»Aber um Himmels willen, Mensch!« rief mein Freund, »Sie werden mir doch nicht sagen wollen, daß Sie die eichenen Schnitzereien mit blauen Tapeten überkleidet haben! Was?« – »Doch!« lautete die ruhige Antwort, »es hat mich etwas gekostet, mußte es natürlich zuerst glatt und eben hobeln lassen. Aber jetzt sieht der Salon auch heiter und freundlich aus. Es war zuvor schrecklich düster!«
Ich kann den Mann darob nicht allzustreng tadeln, was ohne Zweifel eine große Befriedigung für ihn sein wird. Von seinem Standpunkt aus betrachtet, der im Durchschnitt der Standpunkt der meisten guten Bürger sein wird, von dem Wunsche ausgehend, das Leben so leicht als möglich zu nehmen, und ohne alle Sammelwut des Altertumsforschers, ist sein Verfahren nicht so ganz unvernünftig.
Geschnitztes Eichenholz ist jedenfalls recht hübsch, zum Ansehen, wenn man ein paar sehenswerte Stücke besitzt; aber für solche, die keinen Geschmack daran finden, ist es ohne Zweifel drückend, ganz und gar in Eichenholz zu leben. Es käme ihnen vor, als ob sie in einer Kirche wohnen sollten. Das Traurige in seinem Fall war, daß einer, der sich nichts aus Eichenschnitzereien machte, diesen damit gezierten Salon besitzen sollte, während Leute, die darauf aus sind, enorme Summen dafür bezahlen müssen. Das scheint aber auf dieser Welt die Regel zu sein. Jedermann hat, was er nicht braucht, und was er braucht, haben andre Leute. Verheiratete Leute haben Weiber und scheinen keine nötig zu haben. Junggesellen härmen sich, weil sie keine bekommen können. Arme Leute, die kaum für sich selbst den Lebensunterhalt erschwingen können, haben sechs bis acht Kindermäuler zu stopfen. Reiche alte Leute haben keine Seele, der sie ihren Reichtum vermachen könnten, und sterben kinderlos.
Aber ich mag nicht bei diesen Gedanken verweilen. Sie stimmen einen so traurig.
In unsrer Schule war ein Knabe, wir hießen ihn Sandford Merton.[Fußnote: Titel eines englischen Romans. Anm. des Übers.] Sein wirklicher Name war Stirvings. Er war der sonderbarste Kerl, der mir je im Leben begegnet ist. Ich glaube, daß er wirklich Neigung zum Studium hatte. Er bekam häufig furchtbare Vorwürfe, weil er im Bett zu sitzen und laut Griechisch zu lesen pflegte, und nichts auf der Welt konnte ihn abhalten, seine unregelmäßigen französischen Zeitwörter zu lernen. Er hatte allerlei unheimliche und unnatürliche Begriffe davon, wie er seinen Eltern und der Schule Ehre machen könne; er brannte danach, Preise zu gewinnen und dereinst ein gelehrter Mann zu werden, und steckte voll solcher Schrullen und schwachmütiger Gedanken. Wie gesagt, ein so seltsamer Kerl war mir noch niemals vorgekommen; dabei war er harmlos wie ein neugeborenes Kind. Nun, dieser Bube wurde mindestens zweimal in der Woche krank, so daß er die Schule nicht besuchen konnte. Überhaupt habe ich niemals einen andern Knaben so oft krank werden sehen wie diesen Sandford Merton. Wenn in einer Entfernung von zehn Meilen irgendeine Krankheit ausbrach, so bekam er sie gewiß, und obendrein im schlimmsten Grade. In den Hundstagen bekam er Lungenentzündung und Heuschnupfen zu Weihnachten. Nach einer Dürre von sechs Wochen konnte ihn ein rheumatisches Fieber darniederwerfen, und einmal bekam er während eines Novembernebels einen Sonnenstich. Einmal behandelte man den armen Kerl mit Lachgas, um ihm sämtliche Zähne auszuziehen, und setzte ihm ein falsches Gebiß ein, weil er so fürchterlich an Zahnweh litt; aber nun wurde Neuralgie daraus. Von Erkältungen war er nie frei, ausgenommen neun Wochen lang, während welcher er das Scharlachfieber hatte, und mit Frostbeulen war er Sommer und Winter geplagt. Während der großen Choleraepidemie im Jahre 1871 war unsere Nachbarschaft ausnahmsweise frei davon; in der ganzen Gemeinde war nur ein einziger Fall vorgekommen; es war der junge Stirvings.
