So hörte ich einmal einen Herrn, der in der Schweiz eine Bergtour machte, ausrufen: »Eine Welt für ein Glas Bier!« und als er bald darauf ein kleines Wirtshaus erreichte, in welchem Bier zu haben war, da schlug er einen Höllenlärm auf, weil man ihm für eine Flasche Bier fünf Franken abverlangte. Er schrie, es sei das eine schamlose Betrügerei und schrieb darüber einen Bericht an die »Times«.
Die Abwesenheit des Senfs warf einen düstern Schatten in unser Leben auf dem Boot. In aller Stille aßen wir unsern Rindsbraten. Unser Dasein erschien uns schal und öde. Wir gedachten der glücklichen Tage unsrer Kindheit und seufzten. Als wir aber bei der Apfeltorte angekommen waren, wurden wir doch wieder etwas heiterer, und als Georg eine Zinnbüchse mit Ananas aus dem Korb hervorzog und mitten in das Boot rollen ließ, fanden wir, daß dieses Leben doch wohl lebenswert sei.
Wir alle drei sind große Liebhaber von Ananas. Wir schauten mit freundlichen Blicken die Abbildung auf der Zinnbüchse an, gedachten des Saftes, den sie enthalten würde, und lächelten einander an; Harris hatte sofort seinen Löffel parat, dann suchten wir das Messer, um die Büchse zu öffnen. Wir lehrten den ganzen Korb danach um; dann leerten wir die Reisesäcke aus. Hernach hoben wir die Bretter des Boots in die Höhe. Hierauf schleppten wir alles ans Ufer und schüttelten es aus. Aber kein Büchsenmesser wollte sich finden.
Jetzt versuchte Harris die Büchse mit seinem Taschenmesser zu öffnen; aber dabei zerbrach er die Klinge und schnitt sich tief in die Hand; dann versuchte es Georg mit der Schere; aber diese schnellte in die Höhe und hätte ihm um ein Haar ein Auge ausgestochen. Während die beiden ihre Wunden verbanden, versuchte ich mit dem spitzen Ende des Bootshakens ein Loch in die Büchse zu bohren, aber der Haken entschlüpfte mir und warf mich über das Boot hinaus in zwei Fuß tiefes schmutziges Wasser, während die Büchse unversehrt davonrollte und eine Teetasse zerschlug.
Jetzt wurden wir alle drei fuchswild. Wir nahmen die heimtückische Büchse ebenfalls ans Ufer; Harris holte einen schweren, scharfkantigen Stein, und ich holte den Mast aus dem Boot; Georg hielt die Büchse und Harris die Spitze des Steines darauf, und ich schwang den Mast mit aller Kraft in die Höhe und schmetterte ihn nieder.
Georgs Strohhut war es, der ihm damals das Leben rettete! Er hat diesen Strohhut, d. h. was davon übrig blieb, als eine teure Erinnerung aufbewahrt; und an Winterabenden, wenn die Pfeifen glühen und die Jungen von ihren kühnen Streichen erzählen und von den Gefahren, denen sie glücklich entronnen sind, holt Georg ihn herbei und zeigt ihn den Anwesenden, und die aufregende Geschichte wird aufs neue, jedesmal mit erhabeneren Ausschmückungen, erzählt. Harris kam mit einer bloßen Fleischwunde davon. Daraufhin nahm ich die Büchse allein in Angriff und hieb mit dem Mast darauf, bis ich erschöpft und todestraurig niedersank, worauf Harris sie ergriff.
Wir schlugen sie flach, wir schlugen sie wieder zu einem Würfel, wir brachten sie in jede denkbare geometrische Form – aber wir konnten kein Loch hineinbekommen. Dann griff Georg wieder danach und klopfte sie in eine so seltsame, so unheimliche, in ihrer wilden Häßlichkeit so unirdische Form, daß ihm selbst bange davor wurde und er den Mast wegwarf. Jetzt setzten wir uns alle drei rings um das Ding herum und schauten es an. Quer über das obere Ende lief ein Einschnitt, der sich wie ein höhnisches Grinsen ausnahm und uns derart in Wut versetzte, daß Harris sich darauf losstürzte, es erfaßte und mit einem furchtbaren Schwung bis in die Mitte des Stromes hineinwarf, wohin wir ihm unsere Verwünschungen nachsandten. Dann stiegen wir wieder ins Boot, ruderten eilends hinweg von dem Ort und ruhten nicht eher, bis wir Maidenhead erreicht hatten.
