Wie gut ist doch der Mensch, wenn er satt ist. Wie zufrieden sind wir dann mit uns selbst und mit der Welt.
Leute von Erfahrung haben mir versichert, daß ein reines Gewissen den Menschen froh und glücklich mache. Aber ein voller Magen tut das auch, und das ist billiger und leichter zu beschaffen. Ja, man ist geneigt zu vergeben und zu vergessen, man ist so voll edler und großmütiger Gefühle – nach einer reichlichen und wohlverdauten Mahlzeit.
Es ist etwas recht Sonderbares um diese Herrschaft des Magens über unsern Verstand.
Wir können weder arbeiten noch denken, bis er es uns erlaubt. Er diktiert unsere Bewegungen und beherrscht unsere Leidenschaften.
Nach Eiern und Speck sagt er uns: »Jetzt arbeite!«
Nach einem Beefsteak und Porter ladet er uns zum Schlafen ein.
Nach einer Tasse Tee (NB. zwei Löffel Tee auf eine Tasse, aber nur drei Minuten ziehen lassen) sagt er zum Verstand: »Jetzt erhebe dich und zeige, was du kannst! Nun sei beredt, voll tiefer Gedanken und zärtlich! Schau mit klarem Auge in die Natur und das Leben! Breite die Flügel deiner schnellen Gedanken aus und schwebe auf wie ein göttlicher Geist, auf über die unter dir rollende Welt, schweife dahin zwischen dem Heer der flammenden Sterne bis an die Tore der Ewigkeit!«
Nach heißem Pfannkuchen spricht der Magen: »Sei dumm und unvernünftig wie das Vieh auf dem Felde – ein Tier ohne Sinn und Verstand, unerleuchtet von irgendeinem Strahl der Phantasie, der Hoffnung, der Furcht, der Liebe oder des Lebens!«
Und nach Brandy – nach einem genügenden Maß Brandy – sagt er: »Jetzt komm, Narr, grinse und stolpere, daß deine Mitmenschen über dich lachen! Geifere wie ein Toller, stoße sinnlose Worte hervor und zeige der Welt, was für ein nutzloses Geschöpf doch der Mensch ist, dessen Witz und Wille ersäuft sind – wie zwei junge Katzen – in einem halben Zoll Alkohol!«
Wir sind wahr und wahrhaftig die traurigsten Sklaven unseres Magens. O, meine Freunde, strebt doch nicht nach Moralität und Rechtschaffenheit. Wacht vielmehr so sorgsam als möglich über euren Magen und regelt eure Diät mit Verstand und Sorgfalt. Dann wird Tugend und Zufriedenheit in euren Herzen herrschen, ohne daß ihr euch besonders anstrengen müßt. Dann werden aus euch gute Bürger, liebende Gatten, zärtliche Väter – edle, brave Menschen!
Vor unserem Abendessen waren Harris, Georg und ich drei streitsüchtige, bissige, schlecht aufgelegte Kerle gewesen. Dagegen nachher – wie schauten wir einander so freundlich an! Ja, auch der Hund bekam jetzt einen freundlichen Blick. Wir liebten einander, wir liebten die ganze Welt. – Als Harris aufstand, trat er Georg auf die Hühneraugen. Wäre das vor dem Abendessen passiert, würde Georg wohl Wünsche betreffs Harris' Schicksal in dieser und jener Welt ausgedrückt haben, Wünsche, die einem ängstlichen Mann ein Schaudern erweckt hätten. Jetzt aber sagte er nur: »Langsam, altes Haus! Gib acht auf meine Hühneraugen.« Und Harris, der ihm vor dem Abendessen gewiß in seiner maliziösesten Weise gesagt haben würde, wie ein Mensch denn überhaupt vermeiden könne, jemand innerhalb zehn Meter auf den Fuß zu treten, wenn dieser jemand Georg heiße und Füße von solcher Länge in ein Boot von gewöhnlicher Größe mitbringe, und daß er ihm überhaupt raten würde, sie über Bord zu hängen – so sagte Harris jetzt ganz freundlich: »O, es ist mir leid, alter Herr; ich habe dir hoffentlich nicht weh getan!«
Und Georg versetzte: »O nein, gar nicht,« und fügte hinzu, es sei seine eigene Schuld gewesen. Und Harris sagte, nein, seine sei es gewesen. O, es war erquickend, ihnen zuzuhören.
Hierauf zündeten wir unsere Pfeifen an, schauten in die stille Nacht hinaus und schwatzten.
