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Ich konnte endlich ein paar Stunden schlafen; dann schien es mir, als ob das Boot in der Nacht einen Auswuchs bekommen hätte – denn derselbe war sicher am Abend zuvor nicht dagewesen, und am Morgen war er auch wieder verschwunden – einen Auswuchs, der sich mir beständig in den Rücken eingrub. Ich schlief trotzdem fort und träumte, ich hätte einen Sovereign verschluckt, und man habe mir mit einem Bohrer ein Loch in den Rücken gebohrt, um ihn wieder herauszukriegen. Es schien mir das ziemlich unhold von den Leuten; ich sagte ihnen, ich wolle ihnen den Betrag schuldig bleiben, sie sollten ihn am Ende des Monats bekommen. Aber sie wollten nicht darauf hören und meinten, es sei viel besser, sie hätten ihn sofort, weil sonst die Zinsen zu hoch anwachsen würden. Nach einer Weile aber wurde mir das Ding zu arg, und ich sagte ihnen meine Meinung ganz unverhohlen; da stießen sie mir den Bohrer so heftig in den Leib, daß ich erwachte.

Das Boot schien so dumpf, und mein Kopf schmerzte. So dachte ich, ich würde besser tun, hinaus in die frische Nachtluft zu gehen. Ich warf an Kleidungsstücken um, was ich gerade finden konnte, etwas von meinen eigenen, das übrige von Harris und Georg – dann kroch ich unter der Leinwand hervor ans Ufer.

Es war eine wundervolle Nacht. Der Mond war schon hinab unter den Horizont und hatte die stille Erde mit den Sternen allein gelassen. Es war, als ob sie während der tiefen Stille mit der Mutter Erde eine leise Zwiesprach hielten, mit ihrer Schwester, deren Kinder schliefen; Zwiesprach über die tiefen Geheimnisse – in Worten zu hoch und zu tief, als daß die kindischen Ohren der Menschen ihren Sinn hätten fassen können.

Sie erfüllen uns mit Ehrfurcht, diese seltsamen Geschöpfe, diese kalten, klaren Sterne! Wir sind wie Kinder, deren kleine Füße sich in einen schwach erleuchteten Tempel verirrt haben, wo man sie gelehrt hat, jenen unbekannten Gott zu verehren; und da stehen sie nun in dem Dom, dessen ungeheurer Bogen das Halbdunkel umspannt, und schauen auf zu den Lichtern, teils in Hoffnung, teils in Grauen, eine wunderbare Vision wahrzunehmen.

Und doch scheint die Nacht so voll Trost und Stärkung zu sein. In ihrer ruhigen Pracht schleichen unsere Sorgen still und beschämt von dannen. Der Tag war so voll Streit und Sorge, unsre Herzen waren mit so bittern und schlimmen Gedanken beschwert, und die Welt erschien uns so hart und schlecht. Da kommt die Nacht und legt wie eine liebende Mutter ihre Hand auf unser fieberndes Haupt, richtet unser tränenfeuchtes Antlitz empor gegen das ihre und lächelt uns an; und obwohl sie nicht zu uns spricht, wissen wir doch, was sie uns sagen möchte; wir drücken unsre glühenden Wangen an ihren Busen, und dann schwindet aller Schmerz.

Ja! Oftmals ist unsere Pein wirklich tief, nicht bloß in der Einbildung; da stehen wir dann wohl stumm, weil wir keine Worte mehr dafür haben, sondern nur schmerzliche Seufzer. Aber die Nacht hat ein Herz voll Mitleids gegen ihre Kinder; sie kann uns unser Weh nicht wegnehmen, aber sie nimmt unsre zuckende Hand in die ihre. Dann schwindet die kleine Welt um uns her in weite Ferne und wird immer kleiner; in ihren Armen eingelullt übergibt sie uns für einen Augenblick einer höhern Gewalt als die ihrige ist, und in dem wunderbaren Licht dieser Himmelsgewalt liegt das ganze Menschenleben wie ein offenes Buch vor uns; wir wissen dann, daß Pein und Sorge nur Engel sind, von Gott gesandt.

Nur diejenigen, die die Dornenkrone des Leidens getragen haben, können dieses wunderbare Licht schauen; sie sprechen nicht von dem, was sie erschaut haben, und erzählen nichts von den Geheimnissen, die ihnen geoffenbart wurden.

Vor langen Jahren ritten einmal ein paar tapfere Degen durch ein fremdes Land; ihr Weg führte sie durch einen tiefen Wald, wo das Dornengestrüpp so dicht wurde, daß es ihnen das Fleisch vom Leibe riß, und sie den Weg verloren. Und das Laub der Bäume in diesem Wald war dunkel und dicht, so daß kein Lichtstrahl hindurchdringen konnte, um das traurige Düster zu erhellen.

