»O, es tut nichts,« seufzten dann die armen Mädchen, zogen heimlich Decken und Mäntel über sich, und hielten ihre spitzenbesetzten Sonnenschirme vor, um sich gegen die Wasserschauer zu schützen.
Beim Gabelfrühstück hatten sie wieder Unglück über Unglück. Man setzte sich am Ufer ins Gras: aber das Gras war erdig, und die Baumstämme, an welche sie sich anlehnen sollten, schienen mehrere Wochen lang nicht abgebürstet worden zu sein. So zogen sie denn ihre feinen Batisttaschentücher heraus, breiteten sie auf dem Gras aus und setzten sich darauf, aufrecht wie Ladestöcke. Dann kam einer mit einer Beefsteakpastete vorbei und stolperte über eine Wurzel, so daß die Pastete in die Weite flog. Zum Glück wurden sie nicht davon getroffen, aber diese neue Gefahr, die ihnen drohte, machte sie noch nervöser, als sie durch das bisher ausgestandene Vergnügen bereits geworden waren; und wenn irgend jemand mit irgend etwas in der Hand, das fallen und eine Zerstörung anrichten konnte, hin- und herging, so bewachten sie seine Schritte mit angstvollen Mienen, bis er sich wieder niedergesetzt hatte. – »Nun denn, ihr Mädchen,« sagte nachher, als alles vorbei war, unser Freund, der zweite Rudersmann, »jetzt kommt nur mit; das Geschirrspülen ist euer Geschäft!«
Sie verstanden ihn zuerst nicht. Als sie endlich seine Meinung erfaßt hatten, meinten sie, sie wüßten nicht, wie man Geschirr abwasche.
»O, ich will es euch schon zeigen,« rief er. »Das ist ein Kapitalspaß! Ihr lehnt euch über das Ufer und schwenkt die Sachen im Wasser hin und her. Seht, so!«
Die ältere Schwester meinte, sie fürchte, ihre Kleider paßten nicht ganz zu diesem Geschäft. »O, das macht nichts,« meinte er gleichmütig, »steckt sie eben auf!«
Und wohl oder übel mußten sie sich dazu bequemen. »Denn«, sagte er, »ohne das wäre ein solches Picknick nur ein halber Spaß!« Und sie meinten, »ja, es sei sehr interessant!« – Wenn ich jetzt über die Geschichte nachdenke, so überkommt mich doch ein Zweifel, ob dieser junge Mann wirklich so dickköpfig war, als wir dachten oder ob er ...? Nein, unmöglich, er schaute ja so arglos, so unschuldig drein wie ein Kind!
Harris wollte bei der Kirche zu Hampton aussteigen, um das Grabmal der Frau Thomas anzusehen.
»Wer ist denn diese Frau Thomas?« fragte ich. »Wie kann ich denn das wissen?« erwiderte Harris. »Es ist eine Dame, der man einen kuriosen Grabstein gesetzt hat, den ich sehen muß.« Ich erhob Einsprache. Ich weiß nicht, wie es kommt – vielleicht, daß man mich in meiner Kindheit schief gewickelt hat – aber für Grabsteine kann ich mich nun einmal absolut nicht erwärmen.
Ich weiß wohl, wenn man ein Dorf oder ein Städtchen betritt, so gehört sich's, daß man gleich nach dem Kirchhof stürzt und sich an den Gräbern labt; aber diesen Genuß versage ich mir ganz konsequent; ich habe gar kein Interesse daran, bei frostigen, dunklen, alten Kirchen herumzustöbern und hinter einem hustenden alten Mann einherzugehen, um die Grabschriften zu entziffern. Nicht einmal eine in Stein eingelassene Messingplatte mit einer Inschrift kann mir das bieten, was ich wirkliche Glückseligkeit nenne.
Ich bringe ehrwürdige Totengräber zum Entsetzen durch den unzerstörbaren Gleichmut, den ich beim Lesen solcher Inschriften zu zeigen imstande bin, und durch meinen totalen Mangel an jeglichem Enthusiasmus für die Familiengeschichten der hier Begrabenen; und meine schlecht verhehlte Begierde, wieder hinauszukommen, verwundet ihre Gefühle aufs tiefste.