Georg sagte: »Warum können wir nicht immer so sein? Warum können wir nicht fern von der Welt und ihren Versuchungen ein nüchternes, ehrbares Leben führen und Gutes tun?« Da erwiderte ich: »Gerade das habe auch ich schon oft gewünscht;« und dann berieten wir, ob wir vier Geschöpfe uns nicht nach einem hübschen, wohl eingerichteten, weltabgekehrten Eiland einschiffen können, um dort im Walde zu leben.
Harris meinte, soviel er gehört habe, sei die Gefahr bei solchen weltabgekehrten Inseln die, daß sie so feucht seien; Georg aber sagte: »Durchaus nicht, wenn sie ordentlich drainiert werden.«
Und als wir auf die Drainage kamen, da fiel Georg eine lustige Geschichte ein, die einst seinem Vater passiert war. Er erzählte, sein Vater sei einst mit einem guten Bekannten durch Wales gereist; da hätten sie eines Abends in einem kleinen Wirtshause am Wege angehalten, in welchem sie noch andere Bekannte angetroffen, mit denen sie den Abend zubrachten.
Sie hatten einen sehr lustigen Abend und blieben lange sitzen und als sie endlich zu Bett gingen, waren sie ein ganz klein wenig angeheitert. (Georgs Vater war damals noch ein sehr junger Mann.) Er und sein Freund sollten in einem Zimmer schlafen, aber jeder hatte sein eigenes Bett. Sie nahmen das Licht und stiegen hinauf. Das Licht stieß an die Wand und verlöschte; da mußten sie sich im Finstern auskleiden und ins Bett kriechen. Das brachten sie denn auch endlich fertig; aber anstatt daß jeder in sein eigenes Bett stieg, wie sie glaubten, stiegen sie beide in das nämliche, ohne es zu bemerken, der eine den Kopf oben, der andere unten im Bett und die Füße auf dem Kissen.
Eine Zeit lang war alles ruhig; dann aber fing Georgs Vater an: »Joseph!«
»Was gibt's, Tom?« fragte der andere vom Fußende des Bettes her.
»Ei! es ist einer im Bett,« sagte Georgs Vater, »da streckt mir der Kerl seine Füße ohne viel Umstände einfach auf mein Kissen!«
»Wie sonderbar das doch ist, Tom, aber ich will verdammt sein,« sagte nun der andere, »wenn bei mir nicht auch einer im Bett liegt!«
»Ja, was willst du mit ihm anfangen?«
»Nun – ich werde ihn hinausschmeißen!« sagte Joseph.
»Das tue ich auch!« meinte tapfer Georgs Vater. Dann entspann sich ein kurzer Kampf, gefolgt von einem zweimaligen schweren Fall auf den Boden; dann sagte eine Stimme in etwas schmerzlichem Tone: »He, Tom, hörst du nicht?«
»Wohl!« sagte Tom.
»Bist du mit deinem fertig geworden?«
»Nun – die Wahrheit zu sagen, der Kerl hat mich hinausgeworfen!«
»Ja! So ist's mir auch gegangen. Ich sage dir, auf dieses Wirtshaus halte ich nicht viel.«
Hier unterbrach Harris den Erzähler:
»Wie hieß dieses Wirtshaus?«
»Das ›Schwein und die Pfeife‹« sagte darauf Georg. »Aber warum?«
»Ja – doch nein! Dann ist es doch nicht das nämliche!« sagte Harris.
»Was willst du damit sagen, Harris?« fragte Georg.
»Je nun, es ist so merkwürdig. Ganz die gleiche Geschichte passierte auch meinem Vater in einem Wirtshause auf dem Lande, wie er uns oft erzählte. Ich dachte, es möchte in demselben Wirtshaus« gewesen sein!«
*
Um zehn Uhr nachts zogen wir uns zum Schlafen zurück; ich hoffte, gut zu schlafen, denn ich war ordentlich müde; aber es war nichts damit. Sonst pflege ich mich auszukleiden und den Kopf aufs Kissen zu legen; dann klopft jemand an die Türe und sagt: »Stehen Sie auf, es ist halb neun Uhr!«
Aber heute nacht schien sich alles gegen mich verschworen zu haben. Die Neuheit der ganzen Begebenheit, das harte Lager im Boote, die zusammengekrümmte Lage (ich lag mit den Füßen unter der einen Sitzbank, während mein Kopf auf der andern ruhte); das Geräusch des rings an das Boot klatschenden Wassers, der Wind, der in dem Gebüsch des Ufers rauschte – alles störte meine Ruhe und hielt mich vom Schlafe ab.