Trifft irgendwo aber in der Tat die Eigentümer selbst der Tadel, so sollten sie wahrlich an den Pranger gestellt werden. Die Selbstsucht der flüssebewohnenden Grundherrn wächst von Jahr zu Jahr. Wenn man den Gelüsten dieser Menschen freien Lauf ließe, so würden sie den Themsefluß ganz und gar absperren. Sie tun dies wirklich längs der kleineren Nebenflüsse und an den Seitenkanälen. Da werden Pfähle und Pfosten ins Flußbett getrieben und von Ufer zu Ufer Ketten gezogen und an jeden Baum riesige Plakatbretter angenagelt. Der Anblick dieser Plakattafeln ruft jeglichen bösen Trieb in meiner Natur wach. Mir ist's, als müßte ich jedes einzeln herunterreißen und dem Manne, der es aufsteckte, an den Kopf schlagen, bis ich ihn in ein besseres Jenseits befördert hätte; alsdann würde ich ihn begraben und das Plakat als Leichenstein auf sein Grab setzen.
Ich teilte Harris diese meine Gefühle mit, und er sagte, er habe sie in noch weit erschreckenderem Grade. Er sagte, es sei ihm nicht nur, als müsse er den Mann umbringen, der die Tafel habe aufstecken lassen, sondern daß er dessen ganze Familie nebst allen seinen Freunden und Verwandten ermorden möchte, und alsdann würde er sein Haus niederbrennen. Das schien mir zu weit gegangen, und ich sagte dies zu Harris; aber er antwortete:
»Keine Spur. Das geschähe ihnen gerade recht, und ich ginge hin und sänge etwas Humoristisches auf den Trümmern.«
Ich erboste mich, daß Harris in diesem blutdürstigen Tone fortfuhr. Man sollte seinem Gerechtigkeitsgefühl nie erlauben, in bloße Rachsucht auszuarten. Es währte lange, bis ich Harris dazu brachte, die Sache von einem etwas christlicheren Standpunkt aus zu betrachten; aber es gelang mir zuletzt, und er versprach mir, auf alle Fälle die Freunde und Verwandten zu verschonen und nichts Humoristisches auf den Trümmern zu singen.
Hättet ihr jemals Gelegenheit gehabt, Harris etwas Humoristisches singen zu hören, so würdet ihr begreifen, welch großen Dienst ich der Menschheit leistete. Es ist eine von Harris' fixen Ideen, er könne etwas Humoristisches singen; unter denjenigen seiner Freunde aber, die Harris den Versuch machen hörten, herrscht die fixe Idee, er könne es nicht und werde es niemals lernen, und man sollte ihm überhaupt verbieten, jemals wieder den Versuch zu machen.
Wenn Harris bei einer Abendgesellschaft ist und aufgefordert wird, einen Gesang zum besten zu geben, so antwortet er: »Ja, wissen Sie, ich kann eben nur etwas Humoristisches singen;« das sagt er aber in einem Tone, der wohl zu verstehen gibt, daß, wenn er so etwas singe, es so wundervoll sei, daß man nur sagen könne: »Hör' dieses Lied und stirb!«
»O, wie reizend,« sagt die Wirtin, »bitte, singen Sie eins, bitte, Mr. Harris,« und Harris steht auf und steuert dem Klavier zu mit der strahlenden Heiterkeit eines freigebigen Mannes, der eben im Begriff ist, jemand etwas zu schenken.
»Nun, bitte um allgemeine Stille,« sagt die Dame des Hauses zu den übrigen gewandt: »Mr. Harris ist im Begriff, uns etwas Humoristisches vorzusingen.«
»O, wie hübsch!« murmelt man, und man drängt vom Wintergarten herein, man kommt die Treppen herauf, man geht und holt die andern aus allen Winkeln des Hauses zusammen und drückt sich in den Salon, und sitzt ringsherum und strahlt vor lauter Erwartung.
Dann fängt Harris an. –
Nun, man verlangt nicht zu viel Stimme bei einem komischen Vortrag. Man erwartet weder korrekten Einsatz noch vollkommen reine Vokalisation. Man nimmt es dem Sänger nicht gar sehr übel, wenn er mitten in einer Note herausfindet, daß sie zu hoch ist, und mit einem Ruck herunterstürzt. Man nimmt es nicht so genau mit dem Takt.