Er mußte gleich ins Bett, wenn er sich nicht mehr wohl fühlte, mußte Geflügel und süße Eierspeisen und Treibhaus-Trauben essen; da pflegte er denn allemal dazuliegen und zu seufzen, weil man ihm nicht erlauben wollte, seine lateinischen Exerzitien zu machen, oder weil man ihm seine französische Grammatik weggenommen hatte. Und wir andern nichtsnutzigen Buben, die wir gerne ein paar Jahre unserer Schulzeit geopfert hätten, um nur einen Tag lang krank sein zu dürfen, die wir entfernt nicht den Wunsch hegten, unsertwegen in unsern Eltern einen berechtigten Stolz zu erwecken – wir konnten nicht einmal einen steifen Hals bekommen. Wir setzten uns absichtlich dem Zugwind aus, aber er tat uns nur gut und erfrischte uns; wir aßen Sachen, die uns hätten seekrank machen sollen, aber sie machten uns nur dickleibig und erregten uns Appetit. Nichts war imstande, uns krank zu machen – bis die Ferien kamen. Da, unmittelbar nach Beginn derselben, bekamen wir Erkältungen und Keuchhusten und alle Arten von Übeln, und die dauerten bis zur Wiedereröffnung der Schule; dann wurden wir, trotz aller gegenteiligen Anstrengungen wieder wohl und so kräftig wie nur je. So ist das Leben! Und wir Menschen sind wie Gras, das gemäht und zum Dörren in den Backofen gesteckt wird.
In diesem Augenblick warf Harris die Ruder weg, verließ seinen Sitz, warf sich auf den Rücken und streckte die Füße in die Höhe. Montmorency fing an zu heulen und schlug einen Purzelbaum; der oberste Korb kippte um, und alles fiel heraus.
Ich war etwas erstaunt, aber ich verlor meinen Gleichmut nicht. Ich fragte Harris in ganz freundlichem Tone: »Holla! Was soll das bedeuten?«
»Was das bedeuten soll? Ja –«
Doch nein, wenn ich mir's recht überlege, so ist es besser, wenn ich nicht erzähle, was ich jetzt von Harris zu hören bekam. Ich mag ja Tadel verdient haben, ich gebe es zu – aber nichts entschuldigt doch die Heftigkeit und Gemeinheit der Ausdrucksweise eines Menschen, der, wie mir von Harris genau bekannt ist, eine sorgfältige Erziehung genossen hat. Ich hatte die ganze Zeit an andere Dinge gedacht und darüber, wie man sich leicht denken kann, vergessen, daß mir die Pflicht, unser Boot zu steuern, oblag, und infolge hiervon kamen wir in eine so intime Berührung mit dem Ufer, daß wir mit ihm verwachsen schienen. Es war im Augenblick wirklich schwer zu sagen, was wir und was das Flußufer war; aber wir fanden es nach einer Weile doch heraus, und endlich gelang es uns, die Selbständigkeit unseres Wesens zurückzuerlangen. Harris aber meinte, er habe jetzt genug geschafft, es sei nicht mehr als billig, daß ich jetzt ans Brett komme. So ging ich denn, nachdem wir wieder in Ordnung waren, hinaus, nahm die Riemen zur Hand und zog das Boot bis über Schloß Hampton Court hinaus.