Unser Wasserkrug war leer; der Fall lag daher so, daß wir entweder ohne Tee zu Bett gehen oder Flußwasser dazu nehmen mußten.
Harris war für das letztere. Er meinte, das Wasser würde schon recht werden, wenn wir es kochten. Er sagte, die immer im Wasser enthaltenen Giftkeime würden durch das Sieden getötet. So füllten wir denn unsern Teekessel mit Themsewasser, kochten es und paßten scharf auf, ob es auch wirklich koche.
Unser Tee war fertig, und wir hatten uns eben ganz behaglich niedergesetzt, um ihn zu trinken, als Georg, die Tasse schon beinahe an den Lippen, plötzlich innehielt und ausrief: »Ho! Was ist denn das?«
»Was ist – was?« riefen Harris und ich in einem Atem.
»Nun, das da!« sagte Georg, indem er nach Westen schaute. Harris und ich folgten seinem Blicke und sahen in der schwachen Strömung einen Hund langsam dahertreiben. Es war der ruhigste, friedfertigste Hund, den ich jemals gesehen habe. Nie habe ich einen Hund gesehen, der zufriedener und gelassener aussah. Er schwamm träumerisch auf dem Rücken daher und streckte alle Viere gerade in die Höhe. Es war, wie man zu sagen pflegt, ein wohlgenährter, wohlgebauter Hund. Heran schwamm er, ruhig, würdig, still, bis er in die Nähe unseres Bootes kam; da verlangsamte er seine Fahrt, blieb gemütlich zwischen dem Schilf hängen und begehrte für diesen Abend keine weitere Platzveränderung.
Georg sagte, er wolle heute keinen Tee mehr, und leerte seine Tasse in den Fluß. Harris war auch nicht mehr durstig und folgte seinem Beispiel. Ich hatte meine Tasse schon zur Hälfte leer getrunken, aber ich wünschte, ich hätte es nicht getan! Ich fragte Georg, ob ich nun wohl den Typhus bekommen würde. Er meinte: »O nein!« Er dachte, für diesmal würde ich wohl noch davonkommen; auf jeden Fall würde ich in ungefähr vierzehn Tagen wissen, ob ich ihn hätte oder nicht. In diesem Hinterwasser fuhren wir bis Wargrave hinauf. Es ist dies ein kurzer Kanal, der vom rechten Ufer ungefähr eine halbe Meile oberhalb der Marsh-Schleuse beginnt. Es ist wohl der Mühe wert, diese Strecke zu befahren; denn sie ist gar hübsch und schattig und schneidet überdies noch eine halbe Meile Wegs ab. Natürlich ist die Einfahrt mit Ketten und Pfählen verrammelt; auch sind Tafeln angebracht, die jeden, der da zu rudern wagt, mit allen nur möglichen Folterqualen, Einkerkerung und Tod bedrohen!
Ich wundere mich nur, daß diese Strandräuber nicht auch die Luft auf dem Fluß für sich in Anspruch nehmen und jeden mit mindestens vierzig Schilling Strafe bedrohen, der es wagt, sie zu atmen.
Doch lassen sich ja die Pfähle und Ketten mit etwas Geschick leicht umgehen, und was die Verbottafeln anbelangt, so kann man, wenn es einem auf fünf Minuten Zeit gerade nicht ankommt und niemand um den Weg ist, einige davon herunterreißen und ins Wasser werfen.
Ungefähr auf dem halben Wege hielten wir an, um unser Gabelfrühstück einzunehmen. Bei diesem Frühstück war es, daß Georg und ich plötzlich in furchtbaren Schrecken versetzt wurden. Auch Harris wurde in Schrecken versetzt; aber ich glaube nicht, daß der seinige auch nur halb so schlimm war als der, welchen Georg und ich bei diesem Anlaß empfanden. Das ging so zu: Wir saßen auf einer Wiese, ungefähr zehn Meter vom Ufer entfernt, und hatten uns eben behaglich zum Essen niedergelassen, Harris hatte die Beefsteakpastete zwischen den Knien und wollte sie zerteilen. Georg und ich hielten unsre Teller in Bereitschaft. »Habt ihr vielleicht einen Löffel zur Hand?« fragte Harris; »ich brauche einen Löffel, um die Sauce herauszuschöpfen.« Der Korb war dicht hinter uns; da wandten wir beide, Georg und ich, uns um, um einen Löffel herauszuholen. Darüber waren keine fünf Sekunden vergangen. Als wir uns wieder umwandten, waren Harris und die Pastete verschwunden.
Es war ein weites, offenes Feld. Auf hundert Meter in der Runde war weder ein Baum noch eine Hecke zu sehen. In den Fluß konnte er auch nicht gefallen sein, weil wir dem Wasser näher waren als er, und er über uns hätte hinwegklettern müssen.
Georg und ich schauten uns überall um. Dann sahen wir einander an.
»Hat ihn denn der Himmel zu sich genommen?« fragte ich.
