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Ob nun die Erschütterung, welche die Uhr durch das Hinwerfen empfangen, sie in Gang versetzt, oder wie es sonst gekommen, konnte Georg nicht sagen; aber das war sicher, daß sie von viertel auf neun Uhr an wieder gegangen war und jetzt zwanzig Minuten vor neun Uhr zeigte.

Er steckte sie nun eilends ein und stürmte die Treppe hinab.

Im Wohnzimmer war noch alles dunkel und still; da war kein Feuer, kein Frühstück parat. Georg dachte bei sich selbst, das sei doch eine Erzschande für Frau Gippings, und war fest entschlossen, ihr verschiedenes zu sagen, wenn er abends zurückkäme. Dann zog er hastig einen Überrock an, stülpte den Hut auf den Kopf, griff nach dem Schirm und rannte hinab zu der Haustür. Sie war noch nicht einmal aufgeschlossen.

Georg verwünschte diese faule alte Frau Gippings ins Pfefferland und dachte, es sei doch sehr seltsam, daß die Leute nicht auch so anständig sein und zu rechter Zeit aufstehen könnten, – so schloß er denn selbst auf und eilte fort.

Eine Strecke weit rannte er in scharfem Trab, dann kam es ihm doch sehr sonderbar vor, daß so wenig Leute auf der Straße und noch keine Läden offen waren. Es war heute gewiß ein sehr finsterer und nebliger Tag; aber es war doch ungewöhnlich, daß deshalb alle Geschäfte stillstehen sollten! Er mußte doch auch ins Geschäft! Warum sollten denn andere Leute im Bett bleiben dürfen, nur weil es finster und neblig war? Endlich erreichte er Holborn, auch nicht ein einziger Laden war offen, kein einziger Omnibus zu erblicken. Nur drei Männer, wovon der eine ein Polizeidiener war, dann ein Marktkarren voll Gemüse und eine baufällige Kutsche waren zu sehen.

Georg zog wieder seine Uhr heraus; es war noch fünf Minuten bis neun Uhr. Er stand still und fühlte sich den Puls. Dann beugte er sich nieder und befühlte sich die Beine. Dann ging er, noch immer die Uhr in der Hand, auf den Polizeidiener zu und fragte ihn, ob er vielleicht wisse, wie spät es sei.

»Wie spät?« fragte der Mann, indem er Georg von oben bis unten musterte, da er ihn augenscheinlich für ein verdächtiges Subjekt hielt. »Ei, wenn Sie aufpassen, werden Sie gleich die Turmuhr schlagen hören.«

Georg lauschte, und eine benachbarte Glocke war sofort so gefällig zu schlagen.

»Ja, es hat aber nur drei geschlagen!« rief Georg ganz beleidigt aus.

»Nun, wieviel hätte es für Sie denn schlagen sollen?« fragte der Polizeidiener.

»I, nun – neun Uhr,« – sagte Georg, indem er auf die Uhr zeigte.

»Wissen Sie, wo Sie wohnen?« fragte der Mann des Gesetzes in strengem Tone.

Georg dachte etwas nach und gab ihm dann seine Adresse an.

»O, da wohnen Sie wirklich?« sagte der Mann. »Nun, ich denke, Sie folgen meinem Rat und gehen hübsch ruhig dahin, stecken diese Ihre Uhr wieder in die Tasche und lassen uns im übrigen ungeschoren.«

In tiefe Betrachtungen versunken, ging Georg heim und war wiederum sein eigener Portier. Zuerst wollte er sich wieder auskleiden und noch einmal zu Bette gehen – aber da dachte er, daß er sich dann ja noch einmal ankleiden und waschen und baden müßte, und so entschloß er sich, aufzubleiben und im Armstuhl zu schlafen. Aber es gelang ihm nicht, wieder in Schlaf zu fallen; er war in seinem ganzen Leben nie so munter gewesen. So zündete er sich denn die Lampe an, zog das Schachspiel heraus und spielte eine Partie Schach mit sich selbst. Aber auch das konnte keine rechte Freude in ihm erwecken. Er wußte nicht, wie es kam; aber diese Unterhaltung dünkte ihn nachgerade etwas langweilig; so gab er denn das Schachspiel auf und versuchte etwas zu lesen. Aber die Fähigkeit, sich für irgendein Buch zu interessieren, schien ihm plötzlich abhanden gekommen zu sein. So zog er denn seinen Überrock wieder an und trat hinaus, um einen Spaziergang zu machen.

Draußen war es schrecklich einsam und düster; alle Polizeidiener, die ihm begegneten, schauten ihn mit unverhohlenem Argwohn an, richteten ihre Laternen auf ihn und gingen ihm nach.

Das übte eine solch niederschmetternde Wirkung auf ihn aus, daß er sich zuletzt wie ein wirklicher Bösewicht vorkam und sich seitwärts in die Nebengäßchen schlug und an dunklen Einfahrtstoren verkroch, wenn er die heilige Hermandad anrücken hörte.

