rosse Tritt widerhallte und von schönen Damen in Samt und Seide wimmelte. Die großen, geräumigen Häuser mit ihren Galerien und Gitterfenstern, ihren großen Kaminen und Giebeldächern, alles dies erzählt noch heute von den Tagen, wo Kniehose und Samtwams, perlenbesetzte Brustlätze und weitschweifige Liebesschwüre in der Mode waren. Diese Häuser wurden errichtet, als die Menschen noch zu bauen verstanden; die harten, roten Ziegel sind durch die Länge der Zeit nur noch härter geworden, und die eichenen Treppenstufen krachen und knacken keineswegs, wenn man sie geräuschlos hinuntergehen möchte. Bei Erwähnung der Eichentreppen fällt mir ein, daß in einem der Häuser Kingstons sich ein prächtiges geschnitztes Treppenhaus befindet. Es ist am Marktplatz und war augenscheinlich einst der Herrensitz einer mächtigen Persönlichkeit. Ein Freund von mir, der in Kingston lebt, trat eines Tages in den Laden des Hauses ein, um sich einen Hut zu kaufen, und war so gedankenlos, ihn sofort bar zu bezahlen. Der Kaufmann, ein Bekannter meines Freundes, wollte natürlich zuerst seinen Augen nicht trauen; aber er kam bald wieder zu sich, und von dem Wunsch beseelt, durch eine besondere Erkenntlichkeit diese Art der Geschäftserledigung en vogue zu bringen, fragte er meinen Freund, ob er gerne eichene Schnitzereien ansehen würde. Da mein Freund bejahte, ging der Kaufmann mit ihm durch das Magazin und dann eine eichene Treppe empor. Das Geländer bestand aus einer wundervollen Schnitzarbeit! auch die Wand längs der Treppe war bis oben mit einer reichgeschnitzten Holzvertäfelung geziert, die einem Palast Ehre gemacht hätte. Von der Treppe aus gelangte man in den Salon. Das war ein großes, helles Zimmer, welches mit einer etwas auffallenden, aber freundlichen blauen Tapete bekleidet war. Sonst aber war nichts Merkwürdiges in dem Raum; daher wunderte sich mein Freund, warum man ihn hierher geführt habe. Der Eigentümer trat an die Tapete und klopfte daran. Es klang, als klopfe er auf Holz. »Eichen,« erklärte er ihm, »alles eichene Schnitzereien bis hinauf zur Decke, ganz im selben Stil wie an der Treppe.«