»Aber die Pastete würde er doch schwerlich mitgenommen haben,« meinte Georg.
Dieser Einwurf erschien uns von einigem Gewicht; wir kamen also von dem Gedanken der Himmelfahrt wieder ab.
»Ich glaube,« sagte Georg, der wieder zum Gemeinverständlichen und Natürlichen zurückkehrte, »das Wahrscheinlichste ist, daß ein Erdbeben stattgefunden hat.«
Und dann setzte er mit einer leisen Trauer im Tone hinzu: »Ich wollte, er hätte sich nicht mit dieser Pastete beschäftigt!«
Und mit einem Seufzer wandten wir uns wieder nach der Stelle zurück, wo wir Harris und die Pastete zum letztenmal auf Erden gesehen hatten. Da! das Blut erstarrte uns in den Adern, und die Haare standen uns zu Berg – sahen wir Harris' Kopf, nichts als seinen Kopf aus dem hohen Grase vorstehen, das Gesicht stark gerötet und große Entrüstung ausdrückend.
Georg faßte sich zuerst wieder.
»Sprich! um des Himmels willen!« rief er. »Und sage uns, ob du noch lebst oder schon tot bist. Und sag', wo ist denn dein übriger Mensch?«
»O, sei doch kein so brettdummer Esel,« antwortete Harris' Kopf, »ich glaube, ihr habt es absichtlich getan!«
»Was getan?« fragten Georg und ich zu gleicher Zeit.
»Nun, mich daher sitzen heißen – ein verdammt niederträchtiger Streich! Da, faßt einmal die Pastete!«
Und, wie es uns schien, mitten aus der Erde kam die Pastete heraus, ziemlich mit andern Dingen vermischt und beschädigt, und hinter ihr drein kabbelte Harris, beschmutzt und durchnäßt, heraus. Er hatte sich ahnungslos hart an den Rand eines kleinen Grabens gesetzt, der durch hohes Gras verborgen war und als er sich etwas zurücklehnte, war er hintenüber gepurzelt und mit ihm die Pastete und alles, was er in den Händen hatte. Er sagte, in seinem ganzen Leben sei er niemals so überrascht gewesen, als da er plötzlich den Boden unter sich weichen gefühlt habe, ohne sich auch nur im entfernt geringsten eine Vorstellung von dem, was geschehen war, machen zu können. Er habe gemeint, der Weltuntergang sei da.
Harris glaubt noch bis auf den heutigen Tag, Georg und ich hätten alles zuvor geplant. So folgt ungerechter Verdacht auch dem Allerunschuldigsten! Denn wie sagt der Dichter? »Wer mag der Verleumdung entgehen?« Ja, wer?
*
Nach dem Gabelfrühstück bekamen wir eine Brise, die uns ganz nett über Wargrave und Shiplake hinaus beförderte. In der Kirche zu Wargrave befindet sich der Grabstein einer gewissen Frau Sarah Hill, die ein Legat von 1 Lstrl. (zwanzig Mark) Jahresrente ausgesetzt hat, das an zwei Knaben und zwei Mädchen verteilt werden soll, welche »niemals ihren Eltern ungehorsam waren, niemals geflucht, niemals gelogen, noch gestohlen oder Fenster eingeworfen haben«. Nun bitte ich euch, für fünf Schilling jährlich soll man auf all das verzichten!? Das ist doch wahrhaftig nicht der Mühe wert!
In dem Städtchen erzählt man sich noch heute, daß vor vielen Jahren einmal ein solcher Knabe gelebt habe, der sich niemals eines der oben angeführten Vergehen habe zuschulden kommen lassen, oder – was ebensogut war – von dem wenigstens nichts Derartiges bekannt geworden sei, der somit die Ruhmeskrone erlangt habe.
Er wurde nachher drei Wochen lang unter Glas und Rahmen in der Stadthalle ausgestellt. Was seither aus dem Gelde geworden ist, kann niemand bestimmt angeben. Einige sagen, man habe es immer dem nächsten Wachsfigurenkabinett ausgefolgt.
Bescheidene Landleute und vornehme Städter haben wir bei Henley hinter uns gelassen, und das trübe, schmutzige Reading ist noch nicht erreicht. Dieser Teil des Flusses ist so recht dazu geeignet, von vergangenen Tagen zu träumen, von entschwundenen Gestalten, von all den Plänen, die sich hätten verwirklichen lassen können, und die sich doch nicht verwirklicht haben, hol' sie der Teufel!
In Sonning stiegen wir aus und machten einen Spaziergang durch das Dorf. Es ist dies wirklich der feenhafteste Ort am ganzen Flusse. Er gleicht mehr einem prähistorischen Pfahldorf als einem aus Stein und Mörtel erbauten Dorfe. Jedes Haus wird von Rosen förmlich erstickt, und eben jetzt zu Anfang Juni brachen sie mit all ihrem zauberischen Dufte auf.