Maidenhead selbst ist zu übertüncht, um ein angenehmer Aufenthalt zu sein. Es ist ein Aufenthalt für die den Fluß unsicher machenden Sonntagsstutzer mit ihren übertrieben gekleideten Duennas. Es ist eine Stadt voll aufgeputzter Hotels, hauptsächlich von Kommis und Ballettmädchen frequentiert. Es ist die Hexenküche, woraus jene den Fluß heimsuchenden Teufel, jene kleinen Dampfboote hervorgehen. Der Herzog, wie er in der »Londoner Zeitung« figuriert, hat immer sein »kleines Schlößchen« in Maidenhead; und die Heldin der dreibändigen Tagesromane speist regelmäßig dort, wenn sie mit dem Gatten einer andern einen lustigen Tag verbringen will.
Schnell passierten wir das schlüpfrige Maidenhead, dann verlangsamten wir die Fahrt, um die nun folgende herrliche Strecke mit Muße zu genießen. Am Abend hatte sich ein steifer Wind erhoben, diesmal merkwürdigerweise zu unseren Gunsten; denn fährt man auf dem Flusse, so ist einem in der Regel der Wind entgegen, welche Richtung man auch einschlagen mag. Wenn ihr auf einen ganzen Tag ausfahren wollt, müßt ihr am Morgen natürlich gegen den Wind fahren; ihr rudert nun eine tüchtige Strecke weit und denkt dabei, wie angenehm bei solchem Wind die Rückfahrt mit aufgehißtem Segel sein werde. Aber nach dem Nachmittagstee springt der Wind um und ihr dürft euch beim Heimfahren den ganzen Weg lang wieder ebenso tüchtig ins Zeug legen. Habt ihr aber vergessen, euch mit einem Segel zu versehen, dann bläst der Wind immer in eurer Richtung, ob ihr auf- oder abwärts fahrt! Aber das ist nun einmal so auf dieser Welt. Das Leben ist eine Prüfung, und der Mensch ist geboren zu arbeiten, daß die Funken stieben.
Aber an diesem Abend war augenscheinlich ein Mißgriff geschehen; der Wind blies uns in den Rücken, anstatt ins Gesicht. Wir waren deshalb auch mäuschenstill und hißten geschwind unser Segel auf, ehe Freund Äolus es merkte; dann suchte sich jeder einen bequemen Platz im Boot und nahm eine nachlässig gedankenvolle Haltung an. Da blähte und spannte sich das Segel, daß der Mast und die Spieren krachten und das Boot vor dem Winde dahinflog.
Ich steuerte. Es gibt meines Wissens keine den ganzen Körper mehr durchzitternde Erregung als die, die das Segeln in uns hervorbringt. Es grenzt das so nahe ans Fliegen, als der Mensch dem Fliegen bis jetzt überhaupt nahegekommen ist – ausgenommen im Traum! Auf Windesflügeln scheint man getragen zu werden, man weiß nicht wohin. Man ist nicht mehr der träge, schwache Erdenklotz, der, sich am Boden krümmend, dahinkriecht. Nein, man ist ein Teil der Natur. Unser Herz schlägt gegen das ihre. Sie schlingt ihre herrlichen Arme um uns und drückt uns an ihren Busen. Unser Geist ist eins mit dem ihren. Unsere Glieder werden leichter und leichter. Der Sphärengesang klingt an unser Ohr. Die Erde scheint uns in immer weitere Ferne gerückt, zuletzt winzig klein, und die Wolken dicht über unsern Häuptern sind unsre Geschwister, denen wir sehnend die Arme entgegenstrecken.
Wir hatten jetzt den Fluß für uns ganz allein; nur in weiter Ferne erblickten wir ein flaches Fischerboot, das ziemlich in der Mitte des Stromes vor Anker lag; drei Fischer saßen darin. Unser Boot tanzte über das Wasser hin, als wir an dem waldigen Ufer vorbeistrichen; keiner von uns sprach ein Wort. Ich saß am Steuer.
Als wir näher kamen, sahen wir, daß die drei Fischer alt und ehrwürdig dreinschauten. Sie hatten sich auf drei Stühlen niedergesetzt und schauten aufmerksam auf ihre Angelschnüre.
Die Abendröte warf einen mystischen Schein auf die Wasserflut, tauchte das Ufergehölz in feurige Glut und vergoldete die aufgetürmten Wolken. Es war eine Stunde voll tiefen Zaubers, voll süßer Hoffnung und Sehnsucht. Unser kleines Segel hob sich gegen den purpurnen Himmel ab, die Dämmerung umfing uns und hüllte die Welt in Schatten – und hinter uns schlich die Nacht einher.
Wir deuchten uns wie die Ritter einer alten Sage, die über einen Geistersee in das unbekannte Land der Dämmerung oder nach dem Lande der Abendröte segeln.