Während ihres Marsches durch diesen Wald verloren sie einen ihrer Kameraden, der sich von ihnen entfernt hatte; er irrte in weiter Ferne und sie sahen ihn nicht wieder; sie trauerten sehr um ihn, während sie ihren Ritt fortsetzten und hielten ihn für tot. Und als sie nun das schöne Schloß, dem sie zustrebten, erreicht hatten, blieben sie da viele Tage lang und waren fröhlich und guter Dinge; eines Abends nun, als sie in der großen Halle in heiterem, gemütlichem Geplauder beim Feuer saßen und ein fröhliches Gelage hielten, trat auf einmal ihr verlorener Kamerad herein und grüßte sie. Sein Gewand war zerrissen wie eines Bettlers Gewand, und viele tiefe Wunden zeigte sein edler Leib; aber von seinem Antlitz erglänzte ein heller Strahl von Freude und Frieden.

Sie fragten ihn und wollten wissen, wie es ihm ergangen seit seiner Trennung von ihnen; da erzählte er denn, wie er sich in dem großen, dunkeln Walde verirrt habe, wie er viele Tage und Nächte gewandert sei, bis er, zerrissen und blutend, sich niedergelegt habe, um zu sterben.

Dann, als er dem Tode schon ziemlich nahe gewesen: Siehe! Da kam durch das düstere Dunkel plötzlich ein herrliches Frauenbild daher, das nahm ihn an der Hand und führte ihn durch verschlungene Pfade, die niemand zuvor gekannt, bis auf einmal ein wunderbares Licht in das Dunkel des Waldes hineindämmerte – ein Licht, vor dem das Licht der Sonne erblaßte – und der müde Wanderer in diesem himmlischen Lichte eine Erscheinung erblickte, so hehr und schön, daß er darüber seiner blutenden Wunden nicht mehr gedachte, sondern nur in staunender Bewunderung und Verzückung dastand und eine Freude fühlte, so tief wie das Meer, dessen Tiefe niemand ergründen kann!

Doch die Erscheinung schwand, und der Ritter kniete auf die Erde und dankte der guten heiligen Jungfrau, die seine Schritte durch den dunkeln Wald geleitet hatte, und ihn die Erscheinung hatte sehen lassen.

Und der Name des dunkeln Waldes heißt Sorge – aber von der Erscheinung, die der gute Ritter sah, wollte er nichts weiter erzählen.

*

Den andern Morgen erwachte ich um sechs Uhr und fand auch Georg schon erwacht. Wir legten uns auf die andere Seite und suchten noch einmal einzuschlafen; aber es ging nicht. Wäre irgendein besonderer Grund gewesen, weshalb wir nicht wieder hätten einschlafen, sondern aufstehen und uns anziehen sollen, so wären wir mit einem Blick auf unsere Uhren gewiß wieder in Schlaf versunken und hätten bis zehn Uhr fortgeschlafen.

Aber da wir auf der weiten Gotteswelt gar keine Veranlassung hatten, zum mindesten zwei Stunden zu früh aufzustehen, und dies denn auch wirklich die größte Absurdität gewesen wäre, so war es ja auch nur der verwünschten Widerspenstigkeit aller menschlichen Dinge zuzuschreiben, daß wir beide das Gefühl hatten, es würde unser Tod sein, wenn wir noch fünf Minuten länger liegen blieben.

Georg erzählte, daß ihm die nämliche Geschichte, nur noch schlimmer, vor achtzehn Monaten schon einmal passiert sei, als er bei einer gewissen Frau Gippings wohnte.

Seine Uhr sei einmal nicht in Ordnung gewesen und um Viertel auf neun stehen geblieben. Er habe dies aber damals nicht bemerkt, da er abends vergessen hatte, sie aufzuziehen (bei ihm ein ganz ungewöhnliches Vorkommnis). Er habe sie über seinem Bett aufgehängt, ohne nochmals darauf zu sehen. Es war im Winter, ganz nahe dem kürzesten Tag, als sich dies ereignete, und überdies war die ganze Woche über starker Nebel gewesen, so daß die Dunkelheit ihm kein Anhaltspunkt für die Zeit sein konnte, als er am andern Morgen erwachte. Er fuhr in die Höhe und holte seine Uhr herab. Sie zeigte viertel auf neun Uhr.

»O, jetzt umringt mich, all ihr guten Geister!« rief er aus, »ich muß ja bis um 9 Uhr in der City sein! Warum hat man mich denn nicht geweckt? O, es ist eine Schande!«

Er warf die Uhr zu Boden, sprang aus dem Bett, nahm ein kaltes Bad, wusch sich, kleidete sich an, rasierte sich mit kaltem Wasser, weil keine Zeit mehr war, auf heißes Wasser zu warten, und warf dann noch einen schnellen Blick auf die Uhr.