Viel solcher Mühsal und Ärger könnte verhindert werden, wenn die Leute an der Leine, eingedenk, daß sie ein Boot ziehen, fleißig zurückschauen wollten, um sich zu überzeugen, was der Insasse des Bootes macht. Am besten ist's, nur eine einzelne Person ziehen zu lassen. Ziehen ihrer zwei, so fangen sie sicher an zu schwatzen und vergessen alles um sich her, und das Boot selbst, das nur geringen Widerstand leistet, erinnert sie nicht leicht an sein Dasein.
Als ein Beispiel, wie solch einem ziehenden Paare die ganze Welt entrückt zu sein scheint, erzählte uns Georg später am Abend, als wir nach dem Nachtessen den Gegenstand noch einmal erörterten, einen ganz merkwürdigen Fall.
Er und drei andre junge Leute, so erzählte uns Georg, hätten einmal abends von Maidenhead aufwärts ein sehr schwer beladenes Boot gerudert, und ein wenig oberhalb der Cockham-Schleuse hätten sie einen jungen Mann und ein Mädchen bemerkt, die auf dem Leinpfad in eine augenscheinlich höchst interessante Unterhaltung vertieft dahinschritten. Sie hielten miteinander einen Boothaken in Händen; an demselben war eine Leine befestigt, die ein Stück im Wasser hinter ihnen herschleifte. Aber weit und breit war kein Boot zu selben. Es mußte doch wohl einmal ein Boot an dieser Leine befestigt gewesen sein; aber was daraus geworden, welch schreckliches Schicksal es mit seinen Insassen ereilt hatte, das war in unerklärliches Dunkel gehüllt. Was sich aber auch immer ereignet haben mochte, das Paar am Boothaken war davon unberührt geblieben. Sie hatten ja den Boothaken und die Leine, und alles weitere schien ihnen zu ihrem Geschäft überflüssig.
Georg wollte sie eben anrufen und aus ihren Träumereien aufwecken, da schoß ihm ein guter Gedanke durch den Kopf, und er unterließ das Schreien. Statt dessen nahm er seinen Haken zur Hand und fischte damit das Ende der Leine aus dem Wasser in sein Boot und befestigte sie mit Hilfe seiner Gamaschen am Mast. Dann zogen sie ihre Ruder ein, machten es sich am Hinterende des Bootes bequem und zündeten ihre Tabakspfeifen an.
Georg meinte, er habe nie zuvor eine solch gedankenschwere Traurigkeit durch einen einzigen Blick ausgedrückt gesehen, wie damals, als das junge Paar an der Schleuse Halt machte und zu der Wahrnehmung erwachte, daß es während der letzten zwei Meilen ein falsches Boot gezogen habe. Georg glaubte, daß nur der Einfluß des süßen Geschöpfes an seiner Seite den jungen Mann von einer derben Gefühlsäußerung zurückgehalten habe.
Das Mädchen erholte sich zuerst wieder von seinem Erstaunen; dann aber rang es die Hände und rief in wildem Schmerze aus:
»O, Heinrich, wo ist denn nun die Tante geblieben?«
»Haben sie die alte Dame jemals wieder aufgefunden?« fragte Harris.
Georg sagte, er habe es nicht erfahren.
Ein anderes Beispiel von einem gefährlichen Mangel an Sympathie zwischen Zieher und Gezogenem erfuhren Georg und ich selbst einmal auf der Fahrt nach Walton. Es war an der Stelle, wo sich der Pfad ganz sachte gegen das Wasser senkt; wir hatten uns am jenseitigen Ufer gelagert und ließen die Blicke unbestimmt in die Weite schweifen. Mit eins kam ein kleines Boot in Sicht, das mit ungeheurer Geschwindigkeit von einem kräftigen Leinpferd, auf dem ein kleiner Junge hockte, gezogen wurde.
Im Boote selbst lagen fünf Burschen, anscheinend süßen Träumen hingegeben, und der Mann am Ruder hatte ein besonders schläfriges Aussehen.
»Wenn doch der jetzt am falschen Ende des Steuerseils zöge,« murmelte Georg, als sie an uns vorüberfuhren. In demselben Augenblicke geschah das in der Tat: das Boot rannte am Ufer an mit einem Gekreisch, als ob man vierzigtausend Laken zerrissen hätte.
Zwei Männer, ein Korb und drei Ruder verließen in demselben Moment das Boot auf der Backbordseite und blieben am Ufer hängen, und einige Augenblicke nachher landeten zwei andere von den Gesellen und verschwanden unter Boothaken, Segeln, Reisesäcken und Flaschen. Der fünfte Mann kam zwanzig Schritte weiter oben kopfüber aus dem Boot heraus.