An einem strahlenden Sommermorgen lehnte ich einst an dem niederen Gemäuer, das eine kleine Dorfkirche umgab: ich rauchte meine Zigarre und sog mit tiefen Zügen die süße, ruhige Stille der ländlichen Umgebung in mich ein. Hier die altersgraue Kirche, von Efeu umsponnen, mit ihrer altertümlichen, geschnitzten Tür, dort das weiße Gäßchen, das sich zwischen Reihen hoher Ulmen hinabwand, während die Strohdächer der kleinen Häuschen des Dorfes über die wohlgepflegten Hecken hinauslugten, tiefer unten der silberne Strom, und jenseits die waldigen Hügel!
Es war eine liebliche Landschaft, idyllisch, poetisch – ich fühlte mich dichterisch angeregt und wurde von guten und edlen Gefühlen überkommen. Ich fühlte keine Lust mehr zu sündigen und schlecht zu sein. Ich nahm mir vor, hierher zu ziehen, niemals wieder etwas Böses zu tun, ein sündloses, reines Leben zu führen und dann im Alter ehrwürdiges, silberweißes Haar zu bekommen – lauter schöne Dinge. Ja! In diesem Augenblick vergab ich all meinen Freunden und Verwandten ihre gegen mich verübten Bosheiten und Schlechtigkeiten und segnete sie. Sie wußten freilich nicht, daß ich sie segnete. Sie trabten auf ihrem gottverlassenen Lebensweg weiter, unbewußt dessen, was ich in weiter Ferne für sie tat und gelobte. Aber ich tat es dennoch und wünschte nur, ich hätte sie es wissen lassen können, damit sie sich darüber hätten freuen mögen.
Wie ich mich nun solch edlen, erhabenen Gedanken hingab, wurde meine Träumerei auf einmal durch eine kreischende, ins Mark schneidende Stimme unterbrochen, die mich anrief: »Gleich, mein Herr! Gleich! Ich komm' ja schon! Ich komm' schon! Ja! 's ist ganz recht! Ich komm' schon! Pressieren Sie doch nicht so!«
Ich schaute auf und sah einen alten, kahlköpfigen Mann auf mich zuhumpeln; er hielt ein riesiges Schlüsselbund in der Hand, das bei jedem Schritt klapperte und rasselte.
Mit stiller Würde winkte ich ihm zu, sich zu entfernen, aber der Alte nahm keine Notiz davon, sondern fuhr fort zu krächzen: »Ja, ja! 's ist ganz recht, ich komm' ja schon! Ich bin eben nimmer so gut zu Fuß wie sonst! Da herüber, mein Herr, da herüber!«
»Trollt euch fort, alter Bursche!« sagte ich unwillig.
»Aber ich bin doch so geschwind gekommen, als ich hab' können, Herr! Meine Frau hat Sie eben in der Minute erst gesehen. Kommen Sie nur mit, Herr!«
»Macht, daß ihr fortkommt!« wiederholte ich, »sonst klettere ich über die Mauer und schlage euch tot!«
Er schien erstaunt. »Ja, wollen Sie denn nicht die Gräber sehen?« fragte er.
»Nein!« antwortete ich ihm, »das will ich nicht. Ich will hier stehen und mich an diese alte verfallene Mauer lehnen. Geht fort und laßt mich in Ruhe. Ich bin gestopft mit schönen und edlen Gedanken und will sie festhalten, weil sie mich schön und gut dünken! Kommt mir nicht mit eurem Kram, sage ich euch, macht mich nicht wütend und verjagt mir nicht alle meine guten und schönen Gefühle mit eurem Grabsteinunsinn! Geht fort und seht, daß ihr jemand auftreibt, der euch um ein Billiges begräbt, dann will ich die Hälfte der Begräbniskosten bezahlen!«
Einen Augenblick war der Alte ganz starr. Er rieb sich die Augen und glotzte mich an. Äußerlich erschien ich ihm ohne Zweifel noch so ziemlich ein Mensch, – aber er konnte nicht klug aus mir werden. Er sagte: »Sie sind wohl ein Fremder, leben nicht hierzulande?«
»Nein,« sagte ich, »ich lebe nicht hier. Ihr würdet es auch nicht wünschen.«
»Ei,« sagte er darauf, »so müssen Sie doch die Gräber, die Grabsteine sehen. Man hat hier Leute begraben, wissen Sie, hier gibt's Särge!«