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Den größten Geistern gelingt es ja selten, ihre Ideale zu verwirklichen; da seufzten denn ich und Harris über die Hohlheit alles irdischen Strebens und folgten Georg.

Wir brachten unsere Sachen in den »Hirschen« und legten sie in der Vorhalle nieder. Der Wirt kam und sagte: »Guten Abend, meine Herren!« »O! Guten Abend!« sagte Georg. »Wir möchten drei Betten haben.«

»Tut mir leid, meine Herren!« sagte der Wirt, »aber ich fürchte, es wird nicht gehen.«

»Nun,« sagte Georg, »es macht nichts! Zwei Betten tun's auch! Zwei von uns können in einem Bett schlafen, nicht wahr?« Hierbei wandte er sich gegen Harris und mich.

Harris sagte: »O freilich«; er dachte, Georg und ich könnten wohl in einem Bett schlafen.

»Tut mir sehr leid,« wiederholte der Wirt, »aber wir haben in der Tat im ganzen Hause kein einziges Bett frei. Wir haben wirklich schon zwei und selbst drei Herren in einem Bett untergebracht!«

Dies machte uns denn doch etwas bedenklich, aber Harris, der schon viel gereist ist, zeigte sich jetzt in seiner ganzen Größe, indem er heiter lachend ausrief: »Ah, das läßt sich nun einmal nicht ändern. Sie müssen uns eben im Billardzimmer ein primitives Lager aufschlagen.«

»Tut mir sehr leid, mein Herr! Es liegen bereits drei Herren auf dem Billard,« sagte der Wirt, »und zwei im Kaffeesaal. Ich kann Sie heute unmöglich über Nacht behalten.«

Da nahmen wir unsere Sachen wieder auf und gingen hinüber nach dem »Herrenhaus«. Ich sagte, es gefalle mir doch besser als das andere, und Harris sagte: »O ja; es werde gewiß ganz nett sein; wir brauchten ja auch den Mann mit dem roten Haar nicht anzusehen; überdies könne der arme Teufel wahrscheinlich nichts dafür.«

Harris sprach ganz freundlich und verständig darüber. Aber die Wirtsleute im »Herrenhaus« ließen uns nicht lange Zeit zu unserer Unterhaltung.

Die Wirtin begrüßte uns schon auf der Treppe mit den Worten, wir seien bereits die vierzehnte Gesellschaft, die sie seit den letzten anderthalb Stunden habe abweisen müssen.

Auf unsere sanften Andeutungen betreffs Billardzimmer, Ställe oder Kohlenschuppen hatte sie nur ein überlegenes Lächeln; diese Schlupfwinkel seien alle schon längst weggeschnappt und belegt.

Ob sie vielleicht im Dorfe ein Plätzchen wüßte, wo wir über Nacht bleiben könnten?

Nun, wenn es uns nicht darauf ankäme, sie könne es zwar nicht empfehlen, gewiß nicht, aber eine Viertelstunde weiter auf dem Wege nach Eton, da sei eine kleine Bierschenke. Wir wollten nicht weiter hören, wir faßten den Korb, die Reisesäcke, die Überzieher, die Plaids und die Pakete und rannten davon.

Die Entfernung schien uns eher eine halbe denn eine Viertelstunde zu betragen; doch endlich erreichten wir die Schenke und stürmten atemlos hinein. Der Schenkwirt und seine Leute waren gefühllos. Sie lachten uns bloß aus. Es gäbe nur drei Betten im ganzen Haus und darin hätten sie schon sieben ledige Herren und zwei verheiratete Paare untergebracht. Ein gutmütiger Fischer, der gerade in der Schenkstube war, meinte, wir könnten es ja bei dem Krämer versuchen, der neben dem »Hirschen« wohne; so gingen wir denn wieder zurück.

Bei den Krämersleuten war alles besetzt. Eine alte Frau, die wir im Laden antrafen, war so gutherzig, uns ungefähr eine Viertelmeile weit zu einer alten Freundin von ihr, welche gelegentlich Zimmer an Fremde vermiete, mitzunehmen. Die alte Frau bewegte sich sehr langsam vorwärts, so daß wir wohl zwanzig Minuten unterwegs waren. Während wir so dahintrippelten, erheiterte sie uns durch die Beschreibung all der verschiedenen Gebresten, die sie in ihrem Rücken verspüre.

Aber ihrer Freundin Zimmer war vermietet; von dort wurden wir an Haus Nr. 27 gewiesen. Nr. 27 war besetzt und sandte uns zu Nr. 32. Auch dieses Haus war vermietet.

Jetzt gingen wir zurück auf die Landstraße, wo sich Harris mit der Erklärung, daß er nimmer weitergehe, auf den Korb niedersetzte. Er meinte, es sei hier ein ruhiges Plätzchen; hier werde er gerne sterben. Er ersuchte Georg und mich, seine Mutter noch einmal von ihm zu grüßen und zu küssen und allen seinen Freunden zu sagen, daß er ihnen vergeben habe und selig gestorben sei.