Das schien nun das Boot wesentlich zu erleichtern, daher schoß es jetzt viel rascher davon, und der Junge auf dem Leinrosse schrie aus vollem Halse und trieb sein Pferd zum Galopp an.
Die Burschen richteten sich auf und starrten einander an. Erst nach geraumer Weile begriffen sie, was passiert war, und dann fingen sie an, dem Jungen Halt! zuzurufen. Dieser aber war viel zu sehr mit seinem Gaul beschäftigt, um auf sie zu hören. Wir schauten ihnen nach, bis wir sie aus dem Gesicht verloren hatten. Ich könnte nicht sagen, daß ich Mitleid mit ihrem Unglück gehabt hätte. Im Gegenteil, ich wünschte, all die jungen Lümmel, die sich in solcher Weise ziehen lassen – und viele tun das – möchten ebensolches Mißgeschick erfahren.
Außer der Gefahr, der sie selbst ausgesetzt sind, werden sie auch eine Gefahr und ein Hindernis für jedes andere Boot, das in ihren Weg kommt. Bei dem raschen Lauf ihres Bootes ist es unmöglich für sie, andern Booten auszuweichen, oder den andern, ihnen aus dem Wege zu gehen. Ihre Leine wickelt sich plötzlich um euren Mast, wirft euer Boot um, oder erfaßt einen seiner Insassen und wirft ihn ins Wasser, oder reißt ihm die Haut des Gesichts auf.
Der beste Plan ist in einem solchen Fall der, euren Kurs festzuhalten, und sie mit einer Stoßzange von euch abzutreiben.
Am aufregendsten ist es jedenfalls, sich von Mädchen ziehen zu lassen. Das ist ein Vergnügen, das sich niemand entgehen lassen sollte. Es sind immer drei Fräulein dazu erforderlich. Zwei von ihnen ziehen an der Leine, und das dritte rennt vor und hinter ihnen her und treibt Possen.
Regelmäßig fängt die Geschichte damit an, daß sie sich in die Leine verwickeln. Zuerst wickelt sie sich um ihre Füße; da müssen sie sich auf den Weg niedersetzen, um einander davon zu befreien; aber jetzt schlingt sie sich um ihre Hälse, so daß sie nahezu erwürgt werden.
Endlich kommen sie damit wieder in Ordnung, dann setzen sie sich in Marsch und rennen, daß das Boot eine ganz unheimliche Geschwindigkeit erlangt. Nach einer Weile müssen sie natürlich atemlos anhalten; dann setzen sie sich wieder alle ins Gras und lachen, während euer Boot in die Mitte des Stroms hinausgeht und sich im Kreise dreht, ehe ihr nur wißt, was geschah, oder ein Ruder ergreifen könnt. Dann stehen sie auf und machen große Augen.
»Seht nur,« rufen sie, »da ist es schon mitten in der Strömung draußen!«
Dann ziehen sie wieder eine Weile ganz ordentlich, bis es plötzlich einer von ihnen einfällt, daß sie ihr Kleid aufstecken sollte.
So halten sie zu diesem Zweck wiederum an, und dabei bleibt das Boot auf einer Sandbank sitzen. Jetzt fahrt ihr in die Höhe, stoßt es weg und ruft den Damen zu, sie sollen nicht anhalten.
»Ja!« rufen sie zurück. »Was gibt's denn?«
»Ihr sollt nicht halten!« – brüllt ihr jetzt, so laut ihr könnt.
»Was sollen wir nicht?«
»Nicht anhalten! Fortziehen, vorwärts, vorwärts!«
»Geh' einmal zurück, Emilie, und frage, was sie eigentlich wollen,« sagt eine von ihnen; und Emilie kommt zu uns zurück und fragt, was es gebe.
»Was wollt ihr?« fragt sie. »Ist etwas passiert?«
»Nein!« gebt ihr zur Antwort, »'s ist alles in Ordnung! Nur vorwärts – nicht anhalten!«
»Warum denn nicht?«
»Nun, weil wir nicht steuern können, wenn ihr haltet. Ihr müßt das Boot im Zug halten!«
»In was halten?«
»Ja, im Zug halten müßt ihr das Boot!«
»O, jetzt versteh' ich; ich werde es den andern sagen. Machen wir's sonst recht?«
»O ja! Ganz nett macht ihr's, nur sollt ihr nicht anhalten!«
»O, die Arbeit scheint gar nicht so schwierig zu sein. Vorher dachte ich, es sei so schwer zu lernen.«
»Ach nein, es ist ganz einfach. Ihr braucht nur gleichmäßig fortzuziehn, das ist alles!«