Man nimmt es nicht so genau, wenn der Sänger der Begleitung um zwei Takte voraus ist und dann mitten in der Zeile plötzlich innehält, um sich mit dem Klavierspieler auseinanderzusetzen und alsdann den Vers aufs neue zu beginnen. Aber man erwartet den Text zu hören.
Man ist nicht darauf gefaßt, daß der Sänger nie mehr als die ersten drei Zeilen der ersten Strophe im Gedächtnis hat und diese immerfort wiederholt, bis es Zeit ist, daß der Chor einfällt. Man ist nicht darauf gefaßt, daß der Sänger mitten in der Zeile abbricht und kichert und sagt: »'s ist höchst sonderbar, aber beim Teufel! ich kann mich nicht weiter erinnern!« und dann probiert, ob er nicht selbst noch etwas dazuschustern kann, und dann nach einer Weile sich auf einmal wieder die Worte beifallen läßt, wenn er längst schon an einen ganz anderen Teil des Liedes gekommen ist, und dann ohne jede weitere Anzeige abbricht, zurückgeht und es euch zu hören gibt, mögt ihr's nun wollen oder nicht.
Ich will geschwind ein Pröbchen von Harris' humoristischem Singen zum besten geben, und dann kann der geneigte Leser selbst urteilen.
Harris (vor dem Klavier stehend und gegen das erwartungsvolle Auditorium gewandt): »Ich fürchte, 's ist ein etwas veraltetes Ding, wissen Sie. Ich vermute, Sie kennen es alle, wissen Sie. Aber 's ist das einzige Ding das ich kann. Es ist das Richterlied aus ›Pinafore‹ – nein, ich meine nicht ›Pinafore‹ – ich meine – nun, Sie wissen schon, was ich meine, das andere, wissen Sie. Sie müssen alle einfallen, um den Chor mitzusingen, wissen Sie.«
Gemurmel des Entzückens und der Erwartung, den Chor mitzusingen. Brillantes Vorspiel zum »Richterlied« aus »Gerichtliches Verhör«, von einem nervösen Pianisten ausgeführt. Der Augenblick kommt, wo Harris einsetzen soll; Harris nimmt keine Notiz davon. Der Nervöse beginnt das Vorspiel von neuem, und Harris, der zu gleicher Zeit zu singen anfängt, stürzt sich auf die ersten zwei Zeilen des ersten Preisliedes aus »Pinafore«. Der nervöse Pianist versucht mit dem Vorspiel fortzufahren, gibt es aber auf und versucht Harris zum »Richterlied« aus »Gerichtliches Verhör« zu begleiten, findet aber, daß dies nicht dem Zweck entspricht, versucht herauszubringen, was er denn eigentlich tut und wo er ist, fühlt aber, daß ihm die Sinne vergehen, und hält inne.
Harris (mit freundlich herablassender Aufmunterung): »'s ist ganz recht. Sie machen's ja ganz nett; wirklich, fahren Sie nur fort.«
Nervöser Pianist: »Ich fürchte, es steckt da irgendwo ein Fehler. Was singen Sie doch nur gleich?«
Harris (rasch): »Ei, das Richterlied aus ›Gerichtliches Verhör‹. Kennen Sie denn das nicht?«
Irgendein Freund von Harris (aus dem Hintergrunde des Zimmers): »Nein, das singst du nicht, du närrischer Kauz, du singst ja das Admiralslied aus ›Pinafore‹.«
Langer Streit zwischen Harris und Harris' Freund in bezug auf das, was Harris wirklich singt. Der Freund gesteht zuletzt seufzend ein, es sei einerlei, was Harris singe, wenn Harris nur die Gnade haben wollte, fortzufahren und es auch wirklich zu singen, und Harris, im Gefühl und mit dem Ausdruck beleidigter Unschuld, bittet den Pianisten, noch einmal anzufangen. Daraufhin beginnt der Pianist das Vorspiel zum Admiralslied, und Harris, sich eine Stelle zunutze machend, die er für einen Einsatz passend erachtet, beginnt.
Harris: »Als ich vormalen jung war
Und Jus studieren sollte.«
Allgemeines Lachgebrüll, das von Harris als Kompliment aufgefaßt wird. Der Pianist, an Weib und Kind denkend, gibt den ungleichen Kampf auf und zieht sich zurück; seine Stelle wird von einem stärker besaiteten Menschen eingenommen.
Der neue Pianist (heiter): »Wohlan, alter Junge, fangen Sie mal zuerst an und ich falle ein. Wir wollen uns nicht weiter mit dummen Vorspielen abgeben.«