In diesem Augenblick kam uns ein Engel, zugesandt in der Gestalt eines kleinen Knaben (ich kann mir keine eines Engels würdigere Gestalt denken) mit einer Bierkanne in einer Hand und in der andern ein Etwas an einer Schnur, das er auf jeden Stein auf dem Wege auffallen ließ, um es dann wieder in die Höhe zu schnellen, was jedesmal einen wenig anziehenden, beinahe kläglichen Ton hervorbrachte. Wir fragten diesen himmlischen Boten (als einen solchen haben wir ihn nachmals erkannt), ob er hier herum irgendein einsames Haus wüßte, mit nur wenigen schwächlichen Bewohnern (ältliche Damen oder lahme Herren würden wir vorziehen), die man leicht so weit einschüchtern könnte, daß sie ihre Betten für diese Nacht an drei desperate Männer abtreten würden; aber im Fall es damit nichts wäre, ob er uns vielleicht einen leeren Schweinestall oder einen nicht mehr im Gebrauch stehenden Kalkofen oder irgend etwas Derartiges empfehlen könne. –

Nichts von alledem war ihm bekannt, wenigstens kein netter derartiger Ort; doch wenn wir mit ihm kommen wollten, sagte er, seine Mutter habe ein Schlafzimmer und könnte uns über Nacht behalten. Wir fielen dem Knaben um den Hals, während der Mond auf uns herniederschaute, und küßten ihn; es hätte ohne Zweifel ein schönes Gemälde abgegeben, wenn nur der Knabe nicht so sehr von unserer Rührung überwältigt worden wäre, daß er sich nicht mehr aufrecht halten konnte, sondern zu Boden fiel, und wir alle drei über ihn her.

Auch Harris war so sehr von der Freude übermannt, daß er ohnmächtig wurde und des Knaben Bierkanne erfassen und zur Hälfte leeren mußte, ehe er wieder zu sich selber kommen konnte; dann raffte er sich plötzlich auf und rannte davon, Georg und mir die Sorge für unser Gepäck überlassend. –

Es war ein kleines, vier Zimmer enthaltendes Häuschen, wo der Knabe mit seiner Mutter lebte; diese gute Seele gab uns gerösteten Speck zum Nachtessen. Es waren fünf Pfund, aber wir aßen ihn ganz auf, und ebenso einen Geleekuchen, – und zwei Töpfe Tee tranken wir leer.

Dann gingen wir zu Bett. Es waren zwei Betten in dem Zimmer. Das eine war ein zwei und einen halben Fuß breites Rollbett; in diesem schliefen Georg und ich; wir verhinderten unser Herausfallen dadurch, daß wir uns mit einem Leintuch zusammenbanden. Das andere war des Knaben Bett, das Harris ganz für sich allein bekam.

Am andern Morgen fanden wir ihn, wie seine nackten Beine zwei Fuß weit über die Bettstatt heraushingen; Georg und ich benützten diese Beine bei unserem Bade als Handtuchständer.

Als wir das nächste Mal wieder nach Datched kamen, waren wir nicht mehr so anspruchsvoll in bezug auf ein Hotel.

Aber – um auf unsere gegenwärtige Fahrt zurückzukommen – nichts Aufregendes geschah, und wir strebten in gleichmäßigem Trott vorwärts bis in die Nähe der »Affeninsel«, wo wir anhielten und unser Gabelfrühstück verzehrten. Wir machten uns über das kalte Roastbeef her und entdeckten, daß wir den Senf vergessen hatten. Ich glaube nicht, daß ich je in meinem Leben den Senf so sehr vermißt habe, wie damals. Ich mache mir sonst nicht viel aus Senf, ich esse ihn sogar sehr selten, – aber damals hätte ich eine Welt für ein bißchen Senf gegeben!

Ich weiß nicht, wie viele Welten es überhaupt im Universum geben mag, aber demjenigen, der mir einen Teelöffel voll Senf gebracht hätte, würde ich sie alle miteinander überlassen haben. Ich kann ganz rabiat werden, wenn ich etwas haben möchte und es nicht bekommen kann.

Harris meinte, auch er würde ein paar Welten für ein wenig Senf gegeben haben. Da hätte einer mit einem Topf Senf ein gutes Geschäft machen können; ja, da wäre einer für den Rest seines Lebens geborgen gewesen!

Aber, trau einer der Menschennatur! – Wir beide, Harris und ich, hätten bald den Handel wieder rückgängig machen wollen, sobald wir den Senf bekommen hätten. In der Aufregung macht man oft solch ausschweifende Anerbietungen, aber wenn man hinterher darüber nachdenkt, so wird einem natürlich die Lächerlichkeit einer solch übertriebenen Wertschätzung des gewünschten Gegenstandes klar. –