Natürlich machte dies Benehmen die Polizei nur noch mißtrauischer gegen ihn. Sie kamen, stöberten ihn hervor und fragten ihn, was er da zu tun habe; und wenn er nun antwortete: Nichts, er habe nur ein bißchen bummeln wollen – es war' jetzt vier Uhr morgens –, schauten sie ihn ungläubig an, und zwei dunkelgekleidete Konstabler begleiteten ihn nach Hause, um zu sehen, ob er wirklich da wohne, wo er angab. Als sie ihn mit seinem Schlüssel öffnen und hineingehen sahen, nahmen sie dem Hause gegenüber Aufstellung und beobachteten es.

Als er wieder in seiner Wohnung angekommen war, wollte er sich ein Feuer anzünden und sich ein kleines Frühstück bereiten, eben nur um sich die Zeit zu vertreiben; aber es schien ihm, als ob er unfähig sei, irgend etwas, ob es nun Kohlenschaufel oder Teelöffel hieß, in die Hand zu nehmen, ohne es fallen zu lassen oder darüber zu stolpern und einen solchen Lärm zu verursachen, daß er in Todesangst sein mußte, er würde Frau Gippings aufwecken; diese würde dann sicherlich glauben, es seien Einbrecher im Hause; sie würde das Fenster aufreißen und nach der Polizei schreien, und dann würden die zwei Geheimpolizisten hereinstürmen, ihm Handschellen anlegen und ihn nach der Polizeistation bringen.

Er hatte sich in eine tödliche Aufregung hineingearbeitet und malte sich jetzt das Verhör und seine ganz vergeblichen Versuche, dem Gerichtshofe die betreffenden Umstände klar zu machen, in den schwärzesten Farben aus – er sah sich im Geiste schon zu zwanzigjährigem Zuchthaus verurteilt und seine Mutter an gebrochenem Herzen sterben.

So gab er denn den Gedanken auf, sich ein Frühstück zu bereiten, hüllte sich in seinen Überrock und blieb im Lehnstuhl sitzen, bis Frau Gippings um halb acht Uhr herunterkam.

Georg sagte, seit jenem Morgen sei er nie wieder zu früh aufgestanden, so sehr habe er sich jenen Fall zur Warnung dienen lassen.

Während Georg mir diese wahrhaftige Geschichte erzählte, hatten wir, in unsere Pelze eingehüllt, dagesessen, und als er damit zu Ende war, machte ich mich daran, Harris mit einem Ruder aufzuwecken; der dritte Stoß hatte die beabsichtigte Wirkung; er legte sich auf die andere Seite und sagte, er werde im Augenblick hinunterkommen, man solle ihm heute seine Schnürstiefel bringen. Wir ließen ihn aber mit Hilfe des Boothakens bald merken, wo er sich befinde; er richtete sich plötzlich in die Höhe, indem er zugleich Montmorency, der mitten auf seiner Brust den Schlaf des Gerechten geschlafen, zappelnd und krabbelnd auf den Boden des Bootes warf.

Dann schlugen wir die Leinwand etwas zurück, streckten alle vier die Köpfe hinaus, sahen hinab auf das Wasser – und schauderten. Am Abend zuvor hatten wir den Gedanken gehabt, heute morgen früh aufzustehen, unsere Teppiche und Schals abzuwerfen, uns mit einem fröhlichen Sprung kopfüber in das Wasser zu stürzen und uns durch ein langes, köstliches Schwimmbad zu erfrischen. Aber sonderbar – jetzt am Morgen schien uns das Bad viel weniger verführerisch. Das Wasser sah so feucht und frostig aus, und der Wind war so kalt.

»Na!« sagte Harris, »wer wird der erste sein?« Es gab aber keinen edlen Wettstreit wegen des Vortritts. Georg kam sofort zu einem Entschluß, soweit ihn die Sache betraf. Er kehrte in die Mitte des Bootes zurück und zog seine Socken an.

Montmorency stieß unwillkürlich ein Geheul aus, als ob ihm schon der Gedanke an ein solches Frühbad Grausen erregt hätte. Harris meinte, es würde so schwierig sein, nach dem Bade wieder in das Boot zu steigen, wandte sich ebenfalls zurück und suchte sich seine Beinkleider aus.

Ich wollte mich nicht gerade feig zeigen, obschon auch mir das Frühbad nicht behagen wollte. Da unten könne es verborgene Pfosten oder Tang geben, dachte ich. Da entschloß ich mich zu einem Vergleich: ich wollte am Rande des Flusses nur eben ein bißchen Wasser über mich herspritzen. So ergriff ich denn ein Badetuch, stieg aus und kroch bis zu einem ins Wasser hängenden Ast eines Uferbaumes. Es war bitterlich kalt. Der Wind schnitt wie ein Messer. Ich dachte, ich wollte doch lieber kein Wasser über mich spritzen, sondern in das Boot zurückkehren und mich